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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Baiern, so könnte man das Münsterland die bairische Provinz in
Preußen nennen. Rei'igion, Bier, Adel und Philiftrösitnt weisen aus
Westphasen nach München hin; auch die Tugenden der Geduld und
Gutmüthigkeit theilt diese Provinz mit Baiern. Kein Wunder, daß
der preußische Hof, der zu jenem Königreiche und dessen Institutionen
so innige Zuneigung hat, auch auf Westphale", zumal auf das prote¬
stantische, mit Stolz und Vorliebe hinblickt und es als einen hellen,
glänzenden Juwel in der Krone werthschätzt. Westphalen ist eine der
loyalsten Provinzen des Königreichs, weshalb es auch mit den wenig¬
sten Truppen bedeckt ist.


"l.

Der oberflächliche Anblick des ebenen Landes stimmt traurig und
langweilig. Dichte, unwegsame Wälder, denen mir Berge, Ruinen
und Bäche fehlen, um anmuthig und romantisch zu sein, bedecken den
einen Theil des Landes, dessen andere Hälfte aus Haiden und sauern
Wiesen besteht. Hier und da unterbricht ein Dorf mit rothen Dächern
und grünen Eichen, von einem weiten Ringe von Aeckern umgeben,
die Einförmigkeit der Gegend. Die Häuser stehen weit auseinander,
es sollte schon die Bauart die Ungeselligkeit der Bewohner ausdrücken.
Nur die wenigsten Höhe liegen so nahe zusammen, daß ein Franke
oder Schwabe den Compler derselben ein Dorf nennen würde; die
meisten und ansehnlichsten trifft man vereinzelt an, wo gerade die Wälder,
Aecker und Wiesen des Eigenthümers sich befinden. Für den Ackerbau mag
? ^lese Zerstreutheit der Bauerhöfe, welche schon Tacitus an den alten
^aHsm bemerkt hat, günstig sein; der Bildung, der Gesittung, der
Aufklärung steht sie jedenfalls im Wege. So hat sich denn auch
eigentlich in diesem nördlichen Theile Westphalens kein Volksleben ent¬
wickeln können; jene ausgeprägten Dorfsitten, die das süddeutsche Leben
so originell machen, -- man erinnere sich nur an Auerbach's Schwarz¬
wälder Dorfgeschichten, -- vermißt man in dieser Gegend, wo die Be¬
wohner durch nichts, als durch den gemeinen Beruf und die gemein¬
same Religion zusammengeschlossen werden.

Je weniger aber das Dorf- und Volksleben sich herausgebildet hat,
desto mehr tritt die Familie, das Haus, der einzelne Hofin den Vordergrund.
Ein festes, kräftiges Familienleben hat sich in diesen Gegenden entwickelt,
wie es nur in "ralten Zeiten^ wo es noch keine Völker und Staaten, sondern
blos Familien und Stämme gab, vorkommen konnte. Die Bewohner eines,
Hofes bilden gewissermaßen eine Corporation, eine Fons; Knechte, Mägde,


Baiern, so könnte man das Münsterland die bairische Provinz in
Preußen nennen. Rei'igion, Bier, Adel und Philiftrösitnt weisen aus
Westphasen nach München hin; auch die Tugenden der Geduld und
Gutmüthigkeit theilt diese Provinz mit Baiern. Kein Wunder, daß
der preußische Hof, der zu jenem Königreiche und dessen Institutionen
so innige Zuneigung hat, auch auf Westphale», zumal auf das prote¬
stantische, mit Stolz und Vorliebe hinblickt und es als einen hellen,
glänzenden Juwel in der Krone werthschätzt. Westphalen ist eine der
loyalsten Provinzen des Königreichs, weshalb es auch mit den wenig¬
sten Truppen bedeckt ist.


«l.

