Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sanken der obersten Censur- und Polizei-Behörde so sehr angeregt,
daß, vermöge Edicts, kein Ballen mit Büchern ohne commissionellcs
Beisein eines Kammeral- und Gubernialraths geöffnet werden sollte.
Dieß hatte den Geschäftsgang so erschwert, daß der Buchhändler erst
nach 4 Monaten in den Besitz der Bücher gelangt wäre. In
Folge davon nahmen die Buchhändler Audienz beim Erzherzog; sie
wurden darauf vom Stadthauptmann beschieden, der ihnen bedeutete,
daß ihr Ansuchen gewürdigt worden, und Alles wieder beim Alten
bliebe. -- Die in den letzten Tagen abgehaltene Stande Versammlung
siel so stürmisch aus, daß man sich einer solchen seit lange nicht
erinnert.


N.
Ständisches in Böhmen

Eisenbahn. -- Holzspenden. -- Die Stände. -- Der Bürgermeister. --
Die Geistlichkeit. -- Die Mittelklasse. -- Eine ständische Deputation. ---
Aecht parlamentarisch. -- Eine unabhängige Wahl. -- Der Fortschritt.

Die kreisenden Bewegungen die sich um Böhmens Grenzen,
leise und laut, kirchlich wie politisch kund geben, Neues allmälig ge-
bährend und erringend, haben in Böhmen, wiewohl es Deutschland
par tout angehören und, wie D. Laube begehrt, durch und durch
deutsch werden soll, noch keinen bemerkbaren AnAang gefunden, und
die Mittelklassen, den Kern der Nation, unberührt gelassen, besonders
wohl deshalb, weil hier gar wenig und von Wenigen mit Verständ¬
niß gelesen wird, weil politische Lectüre zumal, sorglicher polizei¬
licher Vorkost unterliegt, die alles etwa Verderbliche vorsorglich und
mit Aufopferung selber verschlingt, damit es den politischen Magen
der kindlichen Nation, die noch zahme, nicht verderbe, und so leben
wir denn ruhig dahin, und gehaben uns ganz behaglich, staunen,
den Paßvorschriften zur Ehre, den herrlichen Eisemveg an, der uns
in 24, zuweilen in 30 Stunden nach Wien bringt -- wie schnell!
finden in dieser Eilfahrt reichliche Entschädigung für den durch den
Bahnbetrieb so ungeheuer gesteigerten Holzpreis, wundern uns zwar
in stiller Einfalt darüber, daß der Kohlenreichthum des Landes un¬
benutzt bleibt, indeß man unsere Holzarmuth ausbeutet, doch bleibt
es beim stillen Wundern, denn die Könige der Nordbahn sind auch
die unsern, und wir haben angebornen Respect vor Königen, um
so tieferen also vor.dem ttvx ^uti-loorum, unserem Mitregenten.

Die Landesregierung kauft Holz an, um es im Ociginalpreis
an Unbemittelte zu überlassen, die Bemittelten müssen natürlich den
Verlust der Holzhändler reichlich decken, und so stellt sich das freund¬
lichste Gleichgewicht her, alles ist vergnügt, und reicht sich zum heu¬
tigen Sylvester freundlich die Hand.


sanken der obersten Censur- und Polizei-Behörde so sehr angeregt,
daß, vermöge Edicts, kein Ballen mit Büchern ohne commissionellcs
Beisein eines Kammeral- und Gubernialraths geöffnet werden sollte.
Dieß hatte den Geschäftsgang so erschwert, daß der Buchhändler erst
nach 4 Monaten in den Besitz der Bücher gelangt wäre. In
Folge davon nahmen die Buchhändler Audienz beim Erzherzog; sie
wurden darauf vom Stadthauptmann beschieden, der ihnen bedeutete,
daß ihr Ansuchen gewürdigt worden, und Alles wieder beim Alten
bliebe. — Die in den letzten Tagen abgehaltene Stande Versammlung
siel so stürmisch aus, daß man sich einer solchen seit lange nicht
erinnert.


N.
Ständisches in Böhmen

Eisenbahn. — Holzspenden. — Die Stände. — Der Bürgermeister. —
Die Geistlichkeit. — Die Mittelklasse. — Eine ständische Deputation. -—
Aecht parlamentarisch. — Eine unabhängige Wahl. — Der Fortschritt.

