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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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"Sohn, ich sorge für das löbliche Wohl der mir von dem aller-
"hochwürdigsten General des Ordens anvertrauten Zöglinge so gut,
"als für ihr geistiges. -- Aber nun auch von Andern,, mein lie-
"ber, junger Bruder in Christo! Sie sehnen sich wohl nach Ihren
"Landsleuten? Sie finden sie hier. Fern vom Vaterland bilden
"wir hier eine deutsche Colonie. Meine Zöglinge sind nur gerade
"außerhalb des Hauses. Wir haben noch Ferien, und ich sandte
"sie hinaus auf unsre Villa S. Saba, wo sie den Tag in fröhlicher
"Unterhaltung zubringen. Auch haben sie dort unschuldige Spiele.
"Alles freut sich und jubelt. Da werden Sie gleich sehen, wie an¬
genehm sich's bei uns leben läßt. Sie finden nicht einen einzigen
"Unzufriedenen. Wir bilden alle nur eine große Familie, die gleiche
"Gesinnung, gleiche Lebensart, gleiche Genüße zu unzertrennlicher
"Eintracht verbindet. Die Villa ist nur eine halbe Stunde von hier
"entfernt, und daß Ihnen die Zeit bis zum Abend nicht zu lang
"werde, sende ich Sie jetzt mit einem Frater hinaus. Legen Sie Ihr
"Gepäck und Ihre Schriften bei mir ab! Sie sind jetzt noch unser
"Gast. Bis Sie zurückkommen, habe ich schon ein freundliches
"Zimmerchen für Sie eingerichtet, und für angemessene Gesellschaft ge¬
borgt, daß Sie mir nicht melancholisch und traurig werden in Ihrer
"neuen Heimat. Ich sehe an Ihrem bewegten Gesicht, daß ich Ihr
"Herz, Ihr Vertrauen nun gewonnen! Lassen Sie diese Freuden--
"thräne eines Greises dafür sprechen, wie innig ich Sie liebe, wie
"väterlich ich Ihr Heil besorgen werde!"

Diese Rede eines siebzigjährigen Mannes mit ehrwürdigen
weißem Haar hätte selbst einen schon ausgeprägteren Charakter ge¬
winnen können. Der erste unangenehme Eindruck war dadurch in
der That verwischt. Ich legte das Felleisen, meine Brieftasche sammt
Allem, was ich den Tag über nicht bedürfte, in die Hände des
Rectors, und ging durch eine enge Ncbcngaße und verwachsene Rui¬
nen in Begleitung eines gesprächigen, muntern Fraterö hinaus nach
S. Saba.


II.

Als ich mich der Villa näherte, hörte ich aus deren Kirche ei¬
nen vielstimmigen Choral ertönen. ES war ungefähr drei Uhr
Nachmittags, und die Zöglinge sangen eben die Vesper. Ich harrte,
düster durch den Garten schreitend, auf die Beendigung der Feder.


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„Sohn, ich sorge für das löbliche Wohl der mir von dem aller-
„hochwürdigsten General des Ordens anvertrauten Zöglinge so gut,
„als für ihr geistiges. — Aber nun auch von Andern,, mein lie-
„ber, junger Bruder in Christo! Sie sehnen sich wohl nach Ihren
„Landsleuten? Sie finden sie hier. Fern vom Vaterland bilden
„wir hier eine deutsche Colonie. Meine Zöglinge sind nur gerade
„außerhalb des Hauses. Wir haben noch Ferien, und ich sandte
„sie hinaus auf unsre Villa S. Saba, wo sie den Tag in fröhlicher
„Unterhaltung zubringen. Auch haben sie dort unschuldige Spiele.
„Alles freut sich und jubelt. Da werden Sie gleich sehen, wie an¬
genehm sich's bei uns leben läßt. Sie finden nicht einen einzigen
„Unzufriedenen. Wir bilden alle nur eine große Familie, die gleiche
„Gesinnung, gleiche Lebensart, gleiche Genüße zu unzertrennlicher
„Eintracht verbindet. Die Villa ist nur eine halbe Stunde von hier
„entfernt, und daß Ihnen die Zeit bis zum Abend nicht zu lang
„werde, sende ich Sie jetzt mit einem Frater hinaus. Legen Sie Ihr
„Gepäck und Ihre Schriften bei mir ab! Sie sind jetzt noch unser
„Gast. Bis Sie zurückkommen, habe ich schon ein freundliches
„Zimmerchen für Sie eingerichtet, und für angemessene Gesellschaft ge¬
borgt, daß Sie mir nicht melancholisch und traurig werden in Ihrer
„neuen Heimat. Ich sehe an Ihrem bewegten Gesicht, daß ich Ihr
«Herz, Ihr Vertrauen nun gewonnen! Lassen Sie diese Freuden--
„thräne eines Greises dafür sprechen, wie innig ich Sie liebe, wie
„väterlich ich Ihr Heil besorgen werde!"

