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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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den Schicksalen eines gewissen Fisches, der nur in einer gewissen Meer¬
enge gefangen werde, und den die Liebe in's Verderben ziehe. Bei die¬
ser Fischart herrsche nämlich Vielmännerei, wie in der Türkei Vielwei¬
berei. Frau Fischin erscheine in der verliebten Jahreszeit mit einem
großen Gefolge von Liebhabern. Gelange es dem Fischer, was nicht
schwer, die Frau zu fangen, so verließen die Männer den Ort nicht, wo
ihnen die Herrin abhanden gekommen und so würden sie alle gefangen.
Bei den Fischen komme also die Liebe, der Wissenschaft zu Hilfe, wah¬
rend sie die Menschen, die sich ihr Hingaben, davon abzöge. Rüppell
zeigte uns zugleich ein Exemplar dieses verliebten und wissenschaftlichen
Fisches, um dessen Namen ich ihn wieder fragen muß. Noch einen an¬
dern Fisch zeigte er uns und rühmte ihn wegen seiner Seltenheit. Ganz
Kuropa besitze etwa nur drei Exemplare, eins sei in dem Pariser Mu¬
seum, die andern beiden, und zwar durch den wackern Rüppell in dem
L ,
M--r. ondoner und Frankfurter.


III.
Notizen.

Gutzkow über Polen. -- Deutsche Lippen.

Der neueste Band von "Gutzkow's gesammelten Schriften" enthält
die ihrer Zeit so vielbesprochenen Briefe aus Paris nebst Ergänzungen
.ins dem .Jahre 1846. Hier ist uns namentlich eine die Polen betreff
sende Stelle aufgefallen, welche mit dem Grundgedanken der bekannten
Schrift von Schuselka zusammentrifft, obgleich beide Schriftsteller hun¬
dert Meilen von einander und ohne allen Zusammenhang leben. Es ist
dies ein Beweis, daß die höher gestimmten Geister deutscher Nation die
Achtung vor dem ursprünglichen Recht eines großen Volkes über den
nationalen Egoismus zu setzen wissen. Gutzkow gibt seine Ansichten über
Polen in der Form eines Frühlingstraumö. "Die Politik des 19. Jahrhun¬
derts ist zu sehr auf Humanität gebaut, die Bildung des Staatsmannes
ist eine zu öffentliche und geschichtliche, als daß Polen je Ursache zu ha¬
ben brauchte, seine Hoffnungen aufzugeben. Der Tag seiner Freiheit
müsse kommen, das steht eingeschrieben in unser Herz, mag es auch sonst
für die Polen nicht eben stark empfinden. Wir wissen, daß man Na¬
tionen nicht vom Papiere streichen kann. Polens Theilung ist keine alle
Mythe von den Zeiten der Völkerwanderung her. Polens Theilung ist
von Ursachen ausgegangen, die unsre Geschichtskenntniß uns seither gründ¬
lich hat verachten lehren, von Männern, über die unsere jetzigen Fürsten
selbst, bei ihren starken religiösen Vorurtheilen wenigstens, den Stab
brechen. Wie urtheilt wohl Friedrich Wilhelm IV. über seinen Großohm,
über Katharina, über Potemkin, Kaunitz? Gewiß, diese Erbschaft deS
18. Jahrhunderts entbehrt aller Ehrwürdigkeit, an dieser klebt kein "ver¬
schönernder Rost der Jahrhunderte", sie ist beschämend und überredet zur
Gerechtigkeit, zur besseren Entgeltung, zur Wiederherstellung."


Grenzboten. III. 1"^". 59

den Schicksalen eines gewissen Fisches, der nur in einer gewissen Meer¬
enge gefangen werde, und den die Liebe in's Verderben ziehe. Bei die¬
ser Fischart herrsche nämlich Vielmännerei, wie in der Türkei Vielwei¬
berei. Frau Fischin erscheine in der verliebten Jahreszeit mit einem
großen Gefolge von Liebhabern. Gelange es dem Fischer, was nicht
schwer, die Frau zu fangen, so verließen die Männer den Ort nicht, wo
ihnen die Herrin abhanden gekommen und so würden sie alle gefangen.
Bei den Fischen komme also die Liebe, der Wissenschaft zu Hilfe, wah¬
rend sie die Menschen, die sich ihr Hingaben, davon abzöge. Rüppell
zeigte uns zugleich ein Exemplar dieses verliebten und wissenschaftlichen
Fisches, um dessen Namen ich ihn wieder fragen muß. Noch einen an¬
dern Fisch zeigte er uns und rühmte ihn wegen seiner Seltenheit. Ganz
Kuropa besitze etwa nur drei Exemplare, eins sei in dem Pariser Mu¬
seum, die andern beiden, und zwar durch den wackern Rüppell in dem
L ,
M—r. ondoner und Frankfurter.


III.
Notizen.

Gutzkow über Polen. — Deutsche Lippen.