Die kreisenden Bewegungen die sich um Böhmens Grenzen,
leise und laut, kirchlich wie politisch kund geben, Neues allmälig ge-
bährend und erringend, haben in Böhmen, wiewohl es Deutschland
par tout angehören und, wie D. Laube begehrt, durch und durch
deutsch werden soll, noch keinen bemerkbaren AnAang gefunden, und
die Mittelklassen, den Kern der Nation, unberührt gelassen, besonders
wohl deshalb, weil hier gar wenig und von Wenigen mit Verständ¬
niß gelesen wird, weil politische Lectüre zumal, sorglicher polizei¬
licher Vorkost unterliegt, die alles etwa Verderbliche vorsorglich und
mit Aufopferung selber verschlingt, damit es den politischen Magen
der kindlichen Nation, die noch zahme, nicht verderbe, und so leben
wir denn ruhig dahin, und gehaben uns ganz behaglich, staunen,
den Paßvorschriften zur Ehre, den herrlichen Eisemveg an, der uns
in 24, zuweilen in 30 Stunden nach Wien bringt — wie schnell!
finden in dieser Eilfahrt reichliche Entschädigung für den durch den
Bahnbetrieb so ungeheuer gesteigerten Holzpreis, wundern uns zwar
in stiller Einfalt darüber, daß der Kohlenreichthum des Landes un¬
benutzt bleibt, indeß man unsere Holzarmuth ausbeutet, doch bleibt
es beim stillen Wundern, denn die Könige der Nordbahn sind auch
die unsern, und wir haben angebornen Respect vor Königen, um
so tieferen also vor.dem ttvx ^uti-loorum, unserem Mitregenten.

