Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine durch das Ober-Censurgericht zum Druck verstattete Notiz, daß
der König gesagt habe, den Webern soll und muß geholfen
werden. Dem gesunden Menschenverstande leuchtet es ein, daß diese
Worte eher zur Beruhigung, als zur Aufregung der Weber gereichen
müßten. Unser Censor aber streicht die Notiz mit der Bemerkung:
Mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse der Provinz nicht zu¬
lässig. Das Rouge'sche Schreiben an den Bischof Arnoldi wurde
auch gestrichen, trotzdem das Ober-Censurgericht der Spener'schen Zei¬
tung den Abdruck gestattet hatte. Das sind unsere geordneten Pre߬
zustände, von denen gewisse Berliner Publicisten so Vieles zu erzäh¬
len wissen! -- Nun noch in Kürze von zwei Bühnen-Novitäten.
Lady Ellen von L. Mühlbach, gelind langweilig und nur durch das
Spiel von Fräulein Wilhelmi (Lady) und Herrn Stolz (-Zopfband)
gehalten. Die Schule der Verliebten von Karl Blum, ein Gemisch
von Trivialitäten, Lüsternheiten und wirksamen Pointen, gefiel dem
Publicum der höheren Ordnung ausnehmend, entweiht aber den Tem¬
pel der Kunst. Herr von Holtei geht mit raschen Schritten seinem
Unglück entgegen: er läßt eins seiner Stücke ausführen. Dann fehlt
nur noch, daß er als Actcur auftritt, um den Sturz seines Ministe¬
x. riums vollständig zu machen.


'"wo'in
Ans Leipzig.

Leipziger Solidität. -- Bälle. -- Norden und Süden. -- Eine musikalische
Matinee von Robert Schumann. -- Eutcrpe-Concert. -- Laube und die Ele¬
gante. -- Bernhardts dramatische Borlesungen.

Eine Stadt, die allgemeingültige Staatskarossen hat, deren sich
jeder ehrsame Bürger bei Kindtaufen, Hochzeiten, Promotionen ze.
bedient, und in denen jeder Einzelne sich so selbstgefällig wiegt, als
gehörte das große Wappen draußen nur ihm allein und als wäre die
altfränkische Livrve von seinen Altvordern vererbt--eine solche
Stadt muß eine sehr solide und ihre Bürger müssen sehr naiv sein.--
Es wird Einem, der aus dem sündhaften Süden kommt, anfangs
schauerlich zu Muthe: in den Gassen nur das Rasseln der kleinen
Packwagen, "die Musik der Industrie" -- in Salons und
auf Bällen Gähnen der Mütter um Mitternacht. -- Und diese Zeit
der Bälle, wie furchtbar regelmäßig verstreicht sie: heute Concordiaball,
morgen Tunnelball, übermorgen Professorenball -- dort kommen pflicht¬
gemäß die Concordianer, hier die Tunnellisten und da die Professoren
und Candidaten zusammen, um sich verabredeter Maßen zu amüstren. --
sieht aus, als ob die Bälle nach dem Census eingerichtet wären,
"n der liberalen Stadt Leipzig, und als ob jeder der hundert Stände
ängstlich darüber wachte, ja sich nicht durch Berührung mit einem


eine durch das Ober-Censurgericht zum Druck verstattete Notiz, daß
der König gesagt habe, den Webern soll und muß geholfen
werden. Dem gesunden Menschenverstande leuchtet es ein, daß diese
Worte eher zur Beruhigung, als zur Aufregung der Weber gereichen
müßten. Unser Censor aber streicht die Notiz mit der Bemerkung:
Mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse der Provinz nicht zu¬
lässig. Das Rouge'sche Schreiben an den Bischof Arnoldi wurde
auch gestrichen, trotzdem das Ober-Censurgericht der Spener'schen Zei¬
tung den Abdruck gestattet hatte. Das sind unsere geordneten Pre߬
zustände, von denen gewisse Berliner Publicisten so Vieles zu erzäh¬
len wissen! — Nun noch in Kürze von zwei Bühnen-Novitäten.
Lady Ellen von L. Mühlbach, gelind langweilig und nur durch das
Spiel von Fräulein Wilhelmi (Lady) und Herrn Stolz (-Zopfband)
gehalten. Die Schule der Verliebten von Karl Blum, ein Gemisch
von Trivialitäten, Lüsternheiten und wirksamen Pointen, gefiel dem
Publicum der höheren Ordnung ausnehmend, entweiht aber den Tem¬
pel der Kunst. Herr von Holtei geht mit raschen Schritten seinem
Unglück entgegen: er läßt eins seiner Stücke ausführen. Dann fehlt
nur noch, daß er als Actcur auftritt, um den Sturz seines Ministe¬
x. riums vollständig zu machen.