Diese Rede eines siebzigjährigen Mannes mit ehrwürdigen
weißem Haar hätte selbst einen schon ausgeprägteren Charakter ge¬
winnen können. Der erste unangenehme Eindruck war dadurch in
der That verwischt. Ich legte das Felleisen, meine Brieftasche sammt
Allem, was ich den Tag über nicht bedürfte, in die Hände des
Rectors, und ging durch eine enge Ncbcngaße und verwachsene Rui¬
nen in Begleitung eines gesprächigen, muntern Fraterö hinaus nach
S. Saba.


II.

Als ich mich der Villa näherte, hörte ich aus deren Kirche ei¬
nen vielstimmigen Choral ertönen. ES war ungefähr drei Uhr
Nachmittags, und die Zöglinge sangen eben die Vesper. Ich harrte,
düster durch den Garten schreitend, auf die Beendigung der Feder.


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[0195] „Sohn, ich sorge für das löbliche Wohl der mir von dem aller- „hochwürdigsten General des Ordens anvertrauten Zöglinge so gut, „als für ihr geistiges. — Aber nun auch von Andern,, mein lie- „ber, junger Bruder in Christo! Sie sehnen sich wohl nach Ihren „Landsleuten? Sie finden sie hier. Fern vom Vaterland bilden „wir hier eine deutsche Colonie. Meine Zöglinge sind nur gerade „außerhalb des Hauses. Wir haben noch Ferien, und ich sandte „sie hinaus auf unsre Villa S. Saba, wo sie den Tag in fröhlicher „Unterhaltung zubringen. Auch haben sie dort unschuldige Spiele. „Alles freut sich und jubelt. Da werden Sie gleich sehen, wie an¬ genehm sich's bei uns leben läßt. Sie finden nicht einen einzigen „Unzufriedenen. Wir bilden alle nur eine große Familie, die gleiche „Gesinnung, gleiche Lebensart, gleiche Genüße zu unzertrennlicher „Eintracht verbindet. Die Villa ist nur eine halbe Stunde von hier „entfernt, und daß Ihnen die Zeit bis zum Abend nicht zu lang „werde, sende ich Sie jetzt mit einem Frater hinaus. Legen Sie Ihr „Gepäck und Ihre Schriften bei mir ab! Sie sind jetzt noch unser „Gast. Bis Sie zurückkommen, habe ich schon ein freundliches „Zimmerchen für Sie eingerichtet, und für angemessene Gesellschaft ge¬ borgt, daß Sie mir nicht melancholisch und traurig werden in Ihrer „neuen Heimat. Ich sehe an Ihrem bewegten Gesicht, daß ich Ihr «Herz, Ihr Vertrauen nun gewonnen! Lassen Sie diese Freuden-- „thräne eines Greises dafür sprechen, wie innig ich Sie liebe, wie „väterlich ich Ihr Heil besorgen werde!" Diese Rede eines siebzigjährigen Mannes mit ehrwürdigen weißem Haar hätte selbst einen schon ausgeprägteren Charakter ge¬ winnen können. Der erste unangenehme Eindruck war dadurch in der That verwischt. Ich legte das Felleisen, meine Brieftasche sammt Allem, was ich den Tag über nicht bedürfte, in die Hände des Rectors, und ging durch eine enge Ncbcngaße und verwachsene Rui¬ nen in Begleitung eines gesprächigen, muntern Fraterö hinaus nach S. Saba. II. Als ich mich der Villa näherte, hörte ich aus deren Kirche ei¬ nen vielstimmigen Choral ertönen. ES war ungefähr drei Uhr Nachmittags, und die Zöglinge sangen eben die Vesper. Ich harrte, düster durch den Garten schreitend, auf die Beendigung der Feder. 24»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/195>, abgerufen am 05.02.2025.