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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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zum Unglaublichen, und es kamen seltsame Dinge zum Vorschein ;
Pischek verweigerte man den Zutritt, als er im Chöre mitsingen
wollte zu Ehren Beethovens; Schneider von Dessau ist wieder
abgereist, weil er nicht einmal ein Unterkommen finden konnte;
Lindpaintner hat man erst dann eingelassen, als Spohr den
Herren auch seine Karte wiederzugeben drohte, und noch viele andere
(wohlverstanden: Notabilitäten) klagen über entschiedene Grobheiten,
die ihnen zugefügt und gesagt worden, und schicken sich an, fortzu¬
gehen. -- Mich betrübt das unendlich; das ganze künstlerische Eu¬
ropa hat in diesem Augenblicke die Augen auf Bonn gerichtet, und
was ein paar Ununterrichtete und Ungeschickte thun, wird nicht Bonn,
sondern den Deutschen in die Schuhe geschoben. Namentlich die
Engländer sind sehr aufgebracht.

Mit dem Concerte dieses Nachmittags, das eigentlich Lißt hätte
allein dirigiren sollen, dessen Leitung er aber mit Spohr theilte, waren
die Musikverständigen nicht zufrieden, obwohl Einzelnes vortrefflich
erecutirt wurde. Ich enthalte mich um so mehr jedes Urtheils, da
die musikalischen Zeitungen schon ausführlich darüber berichten werden.

Am Abend Illumination und großes Gedränge in den Stra-
ßen, mir scheint aber die rechte Freudigkeit zu fehlen; ich meine nicht
mir, ich meine der Stadt; mir freilich auch, denn ich bin leider stil¬
ler Zeuge von Manchem gewesen, von dem ich lieber mit Dante
sage


-- -- laevi'v t; Keil".
V.

Coblenz, am 15. August. -- Wohl mir, ich athme wieder; hier
ist zwar auch viel Lärm und Treiben, aber man ist doch Herr sei¬
nes Zimmers und seines Selbst. Ich will nun rasch die vorigen
Tage zusammenfassen, von deren erstem leider nicht viel Erfreuliches
zu melden ist, da das Fest mit ihm auf eine wunderliche Weise
endete.

Wer doch Ahnungen hätte, wie die Tante in einem Roman der
Henriette Hänke, und sich, von ihnen gewarnt, am frühen Morgen
eines solchen äios nefastus, gleich wieder zu Bett legte! Wäre ich
nicht leider ein Freigeist in dergleichen Dingen, ich hätte das auch
gethan, denn schon am frühen Morgen bekam ich eine Wunde in


zum Unglaublichen, und es kamen seltsame Dinge zum Vorschein ;
Pischek verweigerte man den Zutritt, als er im Chöre mitsingen
wollte zu Ehren Beethovens; Schneider von Dessau ist wieder
abgereist, weil er nicht einmal ein Unterkommen finden konnte;
Lindpaintner hat man erst dann eingelassen, als Spohr den
Herren auch seine Karte wiederzugeben drohte, und noch viele andere
(wohlverstanden: Notabilitäten) klagen über entschiedene Grobheiten,
die ihnen zugefügt und gesagt worden, und schicken sich an, fortzu¬
gehen. — Mich betrübt das unendlich; das ganze künstlerische Eu¬
ropa hat in diesem Augenblicke die Augen auf Bonn gerichtet, und
was ein paar Ununterrichtete und Ungeschickte thun, wird nicht Bonn,
sondern den Deutschen in die Schuhe geschoben. Namentlich die
Engländer sind sehr aufgebracht.

Mit dem Concerte dieses Nachmittags, das eigentlich Lißt hätte
allein dirigiren sollen, dessen Leitung er aber mit Spohr theilte, waren
die Musikverständigen nicht zufrieden, obwohl Einzelnes vortrefflich
erecutirt wurde. Ich enthalte mich um so mehr jedes Urtheils, da
die musikalischen Zeitungen schon ausführlich darüber berichten werden.

Am Abend Illumination und großes Gedränge in den Stra-
ßen, mir scheint aber die rechte Freudigkeit zu fehlen; ich meine nicht
mir, ich meine der Stadt; mir freilich auch, denn ich bin leider stil¬
ler Zeuge von Manchem gewesen, von dem ich lieber mit Dante
sage


— — laevi'v t; Keil».
V.

Coblenz, am 15. August. — Wohl mir, ich athme wieder; hier
ist zwar auch viel Lärm und Treiben, aber man ist doch Herr sei¬
nes Zimmers und seines Selbst. Ich will nun rasch die vorigen
Tage zusammenfassen, von deren erstem leider nicht viel Erfreuliches
zu melden ist, da das Fest mit ihm auf eine wunderliche Weise
endete.

Wer doch Ahnungen hätte, wie die Tante in einem Roman der
Henriette Hänke, und sich, von ihnen gewarnt, am frühen Morgen
eines solchen äios nefastus, gleich wieder zu Bett legte! Wäre ich
nicht leider ein Freigeist in dergleichen Dingen, ich hätte das auch
gethan, denn schon am frühen Morgen bekam ich eine Wunde in


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[0076] zum Unglaublichen, und es kamen seltsame Dinge zum Vorschein ; Pischek verweigerte man den Zutritt, als er im Chöre mitsingen wollte zu Ehren Beethovens; Schneider von Dessau ist wieder abgereist, weil er nicht einmal ein Unterkommen finden konnte; Lindpaintner hat man erst dann eingelassen, als Spohr den Herren auch seine Karte wiederzugeben drohte, und noch viele andere (wohlverstanden: Notabilitäten) klagen über entschiedene Grobheiten, die ihnen zugefügt und gesagt worden, und schicken sich an, fortzu¬ gehen. — Mich betrübt das unendlich; das ganze künstlerische Eu¬ ropa hat in diesem Augenblicke die Augen auf Bonn gerichtet, und was ein paar Ununterrichtete und Ungeschickte thun, wird nicht Bonn, sondern den Deutschen in die Schuhe geschoben. Namentlich die Engländer sind sehr aufgebracht. Mit dem Concerte dieses Nachmittags, das eigentlich Lißt hätte allein dirigiren sollen, dessen Leitung er aber mit Spohr theilte, waren die Musikverständigen nicht zufrieden, obwohl Einzelnes vortrefflich erecutirt wurde. Ich enthalte mich um so mehr jedes Urtheils, da die musikalischen Zeitungen schon ausführlich darüber berichten werden. Am Abend Illumination und großes Gedränge in den Stra- ßen, mir scheint aber die rechte Freudigkeit zu fehlen; ich meine nicht mir, ich meine der Stadt; mir freilich auch, denn ich bin leider stil¬ ler Zeuge von Manchem gewesen, von dem ich lieber mit Dante sage — — laevi'v t; Keil». V. Coblenz, am 15. August. — Wohl mir, ich athme wieder; hier ist zwar auch viel Lärm und Treiben, aber man ist doch Herr sei¬ nes Zimmers und seines Selbst. Ich will nun rasch die vorigen Tage zusammenfassen, von deren erstem leider nicht viel Erfreuliches zu melden ist, da das Fest mit ihm auf eine wunderliche Weise endete. Wer doch Ahnungen hätte, wie die Tante in einem Roman der Henriette Hänke, und sich, von ihnen gewarnt, am frühen Morgen eines solchen äios nefastus, gleich wieder zu Bett legte! Wäre ich nicht leider ein Freigeist in dergleichen Dingen, ich hätte das auch gethan, denn schon am frühen Morgen bekam ich eine Wunde in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/76>, abgerufen am 05.02.2025.