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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Aeitung und andere Blätter sich in ähnlicher Weise aussprachen, so
muß man sich wundern, daß sich bis jetzt noch keine Stimme zur
Steuer der Wahrheit erhoben hat, welche jenem gedankenlosen Lob 'die
richtige Grenze setzte und vor der Ueberschätzung einer Classe von vor¬
nehmen Schriftstellerinnen warnte, die uns mit aufgewärmten fran¬
zösischen Emancipationsideen beglücken und sehr post lo8denn eine Art
weibliches junges Deutschland aufführen möchten. Eine Frau, die
sich von den socialen Banden, in welchen sie als Tochter eines rus¬
sischen Staatsbeamten, als Gattin eines russischen Diplomaten lebt,
nicht zu lösen vermag, will Emancipation und alle möglichen moder¬
nen Tendenzen predigen. Und das soll mehr als dilettantische Laune
und fashionable Coquetterie, das soll Beruf oder Genie sein? Wir
können es nicht billigen, wenn ein Steinmann (im Mephistopheles),
oder ein Hocker (in seinen saloppen Gedichten) diesen Charakter in
überspöttischer Weise besingen; aber es empört eben so sehr jedes recht¬
liche Gefühl, ihn als das baare Gegentheil von alle dem anpreisen zu
hören. Die redliche Kritik sollte dafür sorgen, daß unter dem äuße¬
ren Schein, unter dem chevaleresken Gepränge, keine neuen Thorhei¬
ten in die Mode gebracht werden. Therese lehnt sich anj cgliche Art
von hergebrachter Renommisterei leidenschaftlich an; die Gestalten in
ihren Romanen, ihren Novellen fröhnen alle ihrem "wühlenden" Ge¬
fühl, wie die Verfasserin sagt, und auf ein Dutzend gebrochener Her¬
zen kommt es ihr nicht an, kurz, sie ahmt an den modernen literari¬
schen Heroinnen fast nur das Unschöne und Aeußerliche nach. Therese
hat Beobachtungsgabe, sie erzählt einfach und gewandt; aber produc-
tiv ist sie nicht, in die geheimen Tiefen des menschlichen Herzens und
der Zustande der Gesellschaft einzudringen vermag sie nicht, am aller¬
wenigsten ist sie aber im Stande, die Erwartungen zu rechtfertigen,
welche ihre literarischen Freunde über sie in Umlauf setzen. Ohne
fremde Nachhilfe kann Therese nicht schreiben; Selbständiges ist nicht
an ihr; sie mit einer Georges Sand in eine Kategorie zu stellen, ist
eine Lächerlichkeit, die wie Satyre klingt. Therese schreibt nour l'lis-
t";r le t<!">i>s; von einer inneren Nothwendigkeit kann bei ihr nicht
die Rede sein.

IV.
Notizen.

Die Lehnin'sche Prophezeihung. -- O'Connell'ö Freilassung. -- Nachwehen der
Königsveraer Jubelfeier. -- Der Nationalverein, ganz todt. -- Slavismus
in Stcoermark. -- slavisches Museum in Wien. -- Das Siebenbürgncr Wo¬
chenblatt. -- Erklärung des Herrn Professor Gubitz. -- ner Rheinische Beob¬
achter. -- Edgar Bauer.

-- Die Grenzboten erwähnten neulich der Lehninischen Prophe¬
zeihung, die man auf das Attentat des Thebens deutet, begehen dabei


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Aeitung und andere Blätter sich in ähnlicher Weise aussprachen, so