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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Schiller's Weltanschauung.
Festrede, gehalten bei der Schillerfeier in Leipzig, am II. November 1844
Heinrich W u t t k-.von



Ein großes Trauerspiel rollt schon seit sechstausend Jahren vor
dem erstaunten Auge der Sterblichen sich ab, alle ergötzend, ergrei¬
fend, erschütternd. Das wundersame Räthsel des Lebens zu deuten,
mühten sich die Weisesten aller Zeiten. Geschichtschreiber suchten feine
Losung, die seine Aufzüge im Geiste überschauten, Philosophen spür¬
ten den Gesetzen nach, die es gestalten, Dichter verklärten es, in¬
dem sie deS Lebens erfaßbare Abbilder schufen. Denn wie das Meer
im Tropfen ist, so ist die Geschichte im Menschen, und der Weltlauf
spiegelt sich ab im wechselvollen Spiele seiner Gefühle und Kräfte.
Wir aber folgen diesen Führern auf dem Wege des Verständnisses,
das sie erschlosst-^ und je tiefer sie drangen, je glücklicher wir nach¬
streben, desto muthiger ertragen wir das große Drama, getröstet in der
Ahndung seines Zusammenhanges, desto nachhaltiger bestimmen wir
es sogar selbst.

Solch' ein Führer, und wahrlich einer der vornehmsten, ist Fried¬
rich Schiller!

In seiner Weltanschauung wurzelt seine Dichtung, und weil
jene groß und erhaben war, wurde es auch diese. In ihrem Cha¬
rakteristischen gewahren wir grade die hohen Eigenschaften, um derent¬
willen er uns so lieb ist, um derentwillen er dem deutschen Volke in
alle Zukunft theuer bleiben wird. Gewiß ehren wir ihn am Tage
seiner Feier durch das ernste Bestreben, uns seiner Höhe und Herr¬
lichkeit bewußt zu werden.


Grcnzl-oder 18/./.. II. 4g
Schiller's Weltanschauung.
Festrede, gehalten bei der Schillerfeier in Leipzig, am II. November 1844
Heinrich W u t t k-.von



Ein großes Trauerspiel rollt schon seit sechstausend Jahren vor
dem erstaunten Auge der Sterblichen sich ab, alle ergötzend, ergrei¬
fend, erschütternd. Das wundersame Räthsel des Lebens zu deuten,
mühten sich die Weisesten aller Zeiten. Geschichtschreiber suchten feine
Losung, die seine Aufzüge im Geiste überschauten, Philosophen spür¬
ten den Gesetzen nach, die es gestalten, Dichter verklärten es, in¬
dem sie deS Lebens erfaßbare Abbilder schufen. Denn wie das Meer
im Tropfen ist, so ist die Geschichte im Menschen, und der Weltlauf
spiegelt sich ab im wechselvollen Spiele seiner Gefühle und Kräfte.
Wir aber folgen diesen Führern auf dem Wege des Verständnisses,
das sie erschlosst-^ und je tiefer sie drangen, je glücklicher wir nach¬
streben, desto muthiger ertragen wir das große Drama, getröstet in der
Ahndung seines Zusammenhanges, desto nachhaltiger bestimmen wir
es sogar selbst.

Solch' ein Führer, und wahrlich einer der vornehmsten, ist Fried¬
rich Schiller!

In seiner Weltanschauung wurzelt seine Dichtung, und weil
jene groß und erhaben war, wurde es auch diese. In ihrem Cha¬
rakteristischen gewahren wir grade die hohen Eigenschaften, um derent¬
willen er uns so lieb ist, um derentwillen er dem deutschen Volke in
alle Zukunft theuer bleiben wird. Gewiß ehren wir ihn am Tage
seiner Feier durch das ernste Bestreben, uns seiner Höhe und Herr¬
lichkeit bewußt zu werden.


Grcnzl-oder 18/./.. II. 4g
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[0389] Schiller's Weltanschauung. Festrede, gehalten bei der Schillerfeier in Leipzig, am II. November 1844 Heinrich W u t t k-.von Ein großes Trauerspiel rollt schon seit sechstausend Jahren vor dem erstaunten Auge der Sterblichen sich ab, alle ergötzend, ergrei¬ fend, erschütternd. Das wundersame Räthsel des Lebens zu deuten, mühten sich die Weisesten aller Zeiten. Geschichtschreiber suchten feine Losung, die seine Aufzüge im Geiste überschauten, Philosophen spür¬ ten den Gesetzen nach, die es gestalten, Dichter verklärten es, in¬ dem sie deS Lebens erfaßbare Abbilder schufen. Denn wie das Meer im Tropfen ist, so ist die Geschichte im Menschen, und der Weltlauf spiegelt sich ab im wechselvollen Spiele seiner Gefühle und Kräfte. Wir aber folgen diesen Führern auf dem Wege des Verständnisses, das sie erschlosst-^ und je tiefer sie drangen, je glücklicher wir nach¬ streben, desto muthiger ertragen wir das große Drama, getröstet in der Ahndung seines Zusammenhanges, desto nachhaltiger bestimmen wir es sogar selbst. Solch' ein Führer, und wahrlich einer der vornehmsten, ist Fried¬ rich Schiller! In seiner Weltanschauung wurzelt seine Dichtung, und weil jene groß und erhaben war, wurde es auch diese. In ihrem Cha¬ rakteristischen gewahren wir grade die hohen Eigenschaften, um derent¬ willen er uns so lieb ist, um derentwillen er dem deutschen Volke in alle Zukunft theuer bleiben wird. Gewiß ehren wir ihn am Tage seiner Feier durch das ernste Bestreben, uns seiner Höhe und Herr¬ lichkeit bewußt zu werden. Grcnzl-oder 18/./.. II. 4g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/389>, abgerufen am 27.07.2024.