'«wo'in
Ans Leipzig.

Leipziger Solidität. — Bälle. — Norden und Süden. — Eine musikalische
Matinee von Robert Schumann. — Eutcrpe-Concert. — Laube und die Ele¬
gante. — Bernhardts dramatische Borlesungen.

Eine Stadt, die allgemeingültige Staatskarossen hat, deren sich
jeder ehrsame Bürger bei Kindtaufen, Hochzeiten, Promotionen ze.
bedient, und in denen jeder Einzelne sich so selbstgefällig wiegt, als
gehörte das große Wappen draußen nur ihm allein und als wäre die
altfränkische Livrve von seinen Altvordern vererbt--eine solche
Stadt muß eine sehr solide und ihre Bürger müssen sehr naiv sein.—
Es wird Einem, der aus dem sündhaften Süden kommt, anfangs
schauerlich zu Muthe: in den Gassen nur das Rasseln der kleinen
Packwagen, „die Musik der Industrie" — in Salons und
auf Bällen Gähnen der Mütter um Mitternacht. — Und diese Zeit
der Bälle, wie furchtbar regelmäßig verstreicht sie: heute Concordiaball,
morgen Tunnelball, übermorgen Professorenball — dort kommen pflicht¬
gemäß die Concordianer, hier die Tunnellisten und da die Professoren
und Candidaten zusammen, um sich verabredeter Maßen zu amüstren. —
sieht aus, als ob die Bälle nach dem Census eingerichtet wären,
»n der liberalen Stadt Leipzig, und als ob jeder der hundert Stände
ängstlich darüber wachte, ja sich nicht durch Berührung mit einem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181753"/>
            <p xml:id="ID_1635" prev="#ID_1634"> eine durch das Ober-Censurgericht zum Druck verstattete Notiz, daß<lb/>
der König gesagt habe, den Webern soll und muß geholfen<lb/>
werden. Dem gesunden Menschenverstande leuchtet es ein, daß diese<lb/>
Worte eher zur Beruhigung, als zur Aufregung der Weber gereichen<lb/>
müßten. Unser Censor aber streicht die Notiz mit der Bemerkung:<lb/>
Mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse der Provinz nicht zu¬<lb/>
lässig. Das Rouge'sche Schreiben an den Bischof Arnoldi wurde<lb/>
auch gestrichen, trotzdem das Ober-Censurgericht der Spener'schen Zei¬<lb/>
tung den Abdruck gestattet hatte. Das sind unsere geordneten Pre߬<lb/>
zustände, von denen gewisse Berliner Publicisten so Vieles zu erzäh¬<lb/>
len wissen! &#x2014; Nun noch in Kürze von zwei Bühnen-Novitäten.<lb/>
Lady Ellen von L. Mühlbach, gelind langweilig und nur durch das<lb/>
Spiel von Fräulein Wilhelmi (Lady) und Herrn Stolz (-Zopfband)<lb/>
gehalten. Die Schule der Verliebten von Karl Blum, ein Gemisch<lb/>
von Trivialitäten, Lüsternheiten und wirksamen Pointen, gefiel dem<lb/>
Publicum der höheren Ordnung ausnehmend, entweiht aber den Tem¬<lb/>
pel der Kunst. Herr von Holtei geht mit raschen Schritten seinem<lb/>
Unglück entgegen: er läßt eins seiner Stücke ausführen. Dann fehlt<lb/>
nur noch, daß er als Actcur auftritt, um den Sturz seines Ministe¬<lb/><note type="byline"> x.</note> riums vollständig zu machen. </p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> '«wo'in<lb/>
Ans Leipzig.</head><lb/>
            <note type="argument"> Leipziger Solidität. &#x2014; Bälle. &#x2014; Norden und Süden. &#x2014; Eine musikalische<lb/>
Matinee von Robert Schumann. &#x2014; Eutcrpe-Concert. &#x2014; Laube und die Ele¬<lb/>
gante. &#x2014; Bernhardts dramatische Borlesungen.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1636" next="#ID_1637"> Eine Stadt, die allgemeingültige Staatskarossen hat, deren sich<lb/>
jeder ehrsame Bürger bei Kindtaufen, Hochzeiten, Promotionen ze.<lb/>
bedient, und in denen jeder Einzelne sich so selbstgefällig wiegt, als<lb/>
gehörte das große Wappen draußen nur ihm allein und als wäre die<lb/>
altfränkische Livrve von seinen Altvordern vererbt--eine solche<lb/>
