Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Eugene Sue lebt, wie Herr Kollmann richtig bemerkt Hut, auf dem Lande
und soll alle Lust verloren haben, je nach Paris zurückzukehren.

Die hier stattgefundene deutsche Schriftstellerversammlung, -- so muß
man die ungewöhnliche Menge deutscher Literaten, die in letzteren Wochen
hier lebten, nennen -- geht in wenigen Tagen wieder auseinander. Ihre
Resultate werden höchst wahrscheinlich sein: Deutsche Bücher über Frank¬
reich und französische Recensionen über deutsche Bücher. Es ist doch
sonderbar, daß sich Niemand mehr in Deutschland für berühmt hält,
wenn ihm nicht Herr Renu Taillandier belobend auf die Schultern klopfte.
-- Nur die Habitues bleiben zurück. Venedev, nachdem er sein Buch
über das südliche Frankreich vollendet, schreibt jetzt eine Brochüre "Vier-
zehn Tage in Deutschland", die schon durch den Vergleich Deutschland
in den dreißiger Jahren mit dem heutigen Deutschland interessant wird.
Herwegh hat, durch die neuern Vorgange angeregt, Polenlieder geschrie¬
ben. An der Uebersiedelungsgeschichte Heine's ist in sofern etwas Wah¬
res, als er wirklich wünschte, in der Stadt seiner Jugendfreunde einen
kurzen Aufenthalt zu nehmen. Aber auf die leise Anfrage bei einem aus¬
gezeichneten Gelehrten auf privatem Wege bekam er die Antwort, daß
der geistreiche König zwar ein begeisterter Verehrer seines Genies sei, die
Polizei aber sei anderer Meinung. Heine ist übrigens sehr leidend. Die
rechte Hälfte des Gesichtes ist ganz gelähmt, das eine Auge ganz blind
und selbst die Zunge sehr schwach und schnell ermüdet. Seine erbitter¬
testen Feinde, die ihn in diesem traurigen Zustande sehen, müssen sich
mit dem kranken Dichter aussöhnen.

Ich wüßte Ihnen noch manche Neuigkeit zu erzählen, aber die Sonne
scheint zu schön, der Mai ist hier zu wonnig; ich muß hinaus. Mein
Fenster ist offen und herein strömen feierlich? Orgeltöne aus Nütredame
de Lorette. Es ist das Gedächtnißfest Eavaignac's, des großen Republi¬
kaners, des Freundes Armand's, das heute an seinem Todestage in mei¬
ner nächsten Nähe gefeiert wird.


ur.
Aus Stuttgart.

Nadelgeld der Prinzessin Olga. -- Stimmung im Adel und im Publicum.
-- Der Kronprinz. -- Theatercrwartung. -- Der neue Dramaturg. -- Dingel-
stedt und seine Zukunft. --

Der Ankunft der Prinzessin Olga, die im Spätsommer ihren Einzug
hier halten soll, wird mit großer Spannung und mit einer Mischung der
verschiedenartigsten Gefühle entgegen gesehen. Nicht zu läugnen ist's, daß
die reiche Czarentochter, die, wie man sagt, 4<>,WV Ducaten Nadelgeld
jährlich von ihrem Vater erhält, manchen hiesigen Einwohner in Nah¬
rung setzen wird; indessen wäre es beschämend, wollte man das wichtige
politische Moment, das die Verbindung mit dem russischen Hause für
Würtemberg herbeiführt, von so kleinlichen Gesichtspunkte aus betrachten.
Zudem hat der Umstand, daß die Prinzessin ihren.ganzen Trousseau in
Paris verfertigen ließ, die begründete Voraussetzung angeregt, daß ein
guter Theil jener in den Ohren unserer Philister so süß klingenden Summe
gleichfalls Jahr aus Jahr ein den Parisern eher, als den Stuttgartern


Eugene Sue lebt, wie Herr Kollmann richtig bemerkt Hut, auf dem Lande
und soll alle Lust verloren haben, je nach Paris zurückzukehren.

