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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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II.
Wiesner in Untersuchung.
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Wie freute man sich über die österreichischen Behörden, daß sie
Wiesner und dessen Buch gegen Tengoborsky nicht unnütz verfolgt,
daß sie blos jede Vertheidigung Wiesner's in österreichischen Blättern
verboten haben. Denn die Deutschen sind Riesen mit Lämmerseelen!
sie sehen schon den Himmel voll Freihcitsgeigen, wenn ihnen von
fünfundzwanzig Stockstreichen ein halber geschenkt wird; wenn man
ihnen aus Gnade die Spitze des kleinen Fingers zeigt, wo sie von
Rechtswegen die ganze Hand verlangen könnten. Aber selbst jene Freude
war voreilig. Wir hören so eben, daß Wiesner, angeblich auf russische
Requisition, in Untersuchung gezogen ist. Was wird man sagen, wenn
vielleicht ein künftiger Schriftsteller, zur Charakteristik dieser Periode
und zur Motivirung ihres Ausganges, unter Anderm folgende Notiz
beibringt: "Damals lebte in Wien ein russischer Staatsrath, der ein
seinem Kaiser Nikolaus gewidmetes Werk über die österreichischen Fi¬
nanzen in französischer Sprache herausgab und darin der österreichi¬
schen Regierung Rathschläge gab, welche sachkundigen Patrioten mehr
als bedenklich, die auf falsche Schlüsse, Verrechnungen und Entstel¬
lung von Thatsachen gebaut schienen. Ein österreichischer Schriftstel¬
ler verfaßte nach jahrlanger Arbeit eine Gegenschrift, die nur außer¬
halb Oesterreichs gedruckt werden konnte; er hatte weder nach Gewinn,
noch nach Gunst gehascht, seiner Regierung weder geschmeichelt, noch
sie angegriffen, sondern blos die Tendenzen des Russen zu enthüllen
und zu beweisen gesucht, daß das Volk mehr Steuern weder nöthig
habe, noch zu tragen im Stande sei. Was geschah? Der russische
Staatsrath fand in Wien Freunde, Anhänger, Zeitungen, die ihn lob¬
priesen und auf seine Angaben oder Folgerungen weiter bauten; der
arme österreichische Schriftsteller durfte sich nicht einmal in den Jour¬
nalen seines Vaterlandes vertheidigen, ja seine Schrift konnte nicht
einmal wie die seines russischen Gegners angezeigt oder beurtheilt wer¬
den. Im Stillen und unter vier Augen lobten hochgestellte und ge¬
schäftskundige Männer ihm seine Anstrengungen, seine ehrliche Gesin¬
nung ; öffentlich wurde er allgemein desavouirt. Endlich zog man ihn
gar zur Rechenschaft wegen seines unberufenen Patriotismus und
chicanirte ihn durch langweilige Verhöre, Untersuchungen und Beauf¬
sichtigungen, so daß es ihm schwer, wo nicht unmöglich geworden
wäre, die Erlaubniß zu einer Reise in das sogenannte Ausland, d^h.
in einen anderen Theil seines deutschen Vaterlandes zu erhalten, an¬
dern man so zu verstehen gab, daß nur der commandirte Patriotis¬
mus und der bezahlte Dienst des Angestellten willkommen sei, verlei-


II.
Wiesner in Untersuchung.
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Wie freute man sich über die österreichischen Behörden, daß sie
Wiesner und dessen Buch gegen Tengoborsky nicht unnütz verfolgt,
daß sie blos jede Vertheidigung Wiesner's in österreichischen Blättern
verboten haben. Denn die Deutschen sind Riesen mit Lämmerseelen!