Stadt muß eine sehr solide und ihre Bürger müssen sehr naiv sein.&#x2014;<lb/>
Es wird Einem, der aus dem sündhaften Süden kommt, anfangs<lb/>
schauerlich zu Muthe: in den Gassen nur das Rasseln der kleinen<lb/>
Packwagen, &#x201E;die Musik der Industrie" &#x2014; in Salons und<lb/>
auf Bällen Gähnen der Mütter um Mitternacht. &#x2014; Und diese Zeit<lb/>
der Bälle, wie furchtbar regelmäßig verstreicht sie: heute Concordiaball,<lb/>
morgen Tunnelball, übermorgen Professorenball &#x2014; dort kommen pflicht¬<lb/>
gemäß die Concordianer, hier die Tunnellisten und da die Professoren<lb/>
und Candidaten zusammen, um sich verabredeter Maßen zu amüstren. &#x2014;<lb/>
sieht aus, als ob die Bälle nach dem Census eingerichtet wären,<lb/>
»n der liberalen Stadt Leipzig, und als ob jeder der hundert Stände<lb/>
ängstlich darüber wachte, ja sich nicht durch Berührung mit einem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0569] eine durch das Ober-Censurgericht zum Druck verstattete Notiz, daß der König gesagt habe, den Webern soll und muß geholfen werden. Dem gesunden Menschenverstande leuchtet es ein, daß diese Worte eher zur Beruhigung, als zur Aufregung der Weber gereichen müßten. Unser Censor aber streicht die Notiz mit der Bemerkung: Mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse der Provinz nicht zu¬ lässig. Das Rouge'sche Schreiben an den Bischof Arnoldi wurde auch gestrichen, trotzdem das Ober-Censurgericht der Spener'schen Zei¬ tung den Abdruck gestattet hatte. Das sind unsere geordneten Pre߬ zustände, von denen gewisse Berliner Publicisten so Vieles zu erzäh¬ len wissen! — Nun noch in Kürze von zwei Bühnen-Novitäten. Lady Ellen von L. Mühlbach, gelind langweilig und nur durch das Spiel von Fräulein Wilhelmi (Lady) und Herrn Stolz (-Zopfband) gehalten. Die Schule der Verliebten von Karl Blum, ein Gemisch von Trivialitäten, Lüsternheiten und wirksamen Pointen, gefiel dem Publicum der höheren Ordnung ausnehmend, entweiht aber den Tem¬ pel der Kunst. Herr von Holtei geht mit raschen Schritten seinem Unglück entgegen: er läßt eins seiner Stücke ausführen. Dann fehlt nur noch, daß er als Actcur auftritt, um den Sturz seines Ministe¬ x. riums vollständig zu machen. '«wo'in Ans Leipzig. Leipziger Solidität. — Bälle. — Norden und Süden. — Eine musikalische Matinee von Robert Schumann. — Eutcrpe-Concert. — Laube und die Ele¬ gante. — Bernhardts dramatische Borlesungen. Eine Stadt, die allgemeingültige Staatskarossen hat, deren sich jeder ehrsame Bürger bei Kindtaufen, Hochzeiten, Promotionen ze. bedient, und in denen jeder Einzelne sich so selbstgefällig wiegt, als gehörte das große Wappen draußen nur ihm allein und als wäre die altfränkische Livrve von seinen Altvordern vererbt--eine solche Stadt muß eine sehr solide und ihre Bürger müssen sehr naiv sein.— Es wird Einem, der aus dem sündhaften Süden kommt, anfangs schauerlich zu Muthe: in den Gassen nur das Rasseln der kleinen Packwagen, „die Musik der Industrie" — in Salons und auf Bällen Gähnen der Mütter um Mitternacht. — Und diese Zeit der Bälle, wie furchtbar regelmäßig verstreicht sie: heute Concordiaball, morgen Tunnelball, übermorgen Professorenball — dort kommen pflicht¬ gemäß die Concordianer, hier die Tunnellisten und da die Professoren und Candidaten zusammen, um sich verabredeter Maßen zu amüstren. — sieht aus, als ob die Bälle nach dem Census eingerichtet wären, »n der liberalen Stadt Leipzig, und als ob jeder der hundert Stände ängstlich darüber wachte, ja sich nicht durch Berührung mit einem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/569
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/569>, abgerufen am 27.07.2024.