Der neueste Band von „Gutzkow's gesammelten Schriften" enthält
die ihrer Zeit so vielbesprochenen Briefe aus Paris nebst Ergänzungen
.ins dem .Jahre 1846. Hier ist uns namentlich eine die Polen betreff
sende Stelle aufgefallen, welche mit dem Grundgedanken der bekannten
Schrift von Schuselka zusammentrifft, obgleich beide Schriftsteller hun¬
dert Meilen von einander und ohne allen Zusammenhang leben. Es ist
dies ein Beweis, daß die höher gestimmten Geister deutscher Nation die
Achtung vor dem ursprünglichen Recht eines großen Volkes über den
nationalen Egoismus zu setzen wissen. Gutzkow gibt seine Ansichten über
Polen in der Form eines Frühlingstraumö. „Die Politik des 19. Jahrhun¬
derts ist zu sehr auf Humanität gebaut, die Bildung des Staatsmannes
ist eine zu öffentliche und geschichtliche, als daß Polen je Ursache zu ha¬
ben brauchte, seine Hoffnungen aufzugeben. Der Tag seiner Freiheit
müsse kommen, das steht eingeschrieben in unser Herz, mag es auch sonst
für die Polen nicht eben stark empfinden. Wir wissen, daß man Na¬
tionen nicht vom Papiere streichen kann. Polens Theilung ist keine alle
Mythe von den Zeiten der Völkerwanderung her. Polens Theilung ist
von Ursachen ausgegangen, die unsre Geschichtskenntniß uns seither gründ¬
lich hat verachten lehren, von Männern, über die unsere jetzigen Fürsten
selbst, bei ihren starken religiösen Vorurtheilen wenigstens, den Stab
brechen. Wie urtheilt wohl Friedrich Wilhelm IV. über seinen Großohm,
über Katharina, über Potemkin, Kaunitz? Gewiß, diese Erbschaft deS
18. Jahrhunderts entbehrt aller Ehrwürdigkeit, an dieser klebt kein „ver¬
schönernder Rost der Jahrhunderte", sie ist beschämend und überredet zur
Gerechtigkeit, zur besseren Entgeltung, zur Wiederherstellung."


Grenzboten. III. 1«^«. 59
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[0447] den Schicksalen eines gewissen Fisches, der nur in einer gewissen Meer¬ enge gefangen werde, und den die Liebe in's Verderben ziehe. Bei die¬ ser Fischart herrsche nämlich Vielmännerei, wie in der Türkei Vielwei¬ berei. Frau Fischin erscheine in der verliebten Jahreszeit mit einem großen Gefolge von Liebhabern. Gelange es dem Fischer, was nicht schwer, die Frau zu fangen, so verließen die Männer den Ort nicht, wo ihnen die Herrin abhanden gekommen und so würden sie alle gefangen. Bei den Fischen komme also die Liebe, der Wissenschaft zu Hilfe, wah¬ rend sie die Menschen, die sich ihr Hingaben, davon abzöge. Rüppell zeigte uns zugleich ein Exemplar dieses verliebten und wissenschaftlichen Fisches, um dessen Namen ich ihn wieder fragen muß. Noch einen an¬ dern Fisch zeigte er uns und rühmte ihn wegen seiner Seltenheit. Ganz Kuropa besitze etwa nur drei Exemplare, eins sei in dem Pariser Mu¬ seum, die andern beiden, und zwar durch den wackern Rüppell in dem L , M—r. ondoner und Frankfurter. III. Notizen. Gutzkow über Polen. — Deutsche Lippen. Der neueste Band von „Gutzkow's gesammelten Schriften" enthält die ihrer Zeit so vielbesprochenen Briefe aus Paris nebst Ergänzungen .ins dem .Jahre 1846. Hier ist uns namentlich eine die Polen betreff sende Stelle aufgefallen, welche mit dem Grundgedanken der bekannten Schrift von Schuselka zusammentrifft, obgleich beide Schriftsteller hun¬ dert Meilen von einander und ohne allen Zusammenhang leben. Es ist dies ein Beweis, daß die höher gestimmten Geister deutscher Nation die Achtung vor dem ursprünglichen Recht eines großen Volkes über den nationalen Egoismus zu setzen wissen. Gutzkow gibt seine Ansichten über Polen in der Form eines Frühlingstraumö. „Die Politik des 19. Jahrhun¬ derts ist zu sehr auf Humanität gebaut, die Bildung des Staatsmannes ist eine zu öffentliche und geschichtliche, als daß Polen je Ursache zu ha¬ ben brauchte, seine Hoffnungen aufzugeben. Der Tag seiner Freiheit müsse kommen, das steht eingeschrieben in unser Herz, mag es auch sonst für die Polen nicht eben stark empfinden. Wir wissen, daß man Na¬ tionen nicht vom Papiere streichen kann. Polens Theilung ist keine alle Mythe von den Zeiten der Völkerwanderung her. Polens Theilung ist von Ursachen ausgegangen, die unsre Geschichtskenntniß uns seither gründ¬ lich hat verachten lehren, von Männern, über die unsere jetzigen Fürsten selbst, bei ihren starken religiösen Vorurtheilen wenigstens, den Stab brechen. Wie urtheilt wohl Friedrich Wilhelm IV. über seinen Großohm, über Katharina, über Potemkin, Kaunitz? Gewiß, diese Erbschaft deS 18. Jahrhunderts entbehrt aller Ehrwürdigkeit, an dieser klebt kein „ver¬ schönernder Rost der Jahrhunderte", sie ist beschämend und überredet zur Gerechtigkeit, zur besseren Entgeltung, zur Wiederherstellung." Grenzboten. III. 1«^«. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/447>, abgerufen am 24.07.2024.