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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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i.
Aus Wien.

Graf Sedlnizky. -- Börscnmänner, -- I>e r"i sse niort. -- Ein Freitisch.--
Originelles Testament. -- Journalskandale.

Von einigen, für die österreichischen Literaturzustände höchst wich¬
tigen Veränderungen in der Besetzung mehrerer Hofstellen ward in den
letzten Tagen viel gesprochen. Es heißt: der Präsident der Polizei-
Hofstelle, Herr Graf Sedlnizky soll zum Ritter des goldenen Vließes
und an die Stelle des in Ruhe tretenden Grafen Czernin ernannt
werden. An seine Stelle soll der bisherige Gouverneur in Grätz,
Herr Graf Wickenburg, als Polizeipräsident (und oberster Richter in
Censurangelegenheiten) kommen. Herr Graf Sedlnizky hat während
der Zeit seiner Verwaltung das bisherige Censursystem mit strenger
Consequenz aufrecht erhalten und zu einer in neuerer Zeit oft vorge¬
schlagenen Aenderung desselben sich nicht entschließen können. Ob sein
in Rede stehender Nachfolger einem anderen System sich günstiger zei¬
gen wird, ist eine große Frage, da bei uns mit den Personen nicht
die Systeme zu wechseln pflegen.

Unsere Börse hat sich von dem Schrecken, in welchen sie der Tod
eines ihrer ersten Häuptlinge versetzte, wieder erholt. Allein, daß die
Krankheit eines einzigen Speculanten eine so große Schwankung her¬
vorbringen konnte, läßt in einen tiefen Abgrund blicken; es zeigt, auf
welchen thönernen Füßen das Vermögen so vieler Geld- und Privat¬
männer steht und wie der leiseste conträre Wind, der sich in der poli¬
tischen Welt erhebt, einen plötzlichen unheilvollen Umsturz so vieler
Vermögensverhältnisse nach sich ziehen wird. Der so eben verstorbene
Herr Todesko, der ein Vermögen von fünf Millionen Gulden C.-M-
hinterließ, war in den Jahren 1830 und 4835, namentlich aber durch
die im letztgenannten Jahre mit dem Tode des Kaisers Franz einge¬
tretenen Börsenkrisis, selbst einem völligen Ruin nahe. Bekanntlich
gab es damals viele Leute in Wien, welche die mit Franz unterschrie-


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i.
Aus Wien.

Graf Sedlnizky. — Börscnmänner, — I>e r»i sse niort. — Ein Freitisch.—
Originelles Testament. — Journalskandale.

Von einigen, für die österreichischen Literaturzustände höchst wich¬
tigen Veränderungen in der Besetzung mehrerer Hofstellen ward in den
letzten Tagen viel gesprochen. Es heißt: der Präsident der Polizei-
Hofstelle, Herr Graf Sedlnizky soll zum Ritter des goldenen Vließes
und an die Stelle des in Ruhe tretenden Grafen Czernin ernannt
werden. An seine Stelle soll der bisherige Gouverneur in Grätz,
Herr Graf Wickenburg, als Polizeipräsident (und oberster Richter in
Censurangelegenheiten) kommen. Herr Graf Sedlnizky hat während
der Zeit seiner Verwaltung das bisherige Censursystem mit strenger
Consequenz aufrecht erhalten und zu einer in neuerer Zeit oft vorge¬
schlagenen Aenderung desselben sich nicht entschließen können. Ob sein
in Rede stehender Nachfolger einem anderen System sich günstiger zei¬
gen wird, ist eine große Frage, da bei uns mit den Personen nicht
die Systeme zu wechseln pflegen.

Unsere Börse hat sich von dem Schrecken, in welchen sie der Tod
eines ihrer ersten Häuptlinge versetzte, wieder erholt. Allein, daß die
Krankheit eines einzigen Speculanten eine so große Schwankung her¬
vorbringen konnte, läßt in einen tiefen Abgrund blicken; es zeigt, auf
welchen thönernen Füßen das Vermögen so vieler Geld- und Privat¬
männer steht und wie der leiseste conträre Wind, der sich in der poli¬
tischen Welt erhebt, einen plötzlichen unheilvollen Umsturz so vieler
Vermögensverhältnisse nach sich ziehen wird. Der so eben verstorbene
Herr Todesko, der ein Vermögen von fünf Millionen Gulden C.-M-
hinterließ, war in den Jahren 1830 und 4835, namentlich aber durch
die im letztgenannten Jahre mit dem Tode des Kaisers Franz einge¬
tretenen Börsenkrisis, selbst einem völligen Ruin nahe. Bekanntlich
gab es damals viele Leute in Wien, welche die mit Franz unterschrie-


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[0556] T a g e b u es. i. Aus Wien. Graf Sedlnizky. — Börscnmänner, — I>e r»i sse niort. — Ein Freitisch.— Originelles Testament. — Journalskandale. Von einigen, für die österreichischen Literaturzustände höchst wich¬ tigen Veränderungen in der Besetzung mehrerer Hofstellen ward in den letzten Tagen viel gesprochen. Es heißt: der Präsident der Polizei- Hofstelle, Herr Graf Sedlnizky soll zum Ritter des goldenen Vließes und an die Stelle des in Ruhe tretenden Grafen Czernin ernannt werden. An seine Stelle soll der bisherige Gouverneur in Grätz, Herr Graf Wickenburg, als Polizeipräsident (und oberster Richter in Censurangelegenheiten) kommen. Herr Graf Sedlnizky hat während der Zeit seiner Verwaltung das bisherige Censursystem mit strenger Consequenz aufrecht erhalten und zu einer in neuerer Zeit oft vorge¬ schlagenen Aenderung desselben sich nicht entschließen können. Ob sein in Rede stehender Nachfolger einem anderen System sich günstiger zei¬ gen wird, ist eine große Frage, da bei uns mit den Personen nicht die Systeme zu wechseln pflegen. Unsere Börse hat sich von dem Schrecken, in welchen sie der Tod eines ihrer ersten Häuptlinge versetzte, wieder erholt. Allein, daß die Krankheit eines einzigen Speculanten eine so große Schwankung her¬ vorbringen konnte, läßt in einen tiefen Abgrund blicken; es zeigt, auf welchen thönernen Füßen das Vermögen so vieler Geld- und Privat¬ männer steht und wie der leiseste conträre Wind, der sich in der poli¬ tischen Welt erhebt, einen plötzlichen unheilvollen Umsturz so vieler Vermögensverhältnisse nach sich ziehen wird. Der so eben verstorbene Herr Todesko, der ein Vermögen von fünf Millionen Gulden C.-M- hinterließ, war in den Jahren 1830 und 4835, namentlich aber durch die im letztgenannten Jahre mit dem Tode des Kaisers Franz einge¬ tretenen Börsenkrisis, selbst einem völligen Ruin nahe. Bekanntlich gab es damals viele Leute in Wien, welche die mit Franz unterschrie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/556>, abgerufen am 27.07.2024.