Der oberflächliche Anblick des ebenen Landes stimmt traurig und
langweilig. Dichte, unwegsame Wälder, denen mir Berge, Ruinen
und Bäche fehlen, um anmuthig und romantisch zu sein, bedecken den
einen Theil des Landes, dessen andere Hälfte aus Haiden und sauern
Wiesen besteht. Hier und da unterbricht ein Dorf mit rothen Dächern
und grünen Eichen, von einem weiten Ringe von Aeckern umgeben,
die Einförmigkeit der Gegend. Die Häuser stehen weit auseinander,
es sollte schon die Bauart die Ungeselligkeit der Bewohner ausdrücken.
Nur die wenigsten Höhe liegen so nahe zusammen, daß ein Franke
oder Schwabe den Compler derselben ein Dorf nennen würde; die
meisten und ansehnlichsten trifft man vereinzelt an, wo gerade die Wälder,
Aecker und Wiesen des Eigenthümers sich befinden. Für den Ackerbau mag
? ^lese Zerstreutheit der Bauerhöfe, welche schon Tacitus an den alten
^aHsm bemerkt hat, günstig sein; der Bildung, der Gesittung, der
Aufklärung steht sie jedenfalls im Wege. So hat sich denn auch
eigentlich in diesem nördlichen Theile Westphalens kein Volksleben ent¬
wickeln können; jene ausgeprägten Dorfsitten, die das süddeutsche Leben
so originell machen, — man erinnere sich nur an Auerbach's Schwarz¬
wälder Dorfgeschichten, — vermißt man in dieser Gegend, wo die Be¬
wohner durch nichts, als durch den gemeinen Beruf und die gemein¬
same Religion zusammengeschlossen werden.

Je weniger aber das Dorf- und Volksleben sich herausgebildet hat,
desto mehr tritt die Familie, das Haus, der einzelne Hofin den Vordergrund.
Ein festes, kräftiges Familienleben hat sich in diesen Gegenden entwickelt,
wie es nur in «ralten Zeiten^ wo es noch keine Völker und Staaten, sondern
blos Familien und Stämme gab, vorkommen konnte. Die Bewohner eines,
Hofes bilden gewissermaßen eine Corporation, eine Fons; Knechte, Mägde,


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[0376] Baiern, so könnte man das Münsterland die bairische Provinz in Preußen nennen. Rei'igion, Bier, Adel und Philiftrösitnt weisen aus Westphasen nach München hin; auch die Tugenden der Geduld und Gutmüthigkeit theilt diese Provinz mit Baiern. Kein Wunder, daß der preußische Hof, der zu jenem Königreiche und dessen Institutionen so innige Zuneigung hat, auch auf Westphale», zumal auf das prote¬ stantische, mit Stolz und Vorliebe hinblickt und es als einen hellen, glänzenden Juwel in der Krone werthschätzt. Westphalen ist eine der loyalsten Provinzen des Königreichs, weshalb es auch mit den wenig¬ sten Truppen bedeckt ist. «l. Der oberflächliche Anblick des ebenen Landes stimmt traurig und langweilig. Dichte, unwegsame Wälder, denen mir Berge, Ruinen und Bäche fehlen, um anmuthig und romantisch zu sein, bedecken den einen Theil des Landes, dessen andere Hälfte aus Haiden und sauern Wiesen besteht. Hier und da unterbricht ein Dorf mit rothen Dächern und grünen Eichen, von einem weiten Ringe von Aeckern umgeben, die Einförmigkeit der Gegend. Die Häuser stehen weit auseinander, es sollte schon die Bauart die Ungeselligkeit der Bewohner ausdrücken. Nur die wenigsten Höhe liegen so nahe zusammen, daß ein Franke oder Schwabe den Compler derselben ein Dorf nennen würde; die meisten und ansehnlichsten trifft man vereinzelt an, wo gerade die Wälder, Aecker und Wiesen des Eigenthümers sich befinden. Für den Ackerbau mag ? ^lese Zerstreutheit der Bauerhöfe, welche schon Tacitus an den alten ^aHsm bemerkt hat, günstig sein; der Bildung, der Gesittung, der Aufklärung steht sie jedenfalls im Wege. So hat sich denn auch eigentlich in diesem nördlichen Theile Westphalens kein Volksleben ent¬ wickeln können; jene ausgeprägten Dorfsitten, die das süddeutsche Leben so originell machen, — man erinnere sich nur an Auerbach's Schwarz¬ wälder Dorfgeschichten, — vermißt man in dieser Gegend, wo die Be¬ wohner durch nichts, als durch den gemeinen Beruf und die gemein¬ same Religion zusammengeschlossen werden. Je weniger aber das Dorf- und Volksleben sich herausgebildet hat, desto mehr tritt die Familie, das Haus, der einzelne Hofin den Vordergrund. Ein festes, kräftiges Familienleben hat sich in diesen Gegenden entwickelt, wie es nur in «ralten Zeiten^ wo es noch keine Völker und Staaten, sondern blos Familien und Stämme gab, vorkommen konnte. Die Bewohner eines, Hofes bilden gewissermaßen eine Corporation, eine Fons; Knechte, Mägde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/376>, abgerufen am 24.07.2024.