Die hier stattgefundene deutsche Schriftstellerversammlung, — so muß
man die ungewöhnliche Menge deutscher Literaten, die in letzteren Wochen
hier lebten, nennen — geht in wenigen Tagen wieder auseinander. Ihre
Resultate werden höchst wahrscheinlich sein: Deutsche Bücher über Frank¬
reich und französische Recensionen über deutsche Bücher. Es ist doch
sonderbar, daß sich Niemand mehr in Deutschland für berühmt hält,
wenn ihm nicht Herr Renu Taillandier belobend auf die Schultern klopfte.
— Nur die Habitues bleiben zurück. Venedev, nachdem er sein Buch
über das südliche Frankreich vollendet, schreibt jetzt eine Brochüre „Vier-
zehn Tage in Deutschland", die schon durch den Vergleich Deutschland
in den dreißiger Jahren mit dem heutigen Deutschland interessant wird.
Herwegh hat, durch die neuern Vorgange angeregt, Polenlieder geschrie¬
ben. An der Uebersiedelungsgeschichte Heine's ist in sofern etwas Wah¬
res, als er wirklich wünschte, in der Stadt seiner Jugendfreunde einen
kurzen Aufenthalt zu nehmen. Aber auf die leise Anfrage bei einem aus¬
gezeichneten Gelehrten auf privatem Wege bekam er die Antwort, daß
der geistreiche König zwar ein begeisterter Verehrer seines Genies sei, die
Polizei aber sei anderer Meinung. Heine ist übrigens sehr leidend. Die
rechte Hälfte des Gesichtes ist ganz gelähmt, das eine Auge ganz blind
und selbst die Zunge sehr schwach und schnell ermüdet. Seine erbitter¬
testen Feinde, die ihn in diesem traurigen Zustande sehen, müssen sich
mit dem kranken Dichter aussöhnen.

Ich wüßte Ihnen noch manche Neuigkeit zu erzählen, aber die Sonne
scheint zu schön, der Mai ist hier zu wonnig; ich muß hinaus. Mein
Fenster ist offen und herein strömen feierlich? Orgeltöne aus Nütredame
de Lorette. Es ist das Gedächtnißfest Eavaignac's, des großen Republi¬
kaners, des Freundes Armand's, das heute an seinem Todestage in mei¬
ner nächsten Nähe gefeiert wird.


ur.
Aus Stuttgart.

Nadelgeld der Prinzessin Olga. — Stimmung im Adel und im Publicum.
— Der Kronprinz. — Theatercrwartung. — Der neue Dramaturg. — Dingel-
stedt und seine Zukunft. —