Die Landesregierung kauft Holz an, um es im Ociginalpreis
an Unbemittelte zu überlassen, die Bemittelten müssen natürlich den
Verlust der Holzhändler reichlich decken, und so stellt sich das freund¬
lichste Gleichgewicht her, alles ist vergnügt, und reicht sich zum heu¬
tigen Sylvester freundlich die Hand.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181948"/>
            <p xml:id="ID_278" prev="#ID_277"> sanken der obersten Censur- und Polizei-Behörde so sehr angeregt,<lb/>
daß, vermöge Edicts, kein Ballen mit Büchern ohne commissionellcs<lb/>
Beisein eines Kammeral- und Gubernialraths geöffnet werden sollte.<lb/>
Dieß hatte den Geschäftsgang so erschwert, daß der Buchhändler erst<lb/>
nach 4 Monaten in den Besitz der Bücher gelangt wäre. In<lb/>
Folge davon nahmen die Buchhändler Audienz beim Erzherzog; sie<lb/>
wurden darauf vom Stadthauptmann beschieden, der ihnen bedeutete,<lb/>
daß ihr Ansuchen gewürdigt worden, und Alles wieder beim Alten<lb/>
bliebe. &#x2014; Die in den letzten Tagen abgehaltene Stande Versammlung<lb/>
siel so stürmisch aus, daß man sich einer solchen seit lange nicht<lb/>
erinnert.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> N.<lb/>
Ständisches in Böhmen</head><lb/>
            <note type="argument"> Eisenbahn. &#x2014; Holzspenden. &#x2014;  Die Stände. &#x2014; Der Bürgermeister. &#x2014;<lb/>
Die Geistlichkeit. &#x2014;  Die Mittelklasse. &#x2014;  Eine ständische Deputation. -&#x2014;<lb/>
Aecht parlamentarisch. &#x2014; Eine unabhängige Wahl. &#x2014; Der Fortschritt.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_279"> Die kreisenden Bewegungen die sich um Böhmens Grenzen,<lb/>
leise und laut, kirchlich wie politisch kund geben, Neues allmälig ge-<lb/>
bährend und erringend, haben in Böhmen, wiewohl es Deutschland<lb/>
par tout angehören und, wie D. Laube begehrt, durch und durch<lb/>
deutsch werden soll, noch keinen bemerkbaren AnAang gefunden, und<lb/>
die Mittelklassen, den Kern der Nation, unberührt gelassen, besonders<lb/>
wohl deshalb, weil hier gar wenig und von Wenigen mit Verständ¬<lb/>
niß gelesen wird, weil politische Lectüre zumal, sorglicher polizei¬<lb/>
licher Vorkost unterliegt, die alles etwa Verderbliche vorsorglich und<lb/>
mit Aufopferung selber verschlingt, damit es den politischen Magen<lb/>
der kindlichen Nation, die noch zahme, nicht verderbe, und so leben<lb/>
wir denn ruhig dahin, und gehaben uns ganz behaglich, staunen,<lb/>
den Paßvorschriften zur Ehre, den herrlichen Eisemveg an, der uns<lb/>
in 24, zuweilen in 30 Stunden nach Wien bringt &#x2014; wie schnell!<lb/>
finden in dieser Eilfahrt reichliche Entschädigung für den durch den<lb/>
Bahnbetrieb so ungeheuer gesteigerten Holzpreis, wundern uns zwar<lb/>
in stiller Einfalt darüber, daß der Kohlenreichthum des Landes un¬<lb/>
benutzt bleibt, indeß man unsere Holzarmuth ausbeutet, doch bleibt<lb/>
es beim stillen Wundern, denn die Könige der Nordbahn sind auch<lb/>
die unsern, und wir haben angebornen Respect vor Königen, um<lb/>
so tieferen also vor.dem ttvx ^uti-loorum, unserem Mitregenten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_280"> Die Landesregierung kauft Holz an, um es im Ociginalpreis<lb/>
an Unbemittelte zu überlassen, die Bemittelten müssen natürlich den<lb/>
Verlust der Holzhändler reichlich decken, und so stellt sich das freund¬<lb/>
lichste Gleichgewicht her, alles ist vergnügt, und reicht sich zum heu¬<lb/>
tigen Sylvester freundlich die Hand.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] sanken der obersten Censur- und Polizei-Behörde so sehr angeregt, daß, vermöge Edicts, kein Ballen mit Büchern ohne commissionellcs Beisein eines Kammeral- und Gubernialraths geöffnet werden sollte. Dieß hatte den Geschäftsgang so erschwert, daß der Buchhändler erst nach 4 Monaten in den Besitz der Bücher gelangt wäre. In Folge davon nahmen die Buchhändler Audienz beim Erzherzog; sie wurden darauf vom Stadthauptmann beschieden, der ihnen bedeutete, daß ihr Ansuchen gewürdigt worden, und Alles wieder beim Alten bliebe. — Die in den letzten Tagen abgehaltene Stande Versammlung siel so stürmisch aus, daß man sich einer solchen seit lange nicht erinnert. N. Ständisches in Böhmen Eisenbahn. — Holzspenden. — Die Stände. — Der Bürgermeister. — Die Geistlichkeit. — Die Mittelklasse. — Eine ständische Deputation. -— Aecht parlamentarisch. — Eine unabhängige Wahl. — Der Fortschritt. Die kreisenden Bewegungen die sich um Böhmens Grenzen, leise und laut, kirchlich wie politisch kund geben, Neues allmälig ge- bährend und erringend, haben in Böhmen, wiewohl es Deutschland par tout angehören und, wie D. Laube begehrt, durch und durch deutsch werden soll, noch keinen bemerkbaren AnAang gefunden, und die Mittelklassen, den Kern der Nation, unberührt gelassen, besonders wohl deshalb, weil hier gar wenig und von Wenigen mit Verständ¬ niß gelesen wird, weil politische Lectüre zumal, sorglicher polizei¬ licher Vorkost unterliegt, die alles etwa Verderbliche vorsorglich und mit Aufopferung selber verschlingt, damit es den politischen Magen der kindlichen Nation, die noch zahme, nicht verderbe, und so leben wir denn ruhig dahin, und gehaben uns ganz behaglich, staunen, den Paßvorschriften zur Ehre, den herrlichen Eisemveg an, der uns in 24, zuweilen in 30 Stunden nach Wien bringt — wie schnell! finden in dieser Eilfahrt reichliche Entschädigung für den durch den Bahnbetrieb so ungeheuer gesteigerten Holzpreis, wundern uns zwar in stiller Einfalt darüber, daß der Kohlenreichthum des Landes un¬ benutzt bleibt, indeß man unsere Holzarmuth ausbeutet, doch bleibt es beim stillen Wundern, denn die Könige der Nordbahn sind auch die unsern, und wir haben angebornen Respect vor Königen, um so tieferen also vor.dem ttvx ^uti-loorum, unserem Mitregenten. Die Landesregierung kauft Holz an, um es im Ociginalpreis an Unbemittelte zu überlassen, die Bemittelten müssen natürlich den Verlust der Holzhändler reichlich decken, und so stellt sich das freund¬ lichste Gleichgewicht her, alles ist vergnügt, und reicht sich zum heu¬ tigen Sylvester freundlich die Hand.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/138>, abgerufen am 22.12.2024.