sie sehen schon den Himmel voll Freihcitsgeigen, wenn ihnen von
fünfundzwanzig Stockstreichen ein halber geschenkt wird; wenn man
ihnen aus Gnade die Spitze des kleinen Fingers zeigt, wo sie von
Rechtswegen die ganze Hand verlangen könnten. Aber selbst jene Freude
war voreilig. Wir hören so eben, daß Wiesner, angeblich auf russische
Requisition, in Untersuchung gezogen ist. Was wird man sagen, wenn
vielleicht ein künftiger Schriftsteller, zur Charakteristik dieser Periode
und zur Motivirung ihres Ausganges, unter Anderm folgende Notiz
beibringt: „Damals lebte in Wien ein russischer Staatsrath, der ein
seinem Kaiser Nikolaus gewidmetes Werk über die österreichischen Fi¬
nanzen in französischer Sprache herausgab und darin der österreichi¬
schen Regierung Rathschläge gab, welche sachkundigen Patrioten mehr
als bedenklich, die auf falsche Schlüsse, Verrechnungen und Entstel¬
lung von Thatsachen gebaut schienen. Ein österreichischer Schriftstel¬
ler verfaßte nach jahrlanger Arbeit eine Gegenschrift, die nur außer¬
halb Oesterreichs gedruckt werden konnte; er hatte weder nach Gewinn,
noch nach Gunst gehascht, seiner Regierung weder geschmeichelt, noch
sie angegriffen, sondern blos die Tendenzen des Russen zu enthüllen
und zu beweisen gesucht, daß das Volk mehr Steuern weder nöthig
habe, noch zu tragen im Stande sei. Was geschah? Der russische
Staatsrath fand in Wien Freunde, Anhänger, Zeitungen, die ihn lob¬
priesen und auf seine Angaben oder Folgerungen weiter bauten; der
arme österreichische Schriftsteller durfte sich nicht einmal in den Jour¬
nalen seines Vaterlandes vertheidigen, ja seine Schrift konnte nicht
einmal wie die seines russischen Gegners angezeigt oder beurtheilt wer¬
den. Im Stillen und unter vier Augen lobten hochgestellte und ge¬
schäftskundige Männer ihm seine Anstrengungen, seine ehrliche Gesin¬
nung ; öffentlich wurde er allgemein desavouirt. Endlich zog man ihn
gar zur Rechenschaft wegen seines unberufenen Patriotismus und
chicanirte ihn durch langweilige Verhöre, Untersuchungen und Beauf¬
sichtigungen, so daß es ihm schwer, wo nicht unmöglich geworden
wäre, die Erlaubniß zu einer Reise in das sogenannte Ausland, d^h.
in einen anderen Theil seines deutschen Vaterlandes zu erhalten, an¬
dern man so zu verstehen gab, daß nur der commandirte Patriotis¬
mus und der bezahlte Dienst des Angestellten willkommen sei, verlei-


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[0238] II. Wiesner in Untersuchung. ' ^„s.'ii.Z-if.'-ernZi^'Ki<'i:.>iUi'.si»-»^"i'>'et» Wie freute man sich über die österreichischen Behörden, daß sie Wiesner und dessen Buch gegen Tengoborsky nicht unnütz verfolgt, daß sie blos jede Vertheidigung Wiesner's in österreichischen Blättern verboten haben. Denn die Deutschen sind Riesen mit Lämmerseelen! sie sehen schon den Himmel voll Freihcitsgeigen, wenn ihnen von fünfundzwanzig Stockstreichen ein halber geschenkt wird; wenn man ihnen aus Gnade die Spitze des kleinen Fingers zeigt, wo sie von Rechtswegen die ganze Hand verlangen könnten. Aber selbst jene Freude war voreilig. Wir hören so eben, daß Wiesner, angeblich auf russische Requisition, in Untersuchung gezogen ist. Was wird man sagen, wenn vielleicht ein künftiger Schriftsteller, zur Charakteristik dieser Periode und zur Motivirung ihres Ausganges, unter Anderm folgende Notiz beibringt: „Damals lebte in Wien ein russischer Staatsrath, der ein seinem Kaiser Nikolaus gewidmetes Werk über die österreichischen Fi¬ nanzen in französischer Sprache herausgab und darin der österreichi¬ schen Regierung Rathschläge gab, welche sachkundigen Patrioten mehr als bedenklich, die auf falsche Schlüsse, Verrechnungen und Entstel¬ lung von Thatsachen gebaut schienen. Ein österreichischer Schriftstel¬ ler verfaßte nach jahrlanger Arbeit eine Gegenschrift, die nur außer¬ halb Oesterreichs gedruckt werden konnte; er hatte weder nach Gewinn, noch nach Gunst gehascht, seiner Regierung weder geschmeichelt, noch sie angegriffen, sondern blos die Tendenzen des Russen zu enthüllen und zu beweisen gesucht, daß das Volk mehr Steuern weder nöthig habe, noch zu tragen im Stande sei. Was geschah? Der russische Staatsrath fand in Wien Freunde, Anhänger, Zeitungen, die ihn lob¬ priesen und auf seine Angaben oder Folgerungen weiter bauten; der arme österreichische Schriftsteller durfte sich nicht einmal in den Jour¬ nalen seines Vaterlandes vertheidigen, ja seine Schrift konnte nicht einmal wie die seines russischen Gegners angezeigt oder beurtheilt wer¬ den. Im Stillen und unter vier Augen lobten hochgestellte und ge¬ schäftskundige Männer ihm seine Anstrengungen, seine ehrliche Gesin¬ nung ; öffentlich wurde er allgemein desavouirt. Endlich zog man ihn gar zur Rechenschaft wegen seines unberufenen Patriotismus und chicanirte ihn durch langweilige Verhöre, Untersuchungen und Beauf¬ sichtigungen, so daß es ihm schwer, wo nicht unmöglich geworden wäre, die Erlaubniß zu einer Reise in das sogenannte Ausland, d^h. in einen anderen Theil seines deutschen Vaterlandes zu erhalten, an¬ dern man so zu verstehen gab, daß nur der commandirte Patriotis¬ mus und der bezahlte Dienst des Angestellten willkommen sei, verlei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/238>, abgerufen am 27.07.2024.