Der Ankunft der Prinzessin Olga, die im Spätsommer ihren Einzug
hier halten soll, wird mit großer Spannung und mit einer Mischung der
verschiedenartigsten Gefühle entgegen gesehen. Nicht zu läugnen ist's, daß
die reiche Czarentochter, die, wie man sagt, 4<>,WV Ducaten Nadelgeld
jährlich von ihrem Vater erhält, manchen hiesigen Einwohner in Nah¬
rung setzen wird; indessen wäre es beschämend, wollte man das wichtige
politische Moment, das die Verbindung mit dem russischen Hause für
Würtemberg herbeiführt, von so kleinlichen Gesichtspunkte aus betrachten.
Zudem hat der Umstand, daß die Prinzessin ihren.ganzen Trousseau in
Paris verfertigen ließ, die begründete Voraussetzung angeregt, daß ein
guter Theil jener in den Ohren unserer Philister so süß klingenden Summe
gleichfalls Jahr aus Jahr ein den Parisern eher, als den Stuttgartern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182745"/>
            <p xml:id="ID_897" prev="#ID_896"> Eugene Sue lebt, wie Herr Kollmann richtig bemerkt Hut, auf dem Lande<lb/>
und soll alle Lust verloren haben, je nach Paris zurückzukehren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_898"> Die hier stattgefundene deutsche Schriftstellerversammlung, &#x2014; so muß<lb/>
man die ungewöhnliche Menge deutscher Literaten, die in letzteren Wochen<lb/>
hier lebten, nennen &#x2014; geht in wenigen Tagen wieder auseinander. Ihre<lb/>
Resultate werden höchst wahrscheinlich sein: Deutsche Bücher über Frank¬<lb/>
reich und französische Recensionen über deutsche Bücher. Es ist doch<lb/>
sonderbar, daß sich Niemand mehr in Deutschland für berühmt hält,<lb/>
wenn ihm nicht Herr Renu Taillandier belobend auf die Schultern klopfte.<lb/>
&#x2014; Nur die Habitues bleiben zurück. Venedev, nachdem er sein Buch<lb/>
über das südliche Frankreich vollendet, schreibt jetzt eine Brochüre &#x201E;Vier-<lb/>
zehn Tage in Deutschland", die schon durch den Vergleich Deutschland<lb/>
in den dreißiger Jahren mit dem heutigen Deutschland interessant wird.<lb/>
Herwegh hat, durch die neuern Vorgange angeregt, Polenlieder geschrie¬<lb/>
ben. An der Uebersiedelungsgeschichte Heine's ist in sofern etwas Wah¬<lb/>
res, als er wirklich wünschte, in der Stadt seiner Jugendfreunde einen<lb/>
kurzen Aufenthalt zu nehmen. Aber auf die leise Anfrage bei einem aus¬<lb/>
gezeichneten Gelehrten auf privatem Wege bekam er die Antwort, daß<lb/>
der geistreiche König zwar ein begeisterter Verehrer seines Genies sei, die<lb/>
Polizei aber sei anderer Meinung. Heine ist übrigens sehr leidend. Die<lb/>
rechte Hälfte des Gesichtes ist ganz gelähmt, das eine Auge ganz blind<lb/>
und selbst die Zunge sehr schwach und schnell ermüdet. Seine erbitter¬<lb/>
testen Feinde, die ihn in diesem traurigen Zustande sehen, müssen sich<lb/>
mit dem kranken Dichter aussöhnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_899"> Ich wüßte Ihnen noch manche Neuigkeit zu erzählen, aber die Sonne<lb/>
scheint zu schön, der Mai ist hier zu wonnig; ich muß hinaus. Mein<lb/>
Fenster ist offen und herein strömen feierlich? Orgeltöne aus Nütredame<lb/>
de Lorette. Es ist das Gedächtnißfest Eavaignac's, des großen Republi¬<lb/>
kaners, des Freundes Armand's, das heute an seinem Todestage in mei¬<lb/>
ner nächsten Nähe gefeiert wird.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> ur.<lb/>
Aus Stuttgart.</head><lb/>
            <note type="argument"> Nadelgeld der Prinzessin Olga. &#x2014; Stimmung im Adel und im Publicum.<lb/>
&#x2014; Der Kronprinz. &#x2014; Theatercrwartung. &#x2014; Der neue Dramaturg. &#x2014; Dingel-<lb/>
stedt und seine Zukunft. &#x2014;</note><lb/>
            <p xml:id="ID_900" next="#ID_901"> Der Ankunft der Prinzessin Olga, die im Spätsommer ihren Einzug<lb/>
hier halten soll, wird mit großer Spannung und mit einer Mischung der<lb/>
verschiedenartigsten Gefühle entgegen gesehen. Nicht zu läugnen ist's, daß<lb/>
