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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Der Zoll-Verein.
Ein Zweckessen in Wien



Ein Zweckessen in Wien! Ich spreche da "ein großes Wort ge¬
lassen aus." Wissen Sie denn, was das bedeuten will? Nicht mehr
und nicht weniger als eine Bresche in die chinesische Mauer, die uns
bisher vom einigen Deutschland getrennt hat; den Todesstoß für ein
tief eingewurzeltes Vorurtheil der Norddeutschen gegen uns Wiener.
Es ist keine Kleinigkeit, daß die "Backhähndcl" wieder zu Ehren
kommen und daß die "Krapfen" die "Strudel" die "Auflaufe" an"
fangen sollen, -- politisch zu werden! Ist das Zweckessen wirklich --
wie man selbst in dem magern Sachsen und Preußen zu glauben
scheint -- ein Symptom des erwachenden politischen Appetits und
der Verdammgskraft für öffentliche Angelegenheiten, so wird man die
nationalen Vorkämpfer mit Messer und Gabel künftig in Wien suchen
müssen. Denn wo könnte man gründlicher, fleißiger, glorreicher zweck¬
essen als bei uns! Doch ich sehe schon, bei dieser Wendung der Dinge
wird die sophistische Dialektik von der Spree und Pleiße plötzlich das
Blatt umdrehen; uneingedenk aller frühern Tiraden über unsere eß-
künstlerische Ausbildung, wird man ein Lorbeerblatt nach dem andern
von unseren Rinderbraten ziehen; man wird plötzlich finden, daß wir
schlecht essen, daß wir wahre Hungerleider sind. -- "Das Wiener
Backhähndel", schreibt vielleicht ein neuhegclscher Publicist, "entbehrt
jeder realen Eristenz; die Unmündigkeit des österreichischen Geistes
hat in der Wiener Kost ihren absoluten Ausdruck gefunden. Von
dem gesinnungslosen Kinderbrei der Mehlspeisen bis zu dem concre-
ten Germanenthum in der kernigen Unmittelbarkeit des westphälischen
Schinkens und der pommerschen Gänsebrust sind noch unabsehbare


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Der Zoll-Verein.
Ein Zweckessen in Wien



Ein Zweckessen in Wien! Ich spreche da „ein großes Wort ge¬
lassen aus." Wissen Sie denn, was das bedeuten will? Nicht mehr
und nicht weniger als eine Bresche in die chinesische Mauer, die uns
bisher vom einigen Deutschland getrennt hat; den Todesstoß für ein
tief eingewurzeltes Vorurtheil der Norddeutschen gegen uns Wiener.
Es ist keine Kleinigkeit, daß die „Backhähndcl" wieder zu Ehren
kommen und daß die „Krapfen" die „Strudel" die „Auflaufe" an«
fangen sollen, — politisch zu werden! Ist das Zweckessen wirklich —
wie man selbst in dem magern Sachsen und Preußen zu glauben
scheint — ein Symptom des erwachenden politischen Appetits und
der Verdammgskraft für öffentliche Angelegenheiten, so wird man die
nationalen Vorkämpfer mit Messer und Gabel künftig in Wien suchen
müssen. Denn wo könnte man gründlicher, fleißiger, glorreicher zweck¬
essen als bei uns! Doch ich sehe schon, bei dieser Wendung der Dinge
wird die sophistische Dialektik von der Spree und Pleiße plötzlich das
Blatt umdrehen; uneingedenk aller frühern Tiraden über unsere eß-
künstlerische Ausbildung, wird man ein Lorbeerblatt nach dem andern
von unseren Rinderbraten ziehen; man wird plötzlich finden, daß wir
schlecht essen, daß wir wahre Hungerleider sind. — „Das Wiener
Backhähndel", schreibt vielleicht ein neuhegclscher Publicist, „entbehrt
jeder realen Eristenz; die Unmündigkeit des österreichischen Geistes
hat in der Wiener Kost ihren absoluten Ausdruck gefunden. Von
dem gesinnungslosen Kinderbrei der Mehlspeisen bis zu dem concre-
ten Germanenthum in der kernigen Unmittelbarkeit des westphälischen
Schinkens und der pommerschen Gänsebrust sind noch unabsehbare


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[0069] Der Zoll-Verein. Ein Zweckessen in Wien Ein Zweckessen in Wien! Ich spreche da „ein großes Wort ge¬ lassen aus." Wissen Sie denn, was das bedeuten will? Nicht mehr und nicht weniger als eine Bresche in die chinesische Mauer, die uns bisher vom einigen Deutschland getrennt hat; den Todesstoß für ein tief eingewurzeltes Vorurtheil der Norddeutschen gegen uns Wiener. Es ist keine Kleinigkeit, daß die „Backhähndcl" wieder zu Ehren kommen und daß die „Krapfen" die „Strudel" die „Auflaufe" an« fangen sollen, — politisch zu werden! Ist das Zweckessen wirklich — wie man selbst in dem magern Sachsen und Preußen zu glauben scheint — ein Symptom des erwachenden politischen Appetits und der Verdammgskraft für öffentliche Angelegenheiten, so wird man die nationalen Vorkämpfer mit Messer und Gabel künftig in Wien suchen müssen. Denn wo könnte man gründlicher, fleißiger, glorreicher zweck¬ essen als bei uns! Doch ich sehe schon, bei dieser Wendung der Dinge wird die sophistische Dialektik von der Spree und Pleiße plötzlich das Blatt umdrehen; uneingedenk aller frühern Tiraden über unsere eß- künstlerische Ausbildung, wird man ein Lorbeerblatt nach dem andern von unseren Rinderbraten ziehen; man wird plötzlich finden, daß wir schlecht essen, daß wir wahre Hungerleider sind. — „Das Wiener Backhähndel", schreibt vielleicht ein neuhegclscher Publicist, „entbehrt jeder realen Eristenz; die Unmündigkeit des österreichischen Geistes hat in der Wiener Kost ihren absoluten Ausdruck gefunden. Von dem gesinnungslosen Kinderbrei der Mehlspeisen bis zu dem concre- ten Germanenthum in der kernigen Unmittelbarkeit des westphälischen Schinkens und der pommerschen Gänsebrust sind noch unabsehbare 9 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/69>, abgerufen am 22.07.2024.