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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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IV.
„Moritz von Sachsen«' auf der Leipziger Bühne.

Wir haben nun auch Moritz von Sachsen gesehen und müssen
der Ansicht unseres Münchner Correspondenten (siehe Nro. 15.) ent¬
schieden beistimmen. Gutmüthige Rücksicht für „das junge Drama"
und auf das unbegreifliche Berliner Verbot *) mag ein Auge zudrük-
?en: als dramaturgische Richter hätten auch wir alle Nachsicht, wenn
sie nöthig wäre; indeß verräth der technische Bau des Stückes ziem¬
liche Fertigkeit. Wir haben es mit Anderem zu thun. Grade das,
worauf getrumpft wird, was dem Stück die Fürsprache der Liberalen
verschaffen soll, die sogenannte Gesinnung, — das ist es, was uns
daraus anwidert. Es gibt schlechte Dramatiker, die ihre Freiheitslyrik
in dramatische Form kleiden, z. B. Mosen, aber diese Freiheitspoesie
ist doch Poesie, unwillkürlich auf das Theater verirrt, innerliche, sub-
jective Wahrheit, nicht kalte, aus Spekulation eingestickte Rhetorik.
Mosen's Rienzi ist Mosen, wie, oeteris ,,-uüuis, Schiller's Posa
Schiller ist: sollen wir sagen, Moritz von Sachsen sei Prutz? Das
wäre zu bitter, fast eine Injurie. Der Dichter, heißt es, hat die
Geschichte zu frei behandelt. Wenn diese nur dabei gewonnen hätte!
Aber Karl V., Grcmvella, Johann Friedrich, Lucas Cranach,— idea-
lisirt hat sie Prutz wahrlich nicht; in der abgeblaßtesten Copie, im
schlechtesten Daguerreotypbilde, wären sie ja großartiger, als in dieser
freien Mißhandlung. Karl und die Fürsten sind gute Hausvater,
Granvella ein schäbiger, gemeiner Scherge, der zum Glück, so wie
Cranach, selten den Mund aufmacht — es ist eine sinnlose Ver¬
schwendung großer historischer Namen und Masken. Wie aber weicht
Prutz von der Geschichte ab? Hat er seinen Moritz zu einem Andern
gemacht, als der historische war? Sein Moritz handelt so perfid, wie
der wirkliche, nur daß er liberal spricht, also blos charakterloser ist, wie
der wirkliche. Er hangt so lange am Kaiser und hat so lange blos
eitle Bittschriften und zarte Verwendungen für die „Freiheit", bis ihm
der kurfürstliche Hut fest auf dem Kopfe sitzt, und er nimmt das
Land seines geächteten Oheims mit Bedauern, ja „die Seele bricht
ihm" dabei, aber er nimmt's und wohl bekommt es ihm; als er vom
Kaiser Nichts mehr zu gewinnen, das „Vaterland" aber etwas zu
bieten hat, ruft er pathetisch: Jetzt nimm mich hin, mein Vaterland!



*) Unbegreiflich, fall« es nicht etwa durch die Liberalen selbst erwirkt
wurde; denn jenem großen Haufen, bei dem der Liberalismus blos als moderne
/-»ut-üsie, als so ein pocrisches Ding Werth hat, kann er durch das WruK'sche
Stück leicht verleidet werden. Man gebe es nur recht oft in Berlin; es wird
homöopathisch wirken-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/97>, abgerufen am 22.01.2025.