die reiche Czarentochter, die, wie man sagt, 4&lt;&gt;,WV Ducaten Nadelgeld<lb/>
jährlich von ihrem Vater erhält, manchen hiesigen Einwohner in Nah¬<lb/>
rung setzen wird; indessen wäre es beschämend, wollte man das wichtige<lb/>
politische Moment, das die Verbindung mit dem russischen Hause für<lb/>
Würtemberg herbeiführt, von so kleinlichen Gesichtspunkte aus betrachten.<lb/>
Zudem hat der Umstand, daß die Prinzessin ihren.ganzen Trousseau in<lb/>
Paris verfertigen ließ, die begründete Voraussetzung angeregt, daß ein<lb/>
guter Theil jener in den Ohren unserer Philister so süß klingenden Summe<lb/>
gleichfalls Jahr aus Jahr ein den Parisern eher, als den Stuttgartern</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0322] Eugene Sue lebt, wie Herr Kollmann richtig bemerkt Hut, auf dem Lande und soll alle Lust verloren haben, je nach Paris zurückzukehren. Die hier stattgefundene deutsche Schriftstellerversammlung, — so muß man die ungewöhnliche Menge deutscher Literaten, die in letzteren Wochen hier lebten, nennen — geht in wenigen Tagen wieder auseinander. Ihre Resultate werden höchst wahrscheinlich sein: Deutsche Bücher über Frank¬ reich und französische Recensionen über deutsche Bücher. Es ist doch sonderbar, daß sich Niemand mehr in Deutschland für berühmt hält, wenn ihm nicht Herr Renu Taillandier belobend auf die Schultern klopfte. — Nur die Habitues bleiben zurück. Venedev, nachdem er sein Buch über das südliche Frankreich vollendet, schreibt jetzt eine Brochüre „Vier- zehn Tage in Deutschland", die schon durch den Vergleich Deutschland in den dreißiger Jahren mit dem heutigen Deutschland interessant wird. Herwegh hat, durch die neuern Vorgange angeregt, Polenlieder geschrie¬ ben. An der Uebersiedelungsgeschichte Heine's ist in sofern etwas Wah¬ res, als er wirklich wünschte, in der Stadt seiner Jugendfreunde einen kurzen Aufenthalt zu nehmen. Aber auf die leise Anfrage bei einem aus¬ gezeichneten Gelehrten auf privatem Wege bekam er die Antwort, daß der geistreiche König zwar ein begeisterter Verehrer seines Genies sei, die Polizei aber sei anderer Meinung. Heine ist übrigens sehr leidend. Die rechte Hälfte des Gesichtes ist ganz gelähmt, das eine Auge ganz blind und selbst die Zunge sehr schwach und schnell ermüdet. Seine erbitter¬ testen Feinde, die ihn in diesem traurigen Zustande sehen, müssen sich mit dem kranken Dichter aussöhnen. Ich wüßte Ihnen noch manche Neuigkeit zu erzählen, aber die Sonne scheint zu schön, der Mai ist hier zu wonnig; ich muß hinaus. Mein Fenster ist offen und herein strömen feierlich? Orgeltöne aus Nütredame de Lorette. Es ist das Gedächtnißfest Eavaignac's, des großen Republi¬ kaners, des Freundes Armand's, das heute an seinem Todestage in mei¬ ner nächsten Nähe gefeiert wird. ur. Aus Stuttgart. Nadelgeld der Prinzessin Olga. — Stimmung im Adel und im Publicum. — Der Kronprinz. — Theatercrwartung. — Der neue Dramaturg. — Dingel- stedt und seine Zukunft. — Der Ankunft der Prinzessin Olga, die im Spätsommer ihren Einzug hier halten soll, wird mit großer Spannung und mit einer Mischung der verschiedenartigsten Gefühle entgegen gesehen. Nicht zu läugnen ist's, daß die reiche Czarentochter, die, wie man sagt, 4<>,WV Ducaten Nadelgeld jährlich von ihrem Vater erhält, manchen hiesigen Einwohner in Nah¬ rung setzen wird; indessen wäre es beschämend, wollte man das wichtige politische Moment, das die Verbindung mit dem russischen Hause für Würtemberg herbeiführt, von so kleinlichen Gesichtspunkte aus betrachten. Zudem hat der Umstand, daß die Prinzessin ihren.ganzen Trousseau in Paris verfertigen ließ, die begründete Voraussetzung angeregt, daß ein guter Theil jener in den Ohren unserer Philister so süß klingenden Summe gleichfalls Jahr aus Jahr ein den Parisern eher, als den Stuttgartern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/322
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/322>, abgerufen am 24.11.2024.