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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Ihr nicht die Krankenhäuser, warum pilgert Ihr nicht damit von
Hütte zu Hütte und tilgt das Elend vom Angesicht der Erde? Ist
das nicht Euer Beruf? Ihr werdet sagen, das Wunder wirke nur
auf Gläubige. Gut. Heile nur die Gläubigen, wir verlangen nicht,
daß Ihr Ketzer, Juden und Heiden begnadigt. Aber Ihr laßt auch
die frommen Katholiken hundert Jahre schmachten, ehe Ihr die
Panacee anwendet. Wer weiß, vielleicht hat wirklich Christus selbst,
mit einem schmerzlichen Blick auf die undankbare Menschheit und
ihre falschen Propheten, Euch sein Kleid zugeworfen und gesagt: Geht,
mit mir selbst wißt Ihr ja doch nicht zu wirken, da habt Ihr mein
Gewand! Und so habt Ihr eben von dem großen Nazarener -- Nichts
als den Rock. -- Man hört, die Censur einer großen norddeutschen
Stadt habe die Weisung, das Triersche Schauspiel zu schonen; und
die Zeitungen, die sich dem Allen gegenüber ducken und still halten,
werden als klug (!) und national gelobt. O über die Schleicher und
Leisetreter! Wie oft verhöhnt Ihr die moderne Toleranz als eine
falsche, als leidigen Indifferentismus und gewissenlose Lauheit, --
das also ist wahre Toleranz! Wie oft beschnüffelt und verflucht Ihr
jeden warmen Hauch, der von jenseits des Rheins herüberweht, --
diesen schwülen Odem aber, mit dem uns der belgische und französische
Ultramontanismus anblas't, soll man nicht als undeutsch bekämpfen?!
Wird der Volksgeist von Philosophen bearbeitet, so muß man die
Polizei anrufen, -- gegen diese Bearbeitung des Volkes soll man auch
nicht mit Worten streiten! Solche "Klugheit" ist charakteristisch für
die Deutschen von 1844. Wenn man in Berlin, durch die erwähnte
Weisung, die Katholiken zu schonen oder zu verpflichten glaubt, so
scheint uns das eher eine grobe Beleidigung. Die Katholiken selbst
(etwa den rohesten Pöbel ausgenommen) verletzt das Trierer Schauspiel
gewiß am meisten, und keiner von ihnen glaubt, daß dergleichen zum
katholischen Glauben gehöre. Was in Trier vorgeht, scheint uns eine
größere Blasphemie, als die schnödesten Witze darüber. Wir selbst
haben uns vorgenommen, in diesen Blättern uns nie in religiöse
Streitigkeiten zu mischen; dieser Fall aber ist kein religiöser, und so
konnten wir ein Paar Worte darüber nicht unterdrücken. Lieber
"Leipziger Marktliberalismus" -- wie eine große Zeitung es nennt --
als Klugheit von der Sorte!


- - V.
Notizen

Russische Beschwerden. -- Fallmeraycr's Bekenntnisse. -- Lehrfreiheit in Preußen.
-- Deutsche Flotte. -- Weitling.

Ein Leipziger Journal bemerkt, bei Erwähnung von Wies-


Ihr nicht die Krankenhäuser, warum pilgert Ihr nicht damit von
Hütte zu Hütte und tilgt das Elend vom Angesicht der Erde? Ist
das nicht Euer Beruf? Ihr werdet sagen, das Wunder wirke nur
auf Gläubige. Gut. Heile nur die Gläubigen, wir verlangen nicht,
daß Ihr Ketzer, Juden und Heiden begnadigt. Aber Ihr laßt auch
die frommen Katholiken hundert Jahre schmachten, ehe Ihr die
Panacee anwendet. Wer weiß, vielleicht hat wirklich Christus selbst,
mit einem schmerzlichen Blick auf die undankbare Menschheit und
ihre falschen Propheten, Euch sein Kleid zugeworfen und gesagt: Geht,
mit mir selbst wißt Ihr ja doch nicht zu wirken, da habt Ihr mein
Gewand! Und so habt Ihr eben von dem großen Nazarener — Nichts
als den Rock. — Man hört, die Censur einer großen norddeutschen
Stadt habe die Weisung, das Triersche Schauspiel zu schonen; und
die Zeitungen, die sich dem Allen gegenüber ducken und still halten,
werden als klug (!) und national gelobt. O über die Schleicher und
Leisetreter! Wie oft verhöhnt Ihr die moderne Toleranz als eine
falsche, als leidigen Indifferentismus und gewissenlose Lauheit, —
das also ist wahre Toleranz! Wie oft beschnüffelt und verflucht Ihr
jeden warmen Hauch, der von jenseits des Rheins herüberweht, —
diesen schwülen Odem aber, mit dem uns der belgische und französische
Ultramontanismus anblas't, soll man nicht als undeutsch bekämpfen?!
Wird der Volksgeist von Philosophen bearbeitet, so muß man die
Polizei anrufen, — gegen diese Bearbeitung des Volkes soll man auch
nicht mit Worten streiten! Solche „Klugheit" ist charakteristisch für
die Deutschen von 1844. Wenn man in Berlin, durch die erwähnte
Weisung, die Katholiken zu schonen oder zu verpflichten glaubt, so
scheint uns das eher eine grobe Beleidigung. Die Katholiken selbst
(etwa den rohesten Pöbel ausgenommen) verletzt das Trierer Schauspiel
gewiß am meisten, und keiner von ihnen glaubt, daß dergleichen zum
katholischen Glauben gehöre. Was in Trier vorgeht, scheint uns eine
größere Blasphemie, als die schnödesten Witze darüber. Wir selbst
haben uns vorgenommen, in diesen Blättern uns nie in religiöse
Streitigkeiten zu mischen; dieser Fall aber ist kein religiöser, und so
konnten wir ein Paar Worte darüber nicht unterdrücken. Lieber
„Leipziger Marktliberalismus" — wie eine große Zeitung es nennt —
als Klugheit von der Sorte!


- - V.
Notizen

Russische Beschwerden. — Fallmeraycr's Bekenntnisse. — Lehrfreiheit in Preußen.
— Deutsche Flotte. — Weitling.

Ein Leipziger Journal bemerkt, bei Erwähnung von Wies-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/50>, abgerufen am 04.12.2024.