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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Kr a V a n.
Von C. Göhring.



I.

Um 8 Uhr des Abends war ich mit zwei mir befreundeten
Reisegefährten, nämlich einer jungen polnischen Dame und deren
Bruder, beide lebendige, heitere, liebenswürdige Leute, von Slomniki,
einem ärmlichen Städtchen am Fuße des krakaucr Gebirges, aufge¬
brochen. Das Geschwisterpaar erhielt die Freude auf das Wieder¬
sehen der Aeltern bei offenen Augen, und so verging die Nacht un¬
ter Gesprächen.

Während der Dämmerung fuhren wir in einem dichten Walde.
AIS wir aus demselben herauskamen, stand uns gegenüber am Ho¬
rizonte die Sonne, und zwischen uns und ihr lag eine weite, rei¬
zende Gegend. Ein riesiger, von den abwechselnden Gebüschen, Fel¬
dern und Wiesen bunt gewebter Teppich, Wellen über sanfte Höhen
schlagend, bot sich unserem Auge. Von drei Seiten schnitten ihn
Wälder ab, in der weitesten Ferne die Höhen der Karpathen, die
sich wie finstere Gewölke ausnahmen.

Mitten auf diesem reizenden Teppich, durch den sich, wie eine
Silberader, hier in felsige, dort in bebuschte Ufer gefaßt, die Weich¬
sel schlängelt, präsentirte sich uns die alte schöne Stadt Krakau mit
ihrem hoch über ihr liegenden Schlosse und ihren weit emporragen¬
den Thürmen.

Nicht leicht kann man ein wonnigeres Bild finden, als das, wel¬
ches Krakau mit seiner Umgegend hergiebt, doch würde dieses Bild
noch wonniger sein, wenn das Land cultivirter wäre und die vielen
Dörfer, die auf der bunten Fläche ausgestreut liegen, nicht bloß blank


Kr a V a n.
Von C. Göhring.



I.

Um 8 Uhr des Abends war ich mit zwei mir befreundeten
Reisegefährten, nämlich einer jungen polnischen Dame und deren
Bruder, beide lebendige, heitere, liebenswürdige Leute, von Slomniki,
einem ärmlichen Städtchen am Fuße des krakaucr Gebirges, aufge¬
brochen. Das Geschwisterpaar erhielt die Freude auf das Wieder¬
sehen der Aeltern bei offenen Augen, und so verging die Nacht un¬
ter Gesprächen.

Während der Dämmerung fuhren wir in einem dichten Walde.
AIS wir aus demselben herauskamen, stand uns gegenüber am Ho¬
rizonte die Sonne, und zwischen uns und ihr lag eine weite, rei¬
zende Gegend. Ein riesiger, von den abwechselnden Gebüschen, Fel¬
dern und Wiesen bunt gewebter Teppich, Wellen über sanfte Höhen
schlagend, bot sich unserem Auge. Von drei Seiten schnitten ihn
Wälder ab, in der weitesten Ferne die Höhen der Karpathen, die
sich wie finstere Gewölke ausnahmen.

Mitten auf diesem reizenden Teppich, durch den sich, wie eine
Silberader, hier in felsige, dort in bebuschte Ufer gefaßt, die Weich¬
sel schlängelt, präsentirte sich uns die alte schöne Stadt Krakau mit
ihrem hoch über ihr liegenden Schlosse und ihren weit emporragen¬
den Thürmen.

Nicht leicht kann man ein wonnigeres Bild finden, als das, wel¬
ches Krakau mit seiner Umgegend hergiebt, doch würde dieses Bild
noch wonniger sein, wenn das Land cultivirter wäre und die vielen
Dörfer, die auf der bunten Fläche ausgestreut liegen, nicht bloß blank


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[0165] Kr a V a n. Von C. Göhring. I. Um 8 Uhr des Abends war ich mit zwei mir befreundeten Reisegefährten, nämlich einer jungen polnischen Dame und deren Bruder, beide lebendige, heitere, liebenswürdige Leute, von Slomniki, einem ärmlichen Städtchen am Fuße des krakaucr Gebirges, aufge¬ brochen. Das Geschwisterpaar erhielt die Freude auf das Wieder¬ sehen der Aeltern bei offenen Augen, und so verging die Nacht un¬ ter Gesprächen. Während der Dämmerung fuhren wir in einem dichten Walde. AIS wir aus demselben herauskamen, stand uns gegenüber am Ho¬ rizonte die Sonne, und zwischen uns und ihr lag eine weite, rei¬ zende Gegend. Ein riesiger, von den abwechselnden Gebüschen, Fel¬ dern und Wiesen bunt gewebter Teppich, Wellen über sanfte Höhen schlagend, bot sich unserem Auge. Von drei Seiten schnitten ihn Wälder ab, in der weitesten Ferne die Höhen der Karpathen, die sich wie finstere Gewölke ausnahmen. Mitten auf diesem reizenden Teppich, durch den sich, wie eine Silberader, hier in felsige, dort in bebuschte Ufer gefaßt, die Weich¬ sel schlängelt, präsentirte sich uns die alte schöne Stadt Krakau mit ihrem hoch über ihr liegenden Schlosse und ihren weit emporragen¬ den Thürmen. Nicht leicht kann man ein wonnigeres Bild finden, als das, wel¬ ches Krakau mit seiner Umgegend hergiebt, doch würde dieses Bild noch wonniger sein, wenn das Land cultivirter wäre und die vielen Dörfer, die auf der bunten Fläche ausgestreut liegen, nicht bloß blank

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/165>, abgerufen am 05.02.2025.