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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Ungarische Skizzen.



I.

Deutsche Bildung, aber keine Germanisirung in Ungarn. -- Bedeutung des
Landes für die russisch-orientalische Frage. -- Der Landrag, Klagen über die
Passivität der Regierung. -- Der Schutzverein. -- Censur. -- Die Entwürfe
zu einem Ständehaus. -- Das Nationaltheater.

Mit Befremden bemerkt man, daß die Grenzboten, die sonst aus
den interessanten Punkten Europas regelmäßige Mittheilungen erhal¬
ten, auf Ungarn mir spärliche Streiflichter werfen lind mit Ausnahme
einiger Skizzen des Reichstages Nichts von Bedeutung über dies
Land gebracht haben. Mag sich auch Ihre Zeitschrift die Berücksich¬
tigung deutscher Zustände zur Haupttendenz gestellt haben, so dürfen
Sie doch nicht vergessen, daß Ungarn in seiner engen Verbindung
mit dem alten deutschen Kaiserhause ein Faktor deutscher Zukunft ge¬
worden ist und mit den Leiden und Freuden Deutschlands eng ver-
schwistert bleibt. Zudem ist das Land an der mittleren Donau, in
dem über eine halbe Million Deutsche leben, ein Ableger deutscher
Bildung und Gesittung und wie sehr auch in dem letzten Jahrzehent der
lärmende Ultramagyarismus diese Thatsache hinwegläugnen möchte,
die Wirklichkeit überbietet den Fanatismus der Meinung und noch in
dieser Stunde hat das deutsche Wesen bei uns keinen wesentlichen
Abbruch erlitten, die Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur
nimmt in demselben Maße zu, als die Bildung selbst im Lande wächst.
Sind aber erst die Eisenbahnlinien, die an die deutsche Grenze füh¬
ren, fertig, so wird die deutsche Bildung ihre Fortschritte in Ungarn
mit der Schnelligkeit deS Dampfes machen. Doch darf man unter
diesen Fortschritten keine Germanisirung Ungarns verstehen; diese


Ungarische Skizzen.



I.

Deutsche Bildung, aber keine Germanisirung in Ungarn. — Bedeutung des
Landes für die russisch-orientalische Frage. — Der Landrag, Klagen über die
Passivität der Regierung. — Der Schutzverein. — Censur. — Die Entwürfe
zu einem Ständehaus. — Das Nationaltheater.

Mit Befremden bemerkt man, daß die Grenzboten, die sonst aus
den interessanten Punkten Europas regelmäßige Mittheilungen erhal¬
ten, auf Ungarn mir spärliche Streiflichter werfen lind mit Ausnahme
einiger Skizzen des Reichstages Nichts von Bedeutung über dies
Land gebracht haben. Mag sich auch Ihre Zeitschrift die Berücksich¬
tigung deutscher Zustände zur Haupttendenz gestellt haben, so dürfen
Sie doch nicht vergessen, daß Ungarn in seiner engen Verbindung
mit dem alten deutschen Kaiserhause ein Faktor deutscher Zukunft ge¬
worden ist und mit den Leiden und Freuden Deutschlands eng ver-
schwistert bleibt. Zudem ist das Land an der mittleren Donau, in
dem über eine halbe Million Deutsche leben, ein Ableger deutscher
Bildung und Gesittung und wie sehr auch in dem letzten Jahrzehent der
lärmende Ultramagyarismus diese Thatsache hinwegläugnen möchte,
die Wirklichkeit überbietet den Fanatismus der Meinung und noch in
dieser Stunde hat das deutsche Wesen bei uns keinen wesentlichen
Abbruch erlitten, die Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur
nimmt in demselben Maße zu, als die Bildung selbst im Lande wächst.
Sind aber erst die Eisenbahnlinien, die an die deutsche Grenze füh¬
ren, fertig, so wird die deutsche Bildung ihre Fortschritte in Ungarn
mit der Schnelligkeit deS Dampfes machen. Doch darf man unter
diesen Fortschritten keine Germanisirung Ungarns verstehen; diese


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[0598] Ungarische Skizzen. I. Deutsche Bildung, aber keine Germanisirung in Ungarn. — Bedeutung des Landes für die russisch-orientalische Frage. — Der Landrag, Klagen über die Passivität der Regierung. — Der Schutzverein. — Censur. — Die Entwürfe zu einem Ständehaus. — Das Nationaltheater. Mit Befremden bemerkt man, daß die Grenzboten, die sonst aus den interessanten Punkten Europas regelmäßige Mittheilungen erhal¬ ten, auf Ungarn mir spärliche Streiflichter werfen lind mit Ausnahme einiger Skizzen des Reichstages Nichts von Bedeutung über dies Land gebracht haben. Mag sich auch Ihre Zeitschrift die Berücksich¬ tigung deutscher Zustände zur Haupttendenz gestellt haben, so dürfen Sie doch nicht vergessen, daß Ungarn in seiner engen Verbindung mit dem alten deutschen Kaiserhause ein Faktor deutscher Zukunft ge¬ worden ist und mit den Leiden und Freuden Deutschlands eng ver- schwistert bleibt. Zudem ist das Land an der mittleren Donau, in dem über eine halbe Million Deutsche leben, ein Ableger deutscher Bildung und Gesittung und wie sehr auch in dem letzten Jahrzehent der lärmende Ultramagyarismus diese Thatsache hinwegläugnen möchte, die Wirklichkeit überbietet den Fanatismus der Meinung und noch in dieser Stunde hat das deutsche Wesen bei uns keinen wesentlichen Abbruch erlitten, die Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur nimmt in demselben Maße zu, als die Bildung selbst im Lande wächst. Sind aber erst die Eisenbahnlinien, die an die deutsche Grenze füh¬ ren, fertig, so wird die deutsche Bildung ihre Fortschritte in Ungarn mit der Schnelligkeit deS Dampfes machen. Doch darf man unter diesen Fortschritten keine Germanisirung Ungarns verstehen; diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/598>, abgerufen am 22.07.2024.