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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Herr Prume, der ausgezeichnete Violinist, hat hier neuerdings
Concerte gegeben, in denen der Componist der "Melancholie" sich wie¬
der in alter Kraft bewahrt hat, die ihm vor einiger Zeit durch eine
bedenkliche Krankheit geraubt worden war.


I ustus.
IV.
Notizen.

Scherge oder Don Quixote. -- Europäische Kloaken und türkische Friedhöfe.
-- Pugatschcff. -- Die bairischen Verbote. -- Göthe's Denkmal.

-- Das unglückliche Duell zwischen einem Referendar und ei¬
nem Lieutenant in Königsberg hat ein Paar Zeitungsartikel hervorge¬
rufen, die für den aus Preußen wehenden Geist nur zu charakteristisch
sind. Nachdem wir diese Artikel gelesen, möchten wir fast glauben,
was ein liberales Blatt von Herrn von Rochow erzählte; dieser soll
nämlich, bei einer öffentlichen Gelegenheit, offen ausgesprochen haben:
dem Preußen sei von Natur eine größere Liebe zu seinem König, als
zu Vater und Mutter angeboren. Solche Preußen mögen ungeheuer
"königische" Personen, mögen ein Holz sein, aus dem man Muster¬
beamten schneidet; aber man wird es Niemand verargen, der solchen
"ouiisiiints "Menschen" auf eine Meile weit ausweicht. Die oben er¬
wähnten Artikel stehen in der Deutschen Allgemeinen. Zuerst
sucht ein Correspondent aus Ostpreußen zu beweisen, daß es keines¬
wegs Pflicht eines preußischen Offiziers sein könne, Jeden, der sich
unloyale Aeußerungen erlaube, entweder zu denunciren, oder zum Duell
herauszufordern; der preußische Offizier brauche weder Scherge noch
Don Quixote zu sein. Diese Abhandlung, die etwas beweist, was
keines Beweises bedürfen sollte, ist so milde, so ruhig, so besonnen,
so vorsichtig und schonungsvoll geschrieben, daß Einem ein Grauen
ankommt; denn sie istgehalten, als träte sie zum ersten Mal gegen ein
tausendjähriges nationales Vorurtheil auf und könne sich nicht schüch¬
tern genug ausdrücken. Wir hatten geglaubt, die Offiziere der ganzen
preußischen Armee würden sich beleidigt fühlen, daß man sie über
dergleichen erst belehren wolle. Indessen tritt in der Deutschen
Allgemeinen ein Preuße "von der Saale" auf, der die Frage
gar nicht erledigt findet; der sogar ein Denunciren aus "Pflichtgefühl
und sittlichem Bewußtsein", ein "edles"Denunciren kennen will. Hei¬
lige Censur! Wir wollen nicht lästern, wir wollen nicht das deutsche
Volk, nicht einmal das Berliner Volk, nach solchen Erpectorationen
beurtheilen. Wie schlagt Ihr aber die Hände über dem Kopf zusam¬
men, wenn die Männer der "schlechtesten" Presse, wenn "Rüge und
Consorten" in einem Ausbruch der Verzweiflung oder Wuth den Stab


Herr Prume, der ausgezeichnete Violinist, hat hier neuerdings
Concerte gegeben, in denen der Componist der „Melancholie" sich wie¬
der in alter Kraft bewahrt hat, die ihm vor einiger Zeit durch eine
bedenkliche Krankheit geraubt worden war.


I ustus.
IV.
Notizen.

Scherge oder Don Quixote. — Europäische Kloaken und türkische Friedhöfe.
— Pugatschcff. — Die bairischen Verbote. — Göthe's Denkmal.

