Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

romantischen Karpathen besucht werden. Am 19. October aber wird
die erste Strecke der sächstsch-schlestschen Bahn befahren. -- Das
Neueste aus Breslau ist die Uebernahme der Theaterleitung durch
Karl von Holle!. So hat sich der schlestsche Wilhelm Meister denn
also nach zweiundzwanzig Jahren seines Wanderlebens in der Vater¬
stadt wieder heimisch niedergelassen! Damals, als Holtei als Thea¬
terdichter dort angestellt war, sah es ganz anders im alten Breslau
aus. Ich denke bei dieser Bemerkung nicht an die neuen Häuser,
die neue Stadtgrabenbrücke und die Eisenbahnen, sondern an den all¬
gemeinen gewaltigen Jdeenumschwung seit jener Zeit. Damals kannte
man Holtei's Mantellied noch nicht, aber auch nicht den Weltschmerz.
Es lebte noch der merkwürdige Karl Schall, den Laube einmal Schle¬
siens Sir John Falstaff nannte. Die Zeitungen erschienen als simp¬
ler Nachdruck in Quart, und das Theater war der Mittelpunkt aller
Interessen, der Cultus der Zeit. Heute schreitet man dahin in einem
zerrissenen Hegel'schen Bewußtsein; man ist weniger harmlos als da¬
mals, forscht und streitet nicht mehr über Nürnberger Theaterspielwaa-
ren, ist aber dabei, namentlich seit dem vulcanischen Jahre 1830, ein
gut Stück auf der Menschheitstraße weiter gekommen. Die Breslauer
sind, so zu sagen, die Linie passtrt. Ich könnte den Vergleich noch
weiter ausführen, denn die Erinnerung wird mächtig genug in mir;
ich will indeß nur anführen, was, wie der Elisabetthurm, noch
den alten Standpunkt einnimmt. Es ist die Censur.


-- S.
III.
Aus Berlin.

Herr Misch, die Seehandlung und die märkische" Provinzialstände. -- Die
GeWerbeausstellung. -- Die gekreuzte Null. -- Friedrich Tintz. -- Gretsch in
Berlin. -- Engagement der Madame Birch-Pfeiffer. -- Jenny Lind aus
Stockholm. -- Prume.

Auch in der letzten Woche ist es eine Schrift über inländische
Zustande gewesen, welche die Aufmerksamkeit viel beschäftigt hat und
wahrscheinlich noch viel zu denken und zu sprechen geben wird. Es
ist das die vom Stadtrath Risch herausgegebene Schrift über die Ein¬
griffe des Seehandlungsinstituts in die bürgerlichen Gewerbe *). Seit
längerer Zeit angekündigt, hat man ihr bereits mit einer gewissen



") Das Königl. Preußische Seehandlungs-Jnstitut und dessen Eingriffe
in die bürgerlichen Gewerbe, dargestellt und beleuchtet durch O 5?n Mo
Stadtrath. Berlin, 1844. Verlag von Julius Springer. ^' '
36"

romantischen Karpathen besucht werden. Am 19. October aber wird
die erste Strecke der sächstsch-schlestschen Bahn befahren. — Das
Neueste aus Breslau ist die Uebernahme der Theaterleitung durch
Karl von Holle!. So hat sich der schlestsche Wilhelm Meister denn
also nach zweiundzwanzig Jahren seines Wanderlebens in der Vater¬
stadt wieder heimisch niedergelassen! Damals, als Holtei als Thea¬
terdichter dort angestellt war, sah es ganz anders im alten Breslau
aus. Ich denke bei dieser Bemerkung nicht an die neuen Häuser,
die neue Stadtgrabenbrücke und die Eisenbahnen, sondern an den all¬
gemeinen gewaltigen Jdeenumschwung seit jener Zeit. Damals kannte
man Holtei's Mantellied noch nicht, aber auch nicht den Weltschmerz.
Es lebte noch der merkwürdige Karl Schall, den Laube einmal Schle¬
siens Sir John Falstaff nannte. Die Zeitungen erschienen als simp¬
ler Nachdruck in Quart, und das Theater war der Mittelpunkt aller
Interessen, der Cultus der Zeit. Heute schreitet man dahin in einem
zerrissenen Hegel'schen Bewußtsein; man ist weniger harmlos als da¬
mals, forscht und streitet nicht mehr über Nürnberger Theaterspielwaa-
ren, ist aber dabei, namentlich seit dem vulcanischen Jahre 1830, ein
gut Stück auf der Menschheitstraße weiter gekommen. Die Breslauer
sind, so zu sagen, die Linie passtrt. Ich könnte den Vergleich noch
weiter ausführen, denn die Erinnerung wird mächtig genug in mir;
ich will indeß nur anführen, was, wie der Elisabetthurm, noch
den alten Standpunkt einnimmt. Es ist die Censur.


