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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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den Dank aller Gutgesinnten und den Namen einer Sicherheitsbe¬
hörde im wahren Wortsinne verdienen.


II.
Aus B r e s l a u.
and.----

Die Reise in's gelobte L Die Mäßigkeit. Gewöhnlichkeit der Wun¬
der. -- Das Ständehaus und die Stände. -- Offizier und Denunciant. --
Herr von Holbein.

Es gehört eine außerordentliche Geduld dazu, ein Deutscher zu
sein. Da hatten wir auf der Reise in's gelobte Land erst drei Schritte
gethan, und schon wird der Weg schlüpfrig und wankt unter unseren
Füßen. Rückwärts wollen wir nicht, vorwärts dürfen wir nicht. So
zwischen Optativ und Imperativ eingekeilt, sitzen wir und zehren an
dem Vorrathe unserer Zwerchsäcke, in unbehaglicher Stimmung der
Dinge harrend, die da kommen sollen. Es wäre den Führern anzu-
rathen, einmal dem Harun al Raschid nachzuahmen und umherzuge¬
hen in dem Lager und zu horchen, was darin gesprochen wird. Sie
würden sehen, daß wir Recht haben: das Volk murrt und will weiter
ziehen. Kommt nach Schlesien und überzeugt Euch. Die Mißstim¬
mung hat sich wie ein tödtender Mehlthau auf die Seelen gelagert.
So etwas zu sagen verstößt weiß Gott gegen wie viele Paragraphen
bekannter und unbekannter Censurinstructionen, aber es ist Wahrheit,
eine Wahrheit, die mit Händen zu greifen ist, die auf allen Gassen
umherläuft und sich aufdringt, wie ein hungriger Bettler. Ihr stoßt
diese bettelnde Wahrheit von Euch; bedenkt, es gab schon Bettler,
welche forderten. Ich begreife nicht, was daraus werden wird^
wenn der Rapport zwischen Regierung und Volk noch lange unter¬
sagt bleibt. Es kommt ein Tag, wo beide mit Schrecken bemerken,
daß sie einander nicht mehr verstehen. In Berlin klagt man über
Beschränkungen der Presse; wir haben schon ausgeklagt, unsere Ge¬
schichte der Gegenwart liegt von einem großen Censurstriche niederge¬
streckt lange todt da, nun geht es schon an die Vergangenheit. That¬
sachen aus dem Mittelalter werden ausgemerzt, und ich sehe noch die
Zeit kommen-, wo unsere Censur die Bibel corrigirt. Gott besser's!
Manchen Leuten ist es nun freilich lieb, daß so eine Laterne nach der
andern ausgelöscht und die Finsterniß immer munkeliger wird. Da
haben wir den schlesischen Adel, dessen Ansprüche immer markirter
hervortreten, da ist die Geistlichkeit, welche ihren Thron durch zerbro¬
chene Branntweinflaschen erhöht, zwei Potenzen, die um so wuchtiger
auf das Volk fallen, je weniger letzteres durch die Presse einen Gegen¬
druck ausüben kann. In Oberschlesien zieht ein Stück Mittelalter
nach dem andern ein. Ein katholischer Geistlicher, eine rari", uvis,
1844 II.


Grenzboten .^

den Dank aller Gutgesinnten und den Namen einer Sicherheitsbe¬
hörde im wahren Wortsinne verdienen.


II.
Aus B r e s l a u.
and.——

Die Reise in's gelobte L Die Mäßigkeit. Gewöhnlichkeit der Wun¬
der. — Das Ständehaus und die Stände. — Offizier und Denunciant. —
Herr von Holbein.

Es gehört eine außerordentliche Geduld dazu, ein Deutscher zu
sein. Da hatten wir auf der Reise in's gelobte Land erst drei Schritte
gethan, und schon wird der Weg schlüpfrig und wankt unter unseren
Füßen. Rückwärts wollen wir nicht, vorwärts dürfen wir nicht. So
zwischen Optativ und Imperativ eingekeilt, sitzen wir und zehren an
dem Vorrathe unserer Zwerchsäcke, in unbehaglicher Stimmung der
Dinge harrend, die da kommen sollen. Es wäre den Führern anzu-
rathen, einmal dem Harun al Raschid nachzuahmen und umherzuge¬
hen in dem Lager und zu horchen, was darin gesprochen wird. Sie
würden sehen, daß wir Recht haben: das Volk murrt und will weiter
ziehen. Kommt nach Schlesien und überzeugt Euch. Die Mißstim¬
mung hat sich wie ein tödtender Mehlthau auf die Seelen gelagert.
So etwas zu sagen verstößt weiß Gott gegen wie viele Paragraphen
bekannter und unbekannter Censurinstructionen, aber es ist Wahrheit,
eine Wahrheit, die mit Händen zu greifen ist, die auf allen Gassen
umherläuft und sich aufdringt, wie ein hungriger Bettler. Ihr stoßt
diese bettelnde Wahrheit von Euch; bedenkt, es gab schon Bettler,
welche forderten. Ich begreife nicht, was daraus werden wird^
wenn der Rapport zwischen Regierung und Volk noch lange unter¬
sagt bleibt. Es kommt ein Tag, wo beide mit Schrecken bemerken,
daß sie einander nicht mehr verstehen. In Berlin klagt man über
Beschränkungen der Presse; wir haben schon ausgeklagt, unsere Ge¬
schichte der Gegenwart liegt von einem großen Censurstriche niederge¬
streckt lange todt da, nun geht es schon an die Vergangenheit. That¬
sachen aus dem Mittelalter werden ausgemerzt, und ich sehe noch die
Zeit kommen-, wo unsere Censur die Bibel corrigirt. Gott besser's!
Manchen Leuten ist es nun freilich lieb, daß so eine Laterne nach der
andern ausgelöscht und die Finsterniß immer munkeliger wird. Da
haben wir den schlesischen Adel, dessen Ansprüche immer markirter
hervortreten, da ist die Geistlichkeit, welche ihren Thron durch zerbro¬
chene Branntweinflaschen erhöht, zwei Potenzen, die um so wuchtiger
auf das Volk fallen, je weniger letzteres durch die Presse einen Gegen¬
druck ausüben kann. In Oberschlesien zieht ein Stück Mittelalter
nach dem andern ein. Ein katholischer Geistlicher, eine rari«, uvis,
1844 II.


Grenzboten .^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/93>, abgerufen am 27.07.2024.