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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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nicht rrcht ist. Unlängst wurde es ihm aber nun gar zu arg, er be-
schwerte sich beim Grafen Sedlnitzky und verlangte ein radikales Mittel
gegen die Journale. Der Graf ficht ihn verwundert an. Aber welches
denn, Excellenz? -- Man müßte den Leuten verbieten über das Burg¬
theater zu schreiben. Der Graf Sedlnitzky schweigt und sagt endlich:
Wenn das Burgtheater keine Kritik aushalten kann, so kann es auch
nicht dem Publicum genügen -- so weit kann ich nicht gehen!

Man erzählt, daß Bekmann bei Antritt seines Engagements am
Burgtheater 60 neue Rollen zugeschickt erhalten, bestehend aus Srücken
von Kotzebue, Jffland, Schröder und Aiegler. -- Unser Burgtheater ist
sehr klassisch!


III.
Aus Berlin.

Die "Zeitungshalle". -- Die ältere Journalistik. -- MadMarcia. -- Dle italieni¬
sche Oper. -- Die Kunstausstellung. -- Kossak. --

So eben lauft die zweite Probenummer der von G. Julius neuge¬
gründeten vierten Berliner politischen Zeitung ein. Es mag schwer sein,
auf dem hiesigen Terrain etwa fünfzig tausend blastrten Individuen
gegenüber, die Ansprüche nicht dieser allein, sondern auch die Forderungen
der weniger wahrhaft gebildeten Leser zu befriedigen, die von einer Zeit¬
schrift den jedesmaligen Ausdruck der Localität einer Aeitphysiognomie
verlangen. Vor der Hand läßt sich dem Unternehmen nicht Energie in
der Art und Weise, wie es in's Werk gesetzt wird, absprechen; werden
sich später die dabei betheiligten Kräfte mit ähnlicher Intensität in Hinsicht
der Gesinnung äußern, so dürfen wir hoffen, den bisherigen berlinischen
Zeitungsccrberus, der uns zwar nur mit einer Seele, aber doch mit
drei zahnlosen löschpapiernen Schlünden alltäglich angefahren hat, ein
wehmüthiges Klagegeheul anheben zu hören.

Schon greift sich die ehrwürdige Alte unter der Redaction des Dr.
Spiker mit täglichen leitenden Artikeln an, schon pfeffert die Zeitung der
Bossischen Erben ihren Häringssalat mit den scharfen Gewürzen aller
Welttheile und nur die Staatszeitung, die nichts zu verlieren hat,
Abonnenten am wenigsten, sieht dem Treiben mit stoischer Seelen¬
ruhe zu.

Von künstlerischen Notabilitäten befindet sich gegenwärtig Mad. Pau¬
line Viardot-Garcia in unsern Mauern. Wir hoffen diese Sängerin
ersten Ranges am Sonnabend in der Parthie der Konnambuli" zum
ersten Mal zu hören. Ein Vergnügen, das uns wahrscheinlich durch die
unvermeidliche Mitwirkung des übrigen Theaterpersonals im höchsten
Grade verleidet werden wird. Es pflegt hier in Berlin in jeder Hinsicht
dafür gesorgt zu werden, daß uns nicht zu wohl sei! Die Königstädtische
Bühne hat nämlich ein Rachecorps engagirt, welches Häuflein bei den
Berlinern in totale Ungnade gefallen ist. Selbst die Anstrengungen des
Dr. Lange, der im erhebenden Bewußtsein zweier Freibillets zu Parquet


nicht rrcht ist. Unlängst wurde es ihm aber nun gar zu arg, er be-
schwerte sich beim Grafen Sedlnitzky und verlangte ein radikales Mittel
gegen die Journale. Der Graf ficht ihn verwundert an. Aber welches
denn, Excellenz? — Man müßte den Leuten verbieten über das Burg¬
theater zu schreiben. Der Graf Sedlnitzky schweigt und sagt endlich:
Wenn das Burgtheater keine Kritik aushalten kann, so kann es auch
nicht dem Publicum genügen — so weit kann ich nicht gehen!

Man erzählt, daß Bekmann bei Antritt seines Engagements am
Burgtheater 60 neue Rollen zugeschickt erhalten, bestehend aus Srücken
von Kotzebue, Jffland, Schröder und Aiegler. — Unser Burgtheater ist
sehr klassisch!


III.
Aus Berlin.

Die „Zeitungshalle". — Die ältere Journalistik. — MadMarcia. — Dle italieni¬
sche Oper. — Die Kunstausstellung. — Kossak. —

So eben lauft die zweite Probenummer der von G. Julius neuge¬
gründeten vierten Berliner politischen Zeitung ein. Es mag schwer sein,
auf dem hiesigen Terrain etwa fünfzig tausend blastrten Individuen
gegenüber, die Ansprüche nicht dieser allein, sondern auch die Forderungen
der weniger wahrhaft gebildeten Leser zu befriedigen, die von einer Zeit¬
schrift den jedesmaligen Ausdruck der Localität einer Aeitphysiognomie
verlangen. Vor der Hand läßt sich dem Unternehmen nicht Energie in
der Art und Weise, wie es in's Werk gesetzt wird, absprechen; werden
sich später die dabei betheiligten Kräfte mit ähnlicher Intensität in Hinsicht
der Gesinnung äußern, so dürfen wir hoffen, den bisherigen berlinischen
Zeitungsccrberus, der uns zwar nur mit einer Seele, aber doch mit
drei zahnlosen löschpapiernen Schlünden alltäglich angefahren hat, ein
wehmüthiges Klagegeheul anheben zu hören.

Schon greift sich die ehrwürdige Alte unter der Redaction des Dr.
Spiker mit täglichen leitenden Artikeln an, schon pfeffert die Zeitung der
Bossischen Erben ihren Häringssalat mit den scharfen Gewürzen aller
Welttheile und nur die Staatszeitung, die nichts zu verlieren hat,
Abonnenten am wenigsten, sieht dem Treiben mit stoischer Seelen¬
ruhe zu.

Von künstlerischen Notabilitäten befindet sich gegenwärtig Mad. Pau¬
line Viardot-Garcia in unsern Mauern. Wir hoffen diese Sängerin
ersten Ranges am Sonnabend in der Parthie der Konnambuli» zum
ersten Mal zu hören. Ein Vergnügen, das uns wahrscheinlich durch die
unvermeidliche Mitwirkung des übrigen Theaterpersonals im höchsten
Grade verleidet werden wird. Es pflegt hier in Berlin in jeder Hinsicht
dafür gesorgt zu werden, daß uns nicht zu wohl sei! Die Königstädtische
Bühne hat nämlich ein Rachecorps engagirt, welches Häuflein bei den
Berlinern in totale Ungnade gefallen ist. Selbst die Anstrengungen des
Dr. Lange, der im erhebenden Bewußtsein zweier Freibillets zu Parquet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/556>, abgerufen am 24.07.2024.