— Das unglückliche Duell zwischen einem Referendar und ei¬
nem Lieutenant in Königsberg hat ein Paar Zeitungsartikel hervorge¬
rufen, die für den aus Preußen wehenden Geist nur zu charakteristisch
sind. Nachdem wir diese Artikel gelesen, möchten wir fast glauben,
was ein liberales Blatt von Herrn von Rochow erzählte; dieser soll
nämlich, bei einer öffentlichen Gelegenheit, offen ausgesprochen haben:
dem Preußen sei von Natur eine größere Liebe zu seinem König, als
zu Vater und Mutter angeboren. Solche Preußen mögen ungeheuer
„königische" Personen, mögen ein Holz sein, aus dem man Muster¬
beamten schneidet; aber man wird es Niemand verargen, der solchen
«ouiisiiints „Menschen" auf eine Meile weit ausweicht. Die oben er¬
wähnten Artikel stehen in der Deutschen Allgemeinen. Zuerst
sucht ein Correspondent aus Ostpreußen zu beweisen, daß es keines¬
wegs Pflicht eines preußischen Offiziers sein könne, Jeden, der sich
unloyale Aeußerungen erlaube, entweder zu denunciren, oder zum Duell
herauszufordern; der preußische Offizier brauche weder Scherge noch
Don Quixote zu sein. Diese Abhandlung, die etwas beweist, was
keines Beweises bedürfen sollte, ist so milde, so ruhig, so besonnen,
so vorsichtig und schonungsvoll geschrieben, daß Einem ein Grauen
ankommt; denn sie istgehalten, als träte sie zum ersten Mal gegen ein
tausendjähriges nationales Vorurtheil auf und könne sich nicht schüch¬
tern genug ausdrücken. Wir hatten geglaubt, die Offiziere der ganzen
preußischen Armee würden sich beleidigt fühlen, daß man sie über
dergleichen erst belehren wolle. Indessen tritt in der Deutschen
Allgemeinen ein Preuße „von der Saale" auf, der die Frage
gar nicht erledigt findet; der sogar ein Denunciren aus „Pflichtgefühl
und sittlichem Bewußtsein", ein „edles"Denunciren kennen will. Hei¬
lige Censur! Wir wollen nicht lästern, wir wollen nicht das deutsche
Volk, nicht einmal das Berliner Volk, nach solchen Erpectorationen
beurtheilen. Wie schlagt Ihr aber die Hände über dem Kopf zusam¬
men, wenn die Männer der „schlechtesten" Presse, wenn „Rüge und
Consorten" in einem Ausbruch der Verzweiflung oder Wuth den Stab


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[0290] Herr Prume, der ausgezeichnete Violinist, hat hier neuerdings Concerte gegeben, in denen der Componist der „Melancholie" sich wie¬ der in alter Kraft bewahrt hat, die ihm vor einiger Zeit durch eine bedenkliche Krankheit geraubt worden war. I ustus. IV. Notizen. Scherge oder Don Quixote. — Europäische Kloaken und türkische Friedhöfe. — Pugatschcff. — Die bairischen Verbote. — Göthe's Denkmal. — Das unglückliche Duell zwischen einem Referendar und ei¬ nem Lieutenant in Königsberg hat ein Paar Zeitungsartikel hervorge¬ rufen, die für den aus Preußen wehenden Geist nur zu charakteristisch sind. Nachdem wir diese Artikel gelesen, möchten wir fast glauben, was ein liberales Blatt von Herrn von Rochow erzählte; dieser soll nämlich, bei einer öffentlichen Gelegenheit, offen ausgesprochen haben: dem Preußen sei von Natur eine größere Liebe zu seinem König, als zu Vater und Mutter angeboren. Solche Preußen mögen ungeheuer „königische" Personen, mögen ein Holz sein, aus dem man Muster¬ beamten schneidet; aber man wird es Niemand verargen, der solchen «ouiisiiints „Menschen" auf eine Meile weit ausweicht. Die oben er¬ wähnten Artikel stehen in der Deutschen Allgemeinen. Zuerst sucht ein Correspondent aus Ostpreußen zu beweisen, daß es keines¬ wegs Pflicht eines preußischen Offiziers sein könne, Jeden, der sich unloyale Aeußerungen erlaube, entweder zu denunciren, oder zum Duell herauszufordern; der preußische Offizier brauche weder Scherge noch Don Quixote zu sein. Diese Abhandlung, die etwas beweist, was keines Beweises bedürfen sollte, ist so milde, so ruhig, so besonnen, so vorsichtig und schonungsvoll geschrieben, daß Einem ein Grauen ankommt; denn sie istgehalten, als träte sie zum ersten Mal gegen ein tausendjähriges nationales Vorurtheil auf und könne sich nicht schüch¬ tern genug ausdrücken. Wir hatten geglaubt, die Offiziere der ganzen preußischen Armee würden sich beleidigt fühlen, daß man sie über dergleichen erst belehren wolle. Indessen tritt in der Deutschen Allgemeinen ein Preuße „von der Saale" auf, der die Frage gar nicht erledigt findet; der sogar ein Denunciren aus „Pflichtgefühl und sittlichem Bewußtsein", ein „edles"Denunciren kennen will. Hei¬ lige Censur! Wir wollen nicht lästern, wir wollen nicht das deutsche Volk, nicht einmal das Berliner Volk, nach solchen Erpectorationen beurtheilen. Wie schlagt Ihr aber die Hände über dem Kopf zusam¬ men, wenn die Männer der „schlechtesten" Presse, wenn „Rüge und Consorten" in einem Ausbruch der Verzweiflung oder Wuth den Stab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/290>, abgerufen am 27.07.2024.