— S.
III.
Aus Berlin.

Herr Misch, die Seehandlung und die märkische» Provinzialstände. — Die
GeWerbeausstellung. — Die gekreuzte Null. — Friedrich Tintz. — Gretsch in
Berlin. — Engagement der Madame Birch-Pfeiffer. — Jenny Lind aus
Stockholm. — Prume.

Auch in der letzten Woche ist es eine Schrift über inländische
Zustande gewesen, welche die Aufmerksamkeit viel beschäftigt hat und
wahrscheinlich noch viel zu denken und zu sprechen geben wird. Es
ist das die vom Stadtrath Risch herausgegebene Schrift über die Ein¬
griffe des Seehandlungsinstituts in die bürgerlichen Gewerbe *). Seit
längerer Zeit angekündigt, hat man ihr bereits mit einer gewissen



») Das Königl. Preußische Seehandlungs-Jnstitut und dessen Eingriffe
in die bürgerlichen Gewerbe, dargestellt und beleuchtet durch O 5?n Mo
Stadtrath. Berlin, 1844. Verlag von Julius Springer. ^' '
36»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181471"/>
            <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782"> romantischen Karpathen besucht werden. Am 19. October aber wird<lb/>
die erste Strecke der sächstsch-schlestschen Bahn befahren. &#x2014; Das<lb/>
Neueste aus Breslau ist die Uebernahme der Theaterleitung durch<lb/>
Karl von Holle!. So hat sich der schlestsche Wilhelm Meister denn<lb/>
also nach zweiundzwanzig Jahren seines Wanderlebens in der Vater¬<lb/>
stadt wieder heimisch niedergelassen! Damals, als Holtei als Thea¬<lb/>
terdichter dort angestellt war, sah es ganz anders im alten Breslau<lb/>
aus. Ich denke bei dieser Bemerkung nicht an die neuen Häuser,<lb/>
die neue Stadtgrabenbrücke und die Eisenbahnen, sondern an den all¬<lb/>
gemeinen gewaltigen Jdeenumschwung seit jener Zeit. Damals kannte<lb/>
man Holtei's Mantellied noch nicht, aber auch nicht den Weltschmerz.<lb/>
Es lebte noch der merkwürdige Karl Schall, den Laube einmal Schle¬<lb/>
siens Sir John Falstaff nannte. Die Zeitungen erschienen als simp¬<lb/>
ler Nachdruck in Quart, und das Theater war der Mittelpunkt aller<lb/>
Interessen, der Cultus der Zeit. Heute schreitet man dahin in einem<lb/>
zerrissenen Hegel'schen Bewußtsein; man ist weniger harmlos als da¬<lb/>
mals, forscht und streitet nicht mehr über Nürnberger Theaterspielwaa-<lb/>
ren, ist aber dabei, namentlich seit dem vulcanischen Jahre 1830, ein<lb/>
gut Stück auf der Menschheitstraße weiter gekommen. Die Breslauer<lb/>
sind, so zu sagen, die Linie passtrt. Ich könnte den Vergleich noch<lb/>
weiter ausführen, denn die Erinnerung wird mächtig genug in mir;<lb/>
ich will indeß nur anführen, was, wie der Elisabetthurm, noch<lb/>
den alten Standpunkt einnimmt.  Es ist die Censur.</p><lb/>
            <note type="byline"> &#x2014; S.</note><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> III.<lb/>
Aus Berlin.</head><lb/>
            <note type="argument"> Herr Misch, die Seehandlung und die märkische» Provinzialstände. &#x2014; Die<lb/>
GeWerbeausstellung. &#x2014; Die gekreuzte Null. &#x2014; Friedrich Tintz. &#x2014; Gretsch in<lb/>
Berlin. &#x2014; Engagement der Madame Birch-Pfeiffer. &#x2014; Jenny Lind aus<lb/>
Stockholm. &#x2014; Prume.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_784" next="#ID_785"> Auch in der letzten Woche ist es eine Schrift über inländische<lb/>
Zustande gewesen, welche die Aufmerksamkeit viel beschäftigt hat und<lb/>
wahrscheinlich noch viel zu denken und zu sprechen geben wird. Es<lb/>
ist das die vom Stadtrath Risch herausgegebene Schrift über die Ein¬<lb/>
griffe des Seehandlungsinstituts in die bürgerlichen Gewerbe *). Seit<lb/>
längerer Zeit angekündigt, hat man ihr bereits mit einer gewissen</p><lb/>
            <note xml:id="FID_19" place="foot"> ») Das Königl. Preußische Seehandlungs-Jnstitut und dessen Eingriffe<lb/>
in die bürgerlichen Gewerbe, dargestellt und beleuchtet durch O 5?n Mo<lb/>
Stadtrath. Berlin, 1844. Verlag von Julius Springer. ^' '</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 36»</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] romantischen Karpathen besucht werden. Am 19. October aber wird die erste Strecke der sächstsch-schlestschen Bahn befahren. — Das Neueste aus Breslau ist die Uebernahme der Theaterleitung durch Karl von Holle!. So hat sich der schlestsche Wilhelm Meister denn also nach zweiundzwanzig Jahren seines Wanderlebens in der Vater¬ stadt wieder heimisch niedergelassen! Damals, als Holtei als Thea¬ terdichter dort angestellt war, sah es ganz anders im alten Breslau aus. Ich denke bei dieser Bemerkung nicht an die neuen Häuser, die neue Stadtgrabenbrücke und die Eisenbahnen, sondern an den all¬ gemeinen gewaltigen Jdeenumschwung seit jener Zeit. Damals kannte man Holtei's Mantellied noch nicht, aber auch nicht den Weltschmerz. Es lebte noch der merkwürdige Karl Schall, den Laube einmal Schle¬ siens Sir John Falstaff nannte. Die Zeitungen erschienen als simp¬ ler Nachdruck in Quart, und das Theater war der Mittelpunkt aller Interessen, der Cultus der Zeit. Heute schreitet man dahin in einem zerrissenen Hegel'schen Bewußtsein; man ist weniger harmlos als da¬ mals, forscht und streitet nicht mehr über Nürnberger Theaterspielwaa- ren, ist aber dabei, namentlich seit dem vulcanischen Jahre 1830, ein gut Stück auf der Menschheitstraße weiter gekommen. Die Breslauer sind, so zu sagen, die Linie passtrt. Ich könnte den Vergleich noch weiter ausführen, denn die Erinnerung wird mächtig genug in mir; ich will indeß nur anführen, was, wie der Elisabetthurm, noch den alten Standpunkt einnimmt. Es ist die Censur. — S. III. Aus Berlin. Herr Misch, die Seehandlung und die märkische» Provinzialstände. — Die GeWerbeausstellung. — Die gekreuzte Null. — Friedrich Tintz. — Gretsch in Berlin. — Engagement der Madame Birch-Pfeiffer. — Jenny Lind aus Stockholm. — Prume. Auch in der letzten Woche ist es eine Schrift über inländische Zustande gewesen, welche die Aufmerksamkeit viel beschäftigt hat und wahrscheinlich noch viel zu denken und zu sprechen geben wird. Es ist das die vom Stadtrath Risch herausgegebene Schrift über die Ein¬ griffe des Seehandlungsinstituts in die bürgerlichen Gewerbe *). Seit längerer Zeit angekündigt, hat man ihr bereits mit einer gewissen ») Das Königl. Preußische Seehandlungs-Jnstitut und dessen Eingriffe in die bürgerlichen Gewerbe, dargestellt und beleuchtet durch O 5?n Mo Stadtrath. Berlin, 1844. Verlag von Julius Springer. ^' ' 36»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/287>, abgerufen am 04.12.2024.