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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Meyerbeer

Meister, ich bin kein Gelehrter, ich singe falsch
und kann kein Instrument spielen.

George Sand an Meyerbeer. -- <Vricfc eines
Reisenden, S. Band. S. 2!>2.)

Lieber Leser, ich bin gerade in demselben Falle wie George
Sand, welcher diesen wieder mit Napoleon gemein hat. In so gu¬
ter Gesellschaft könnte ich dieses mein Unglück in frischer Ruhe ertra¬
gen, und doch -- der Himmel ist mein Zeuge -- es gab viele lange
Stunden in meinem Leben, in denen ich eS bitter bedauerte. Nicht
etwa, daß ich kein gelehrter Kunstkenner bin, -- nein, sondern daß
ich jenes herrliche Instrument, das schönste von allen, entbehre, wel¬
ches der Ausdruck der innersten Freuden, der Trost in Leiden, der
Schutzengel, das Sprachwerkzeug des Herzens, die Leiter der
Seele zu Gott hinauf, mit Einem Worte die menschliche Stimme
ist, welche so vielen Menschen verliehen ist, die sie mißbrauchen; so
oft ich einen Tölpel, einen Gaukler, oder einen Trunkenbold richtig
singen höre, bekomme ich Lust zu weinen. Nichts kommt für mich
diesem göttlichen Instrumente gleich, und ich beurtheile die andern
nur nach dem Verhältniß, in welchem sie sich ihm nähern. Es ver¬
steht sich also von selbst, daß ich immer diejenige Musik vorziehe,
welche singt. Melodie, Harmonie, Rhythmus, Ausdruck, das ver¬
stehe ich, was aber die Geheimnisse und Schattirungen der Jnstru¬
mentation betrifft, so bin ich dagegen von einer empörenden Gleich-
giltigkeit. Ich hörte oft des Abends am Strande des Meeres, wenn
es stürmte aus dem dumpfen Gebrülle der Wogen, aus den rollen-


Meyerbeer

Meister, ich bin kein Gelehrter, ich singe falsch
und kann kein Instrument spielen.

George Sand an Meyerbeer. — <Vricfc eines
Reisenden, S. Band. S. 2!>2.)

Lieber Leser, ich bin gerade in demselben Falle wie George
Sand, welcher diesen wieder mit Napoleon gemein hat. In so gu¬
ter Gesellschaft könnte ich dieses mein Unglück in frischer Ruhe ertra¬
gen, und doch — der Himmel ist mein Zeuge — es gab viele lange
Stunden in meinem Leben, in denen ich eS bitter bedauerte. Nicht
etwa, daß ich kein gelehrter Kunstkenner bin, — nein, sondern daß
ich jenes herrliche Instrument, das schönste von allen, entbehre, wel¬
ches der Ausdruck der innersten Freuden, der Trost in Leiden, der
Schutzengel, das Sprachwerkzeug des Herzens, die Leiter der
Seele zu Gott hinauf, mit Einem Worte die menschliche Stimme
ist, welche so vielen Menschen verliehen ist, die sie mißbrauchen; so
oft ich einen Tölpel, einen Gaukler, oder einen Trunkenbold richtig
singen höre, bekomme ich Lust zu weinen. Nichts kommt für mich
diesem göttlichen Instrumente gleich, und ich beurtheile die andern
nur nach dem Verhältniß, in welchem sie sich ihm nähern. Es ver¬
steht sich also von selbst, daß ich immer diejenige Musik vorziehe,
welche singt. Melodie, Harmonie, Rhythmus, Ausdruck, das ver¬
stehe ich, was aber die Geheimnisse und Schattirungen der Jnstru¬
mentation betrifft, so bin ich dagegen von einer empörenden Gleich-
giltigkeit. Ich hörte oft des Abends am Strande des Meeres, wenn
es stürmte aus dem dumpfen Gebrülle der Wogen, aus den rollen-


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[0125] Meyerbeer Meister, ich bin kein Gelehrter, ich singe falsch und kann kein Instrument spielen. George Sand an Meyerbeer. — <Vricfc eines Reisenden, S. Band. S. 2!>2.) Lieber Leser, ich bin gerade in demselben Falle wie George Sand, welcher diesen wieder mit Napoleon gemein hat. In so gu¬ ter Gesellschaft könnte ich dieses mein Unglück in frischer Ruhe ertra¬ gen, und doch — der Himmel ist mein Zeuge — es gab viele lange Stunden in meinem Leben, in denen ich eS bitter bedauerte. Nicht etwa, daß ich kein gelehrter Kunstkenner bin, — nein, sondern daß ich jenes herrliche Instrument, das schönste von allen, entbehre, wel¬ ches der Ausdruck der innersten Freuden, der Trost in Leiden, der Schutzengel, das Sprachwerkzeug des Herzens, die Leiter der Seele zu Gott hinauf, mit Einem Worte die menschliche Stimme ist, welche so vielen Menschen verliehen ist, die sie mißbrauchen; so oft ich einen Tölpel, einen Gaukler, oder einen Trunkenbold richtig singen höre, bekomme ich Lust zu weinen. Nichts kommt für mich diesem göttlichen Instrumente gleich, und ich beurtheile die andern nur nach dem Verhältniß, in welchem sie sich ihm nähern. Es ver¬ steht sich also von selbst, daß ich immer diejenige Musik vorziehe, welche singt. Melodie, Harmonie, Rhythmus, Ausdruck, das ver¬ stehe ich, was aber die Geheimnisse und Schattirungen der Jnstru¬ mentation betrifft, so bin ich dagegen von einer empörenden Gleich- giltigkeit. Ich hörte oft des Abends am Strande des Meeres, wenn es stürmte aus dem dumpfen Gebrülle der Wogen, aus den rollen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/125>, abgerufen am 05.02.2025.