Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.gen gesehen und mit eigenen Ohren gehört. Die zwei jungen Leute II. In dieser Anstalt war ich selbst eingeschlossen. Ich hatte dem So verging der erste Monat. Mein Geist wurde täglich trockener, und ich konnte endlich der "Mein liebes Kind," entgegnete der Rector, "darin besteht ge¬ Mißmüthiger als je wankte ich über die Treppe hinauf in gen gesehen und mit eigenen Ohren gehört. Die zwei jungen Leute II. In dieser Anstalt war ich selbst eingeschlossen. Ich hatte dem So verging der erste Monat. Mein Geist wurde täglich trockener, und ich konnte endlich der „Mein liebes Kind," entgegnete der Rector, „darin besteht ge¬ Mißmüthiger als je wankte ich über die Treppe hinauf in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271521"/> <p xml:id="ID_726" prev="#ID_725"> gen gesehen und mit eigenen Ohren gehört. Die zwei jungen Leute<lb/> waren in Deutschland früher recht wohlgeartete, muntere Studenten.<lb/> Hier habe ich sie so wieder gefunden. — In Rom gelten sie als<lb/> vorzügliche Alumnen und Muster der Anstalt.</p><lb/> </div> <div n="3"> <head> II.</head><lb/> <p xml:id="ID_727"> In dieser Anstalt war ich selbst eingeschlossen. Ich hatte dem<lb/> Rector auf die Hand zwei Punkte versprochen: erstens, sollte ich<lb/> nichts mehr vom Austritt erwähnen, bis ich den Geist der Haus¬<lb/> einrichtung aus eigner Anschauung erfaßt, und zweitens, sollte die<lb/> hiezu erforderliche Zeit vom Gutachten des Rectors abhängen! —<lb/> In den ersten Wochen ließ mich Pater Landes recht oft in seine<lb/> Zelle rufen, sprach zu meiner Erbauung lang und viel über die un¬<lb/> ruhige Freisinnigkeit der deutschen Nation, und über den Seelenfrie¬<lb/> den Derjenigen, die alle Neigung zum Irdischen überwunden hätten.<lb/> Auch vergaß er dabei nie, mich seiner besondern Liebe zu versichern,<lb/> weil ich der einzige Schwabe im Colleg sei! Aber vom Herannahen<lb/> des ersehnten Termins sprach er nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_728"> So verging der erste Monat.</p><lb/> <p xml:id="ID_729"> Mein Geist wurde täglich trockener, und ich konnte endlich der<lb/> Begierde, ihn durch eine passende Lectüre wieder aufzufrischen, nicht<lb/> länger widerstehen. Zitternd klopfte ich an der Zelle des Paters,<lb/> und bat demüthig um einen griechischen Klassiker, indem der lang¬<lb/> sam vorschreitende Unterricht im Collegio Romano mir wohl noch<lb/> täglich ein Viertelstündchen für die schöne Literatur erlaube.</p><lb/> <p xml:id="ID_730"> „Mein liebes Kind," entgegnete der Rector, „darin besteht ge¬<lb/> rade das wahre innerlich christliche Leben, daß der Mensch nie sei¬<lb/> ner eigenen Neigung folge. Sie können überdies; die Lehren, welche<lb/> man Ihnen im Collegio Romano ertheilt, nie genug wiederholen.<lb/> Verwenden Sie jeden Augenblick auf die Nepetilion derselben! Wenn<lb/> Sie nur die Schulgegcnstande recht wacker lernen, so sind wir voll¬<lb/> kommen mit Ihnen zufrieden. Wir verlangen nicht viel. Wir drük-<lb/> ken Sie nicht mit unnützen Geschäften. Seien Sie nur gutwillig<lb/> und folgsam! Die I^caelo 8>>ii-it>iiUi8 wird bald beginnen, darum<lb/> gehen Sie jetzt wieder, daß Sie mir fein in dem nichts versäumen,<lb/> was allein noth thut!" '</p><lb/> <p xml:id="ID_731" next="#ID_732"> Mißmüthiger als je wankte ich über die Treppe hinauf in</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
gen gesehen und mit eigenen Ohren gehört. Die zwei jungen Leute
waren in Deutschland früher recht wohlgeartete, muntere Studenten.
Hier habe ich sie so wieder gefunden. — In Rom gelten sie als
vorzügliche Alumnen und Muster der Anstalt.
II.
In dieser Anstalt war ich selbst eingeschlossen. Ich hatte dem
Rector auf die Hand zwei Punkte versprochen: erstens, sollte ich
nichts mehr vom Austritt erwähnen, bis ich den Geist der Haus¬
einrichtung aus eigner Anschauung erfaßt, und zweitens, sollte die
hiezu erforderliche Zeit vom Gutachten des Rectors abhängen! —
In den ersten Wochen ließ mich Pater Landes recht oft in seine
Zelle rufen, sprach zu meiner Erbauung lang und viel über die un¬
ruhige Freisinnigkeit der deutschen Nation, und über den Seelenfrie¬
den Derjenigen, die alle Neigung zum Irdischen überwunden hätten.
Auch vergaß er dabei nie, mich seiner besondern Liebe zu versichern,
weil ich der einzige Schwabe im Colleg sei! Aber vom Herannahen
des ersehnten Termins sprach er nichts.
So verging der erste Monat.
Mein Geist wurde täglich trockener, und ich konnte endlich der
Begierde, ihn durch eine passende Lectüre wieder aufzufrischen, nicht
länger widerstehen. Zitternd klopfte ich an der Zelle des Paters,
und bat demüthig um einen griechischen Klassiker, indem der lang¬
sam vorschreitende Unterricht im Collegio Romano mir wohl noch
täglich ein Viertelstündchen für die schöne Literatur erlaube.
„Mein liebes Kind," entgegnete der Rector, „darin besteht ge¬
rade das wahre innerlich christliche Leben, daß der Mensch nie sei¬
ner eigenen Neigung folge. Sie können überdies; die Lehren, welche
man Ihnen im Collegio Romano ertheilt, nie genug wiederholen.
Verwenden Sie jeden Augenblick auf die Nepetilion derselben! Wenn
Sie nur die Schulgegcnstande recht wacker lernen, so sind wir voll¬
kommen mit Ihnen zufrieden. Wir verlangen nicht viel. Wir drük-
ken Sie nicht mit unnützen Geschäften. Seien Sie nur gutwillig
und folgsam! Die I^caelo 8>>ii-it>iiUi8 wird bald beginnen, darum
gehen Sie jetzt wieder, daß Sie mir fein in dem nichts versäumen,
was allein noth thut!" '
Mißmüthiger als je wankte ich über die Treppe hinauf in
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