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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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i.
Aus Brüssel,
i.

Die Presse über die italienischen Unruhen. -- Der Großherzog vonToscona. --
Ein Seitenblick. -- Die Concurse. -- Ein katholisches Auskunftßcomptoir. --
Frommes Estaminet.-- Deutschlands Repräsentation. -- Socivtö de Commerce.

Die paar Scenen aus der politischen Tragödie Italiens, die neu¬
erdings wieder in Rimini aufgeführt wurden, haben in Frankreich,
England und Belgien den peinlichsten Eindruck gemacht. Man be¬
merkt, daß diese verzweifelten Auftritte seit der Zeit des Veroneser
Congresses in immer kürzeren Pausen auf einander folgen und immer
allgemeinere, wenn auch noch ohnmächtige Theilnahme beim Volk
Italiens finden. Daß die römischen Patrioten nichts als Banditen,
Mordbrenner und Beutelschneider seien, dieses Liedchen wird wohl
auch die deutsche Aeitungspresse sich endlich zu singen schämen; es
ist genug, wenn man die ungesetzlichen Mittel anklagt, mit denen
dort um Reformen gekämpft wird. Die französische und englische
Presse ist, wie sich denken läßt, darin noch billiger und aufrichtiger,
als es die deutsche sein kann oder will; sie klagt nicht an, sie be¬
klagt blos die kindische Unvorsichtigkeit, mit der die heutigen Lands¬
leute Macchiavell's ihre Verschwörungen auf offenem Markt anzetteln,
und den verzweifelten Leichtsinn, mit dem sie wehrlos den Kanonen
der Uebermacht in den Rachen laufen. Wir, heißt es allgemein, wir
haben gut reden von gesetzlichen Wegen und besonnenen Fortschritt;
die armen Italiener haben nicht einen Fußbreit jener gesetzlichen Wege,
die auch wir erst durch eine Revolution errangen; sie haben kein Pe¬
titions- und Versammlungsrecht, weder mündlich noch durch die
Presse können sie ihre Beschwerden vorbringen. Und habt ihr das
Manifest der Patrioten im Journal des Debcits gelesen? Athmen
ihre Forderungen nicht die rührendste Bescheidenheit? Sie verlangen
nicht einmal so viel wie die Deutschen; sie wollen sogar die Censur
ertragen, wenn sie sich auf die Abwehr von Angrissen gegen Religion,


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i.
Aus Brüssel,
i.

Die Presse über die italienischen Unruhen. — Der Großherzog vonToscona. —
Ein Seitenblick. — Die Concurse. — Ein katholisches Auskunftßcomptoir. —
Frommes Estaminet.— Deutschlands Repräsentation. — Socivtö de Commerce.

Die paar Scenen aus der politischen Tragödie Italiens, die neu¬
erdings wieder in Rimini aufgeführt wurden, haben in Frankreich,
England und Belgien den peinlichsten Eindruck gemacht. Man be¬
merkt, daß diese verzweifelten Auftritte seit der Zeit des Veroneser
Congresses in immer kürzeren Pausen auf einander folgen und immer
allgemeinere, wenn auch noch ohnmächtige Theilnahme beim Volk
Italiens finden. Daß die römischen Patrioten nichts als Banditen,
Mordbrenner und Beutelschneider seien, dieses Liedchen wird wohl
auch die deutsche Aeitungspresse sich endlich zu singen schämen; es
ist genug, wenn man die ungesetzlichen Mittel anklagt, mit denen
dort um Reformen gekämpft wird. Die französische und englische
Presse ist, wie sich denken läßt, darin noch billiger und aufrichtiger,
als es die deutsche sein kann oder will; sie klagt nicht an, sie be¬
klagt blos die kindische Unvorsichtigkeit, mit der die heutigen Lands¬
leute Macchiavell's ihre Verschwörungen auf offenem Markt anzetteln,
und den verzweifelten Leichtsinn, mit dem sie wehrlos den Kanonen
der Uebermacht in den Rachen laufen. Wir, heißt es allgemein, wir
haben gut reden von gesetzlichen Wegen und besonnenen Fortschritt;
die armen Italiener haben nicht einen Fußbreit jener gesetzlichen Wege,
die auch wir erst durch eine Revolution errangen; sie haben kein Pe¬
titions- und Versammlungsrecht, weder mündlich noch durch die
Presse können sie ihre Beschwerden vorbringen. Und habt ihr das
Manifest der Patrioten im Journal des Debcits gelesen? Athmen
ihre Forderungen nicht die rührendste Bescheidenheit? Sie verlangen
nicht einmal so viel wie die Deutschen; sie wollen sogar die Censur
ertragen, wenn sie sich auf die Abwehr von Angrissen gegen Religion,


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[0271] T a g e b u et). i. Aus Brüssel, i. Die Presse über die italienischen Unruhen. — Der Großherzog vonToscona. — Ein Seitenblick. — Die Concurse. — Ein katholisches Auskunftßcomptoir. — Frommes Estaminet.— Deutschlands Repräsentation. — Socivtö de Commerce. Die paar Scenen aus der politischen Tragödie Italiens, die neu¬ erdings wieder in Rimini aufgeführt wurden, haben in Frankreich, England und Belgien den peinlichsten Eindruck gemacht. Man be¬ merkt, daß diese verzweifelten Auftritte seit der Zeit des Veroneser Congresses in immer kürzeren Pausen auf einander folgen und immer allgemeinere, wenn auch noch ohnmächtige Theilnahme beim Volk Italiens finden. Daß die römischen Patrioten nichts als Banditen, Mordbrenner und Beutelschneider seien, dieses Liedchen wird wohl auch die deutsche Aeitungspresse sich endlich zu singen schämen; es ist genug, wenn man die ungesetzlichen Mittel anklagt, mit denen dort um Reformen gekämpft wird. Die französische und englische Presse ist, wie sich denken läßt, darin noch billiger und aufrichtiger, als es die deutsche sein kann oder will; sie klagt nicht an, sie be¬ klagt blos die kindische Unvorsichtigkeit, mit der die heutigen Lands¬ leute Macchiavell's ihre Verschwörungen auf offenem Markt anzetteln, und den verzweifelten Leichtsinn, mit dem sie wehrlos den Kanonen der Uebermacht in den Rachen laufen. Wir, heißt es allgemein, wir haben gut reden von gesetzlichen Wegen und besonnenen Fortschritt; die armen Italiener haben nicht einen Fußbreit jener gesetzlichen Wege, die auch wir erst durch eine Revolution errangen; sie haben kein Pe¬ titions- und Versammlungsrecht, weder mündlich noch durch die Presse können sie ihre Beschwerden vorbringen. Und habt ihr das Manifest der Patrioten im Journal des Debcits gelesen? Athmen ihre Forderungen nicht die rührendste Bescheidenheit? Sie verlangen nicht einmal so viel wie die Deutschen; sie wollen sogar die Censur ertragen, wenn sie sich auf die Abwehr von Angrissen gegen Religion,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/271>, abgerufen am 05.02.2025.