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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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ihm unbequem ist, diesen abweist, wahrend gewisse patriotische Blätter
Preußens vor einigen Wochen, als die Weser und Bremer Zeitung ver¬
boten wurden, nicht undeutlich zu verstehen gaben, dieses sei auf das
Drängen einer fremden Macht geschehen: Wir Preußen, war damals
zwischen den Zeilen zu lesen, wir hatten gegen die Bremer Zeitungen
nichts einzuwenden, wir sind liberal und können ein freies Wort ver¬
tragen, aber da drüben der reactionaire Nachbar hat es gewünscht und
wir konnten nicht umhin, ihm nachzugeben. Wie kommt es, daß die
preußischen loyalen Correspondenzen damals so sonderbarer Weise ver¬
gessen konnten, daß Preußen keinen Nach von einem fremden Cabinette
sich hole, daß Preußen gewohnt sei, selbstständig zu handeln u. s. w. ?
Der Wind und der Mantel bleiben immer dieselben, die Kunst besteht
nur darin, wie man den letzten umhängt. Gilt es, sich rein zu waschen
-- so schiebt man seine Eier der Nachbarhenne unter; gilt es, seine
eigene Kraft zu zeigen, so hebt man die Flügel und schreit: "ich allein
brüte sie aus". Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu.


-- Rainer --

Andere Gerückte über Graf Stadion. -- Die Wiener und die Trichter Börse. --
Halm. --!)>'. Becher. --Ueber Czörning's statistische Tabellen. -- Die Gcwerbesraae.

Es hat der Staat einen seiner ausgezeichnetsten Diener verloren --
der Graf Stadion, Gouverneur von Triest, hat seine Demission einge¬
geben. Sie werden vielleicht in einer Zeitung die geheimnißvolle Notiz
gelesenhaben: GrafStadion hat plötzlich seinen Posten verlassen, undhateine
Reise nach England unternommen -- in Obigem findet diese Nachricht
ihre Erläuterung. Die Umstände aber, welche diesen Entschluß bei dem
Grafen herbeigeführt, werfen wieder ein neues, aber leider ein betrübendes
Bild auf den Gang unserer Verwaltung, und zeigen neuerdings, wie
selbst dem hochgestellten Beamten oft Fesseln angelegt werden, unbekümmert,
ob diese Fessel nicht eines der wichtigsten Räder der ganzen Maschine
hemme. Der Gang der Sache war dieser. Auf der Börse zu Triest
waren zwei Kaufleute thätlich aneinander gerathen, und dieser dort un¬
erhörte Scandal war von den Börsenvorstanden dahin entschieden worden,
daß der angreifende Theil viertausend Gulden Strafe zahlen sollte, nach¬
dem früher mehrere Stimmen dafür gewesen waren, den Eintritt auf die
Börse für immer zu verweigern. Der Angeschuldigte, dem diese Straft
zu hoch schien, wollte sich endlich nur zur Zahlung von fünfzehnhundert
Gulden herbeilassen, und als der Börsen-Vorstand auf dem alten Ausspruch
bestand, ward die Sache Gegenstand einer gerichtlichen Klage und dem
Süstenländischen Gubernium vorgelegt *). Graf Stadion, die Wichtigkeit



,. *) Hier scheint ein Irrthum vorzuwalten. Das Gubernium ist eine poli¬
tische Behörde; die richterlichen Behörden sind der Magistrat und die Appellation.

ihm unbequem ist, diesen abweist, wahrend gewisse patriotische Blätter
Preußens vor einigen Wochen, als die Weser und Bremer Zeitung ver¬
boten wurden, nicht undeutlich zu verstehen gaben, dieses sei auf das
Drängen einer fremden Macht geschehen: Wir Preußen, war damals
zwischen den Zeilen zu lesen, wir hatten gegen die Bremer Zeitungen
nichts einzuwenden, wir sind liberal und können ein freies Wort ver¬
tragen, aber da drüben der reactionaire Nachbar hat es gewünscht und
wir konnten nicht umhin, ihm nachzugeben. Wie kommt es, daß die
preußischen loyalen Correspondenzen damals so sonderbarer Weise ver¬
gessen konnten, daß Preußen keinen Nach von einem fremden Cabinette
sich hole, daß Preußen gewohnt sei, selbstständig zu handeln u. s. w. ?
Der Wind und der Mantel bleiben immer dieselben, die Kunst besteht
nur darin, wie man den letzten umhängt. Gilt es, sich rein zu waschen
— so schiebt man seine Eier der Nachbarhenne unter; gilt es, seine
eigene Kraft zu zeigen, so hebt man die Flügel und schreit: „ich allein
brüte sie aus". Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu.


— Rainer —

Andere Gerückte über Graf Stadion. — Die Wiener und die Trichter Börse. —
Halm. —!)>'. Becher. —Ueber Czörning's statistische Tabellen. — Die Gcwerbesraae.

Es hat der Staat einen seiner ausgezeichnetsten Diener verloren —
der Graf Stadion, Gouverneur von Triest, hat seine Demission einge¬
geben. Sie werden vielleicht in einer Zeitung die geheimnißvolle Notiz
gelesenhaben: GrafStadion hat plötzlich seinen Posten verlassen, undhateine
Reise nach England unternommen — in Obigem findet diese Nachricht
ihre Erläuterung. Die Umstände aber, welche diesen Entschluß bei dem
Grafen herbeigeführt, werfen wieder ein neues, aber leider ein betrübendes
Bild auf den Gang unserer Verwaltung, und zeigen neuerdings, wie
selbst dem hochgestellten Beamten oft Fesseln angelegt werden, unbekümmert,
ob diese Fessel nicht eines der wichtigsten Räder der ganzen Maschine
hemme. Der Gang der Sache war dieser. Auf der Börse zu Triest
waren zwei Kaufleute thätlich aneinander gerathen, und dieser dort un¬
erhörte Scandal war von den Börsenvorstanden dahin entschieden worden,
daß der angreifende Theil viertausend Gulden Strafe zahlen sollte, nach¬
dem früher mehrere Stimmen dafür gewesen waren, den Eintritt auf die
Börse für immer zu verweigern. Der Angeschuldigte, dem diese Straft
zu hoch schien, wollte sich endlich nur zur Zahlung von fünfzehnhundert
Gulden herbeilassen, und als der Börsen-Vorstand auf dem alten Ausspruch
bestand, ward die Sache Gegenstand einer gerichtlichen Klage und dem
Süstenländischen Gubernium vorgelegt *). Graf Stadion, die Wichtigkeit



,. *) Hier scheint ein Irrthum vorzuwalten. Das Gubernium ist eine poli¬
tische Behörde; die richterlichen Behörden sind der Magistrat und die Appellation.
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[0360] ihm unbequem ist, diesen abweist, wahrend gewisse patriotische Blätter Preußens vor einigen Wochen, als die Weser und Bremer Zeitung ver¬ boten wurden, nicht undeutlich zu verstehen gaben, dieses sei auf das Drängen einer fremden Macht geschehen: Wir Preußen, war damals zwischen den Zeilen zu lesen, wir hatten gegen die Bremer Zeitungen nichts einzuwenden, wir sind liberal und können ein freies Wort ver¬ tragen, aber da drüben der reactionaire Nachbar hat es gewünscht und wir konnten nicht umhin, ihm nachzugeben. Wie kommt es, daß die preußischen loyalen Correspondenzen damals so sonderbarer Weise ver¬ gessen konnten, daß Preußen keinen Nach von einem fremden Cabinette sich hole, daß Preußen gewohnt sei, selbstständig zu handeln u. s. w. ? Der Wind und der Mantel bleiben immer dieselben, die Kunst besteht nur darin, wie man den letzten umhängt. Gilt es, sich rein zu waschen — so schiebt man seine Eier der Nachbarhenne unter; gilt es, seine eigene Kraft zu zeigen, so hebt man die Flügel und schreit: „ich allein brüte sie aus". Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu. — Rainer — Andere Gerückte über Graf Stadion. — Die Wiener und die Trichter Börse. — Halm. —!)>'. Becher. —Ueber Czörning's statistische Tabellen. — Die Gcwerbesraae. Es hat der Staat einen seiner ausgezeichnetsten Diener verloren — der Graf Stadion, Gouverneur von Triest, hat seine Demission einge¬ geben. Sie werden vielleicht in einer Zeitung die geheimnißvolle Notiz gelesenhaben: GrafStadion hat plötzlich seinen Posten verlassen, undhateine Reise nach England unternommen — in Obigem findet diese Nachricht ihre Erläuterung. Die Umstände aber, welche diesen Entschluß bei dem Grafen herbeigeführt, werfen wieder ein neues, aber leider ein betrübendes Bild auf den Gang unserer Verwaltung, und zeigen neuerdings, wie selbst dem hochgestellten Beamten oft Fesseln angelegt werden, unbekümmert, ob diese Fessel nicht eines der wichtigsten Räder der ganzen Maschine hemme. Der Gang der Sache war dieser. Auf der Börse zu Triest waren zwei Kaufleute thätlich aneinander gerathen, und dieser dort un¬ erhörte Scandal war von den Börsenvorstanden dahin entschieden worden, daß der angreifende Theil viertausend Gulden Strafe zahlen sollte, nach¬ dem früher mehrere Stimmen dafür gewesen waren, den Eintritt auf die Börse für immer zu verweigern. Der Angeschuldigte, dem diese Straft zu hoch schien, wollte sich endlich nur zur Zahlung von fünfzehnhundert Gulden herbeilassen, und als der Börsen-Vorstand auf dem alten Ausspruch bestand, ward die Sache Gegenstand einer gerichtlichen Klage und dem Süstenländischen Gubernium vorgelegt *). Graf Stadion, die Wichtigkeit ,. *) Hier scheint ein Irrthum vorzuwalten. Das Gubernium ist eine poli¬ tische Behörde; die richterlichen Behörden sind der Magistrat und die Appellation.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/360>, abgerufen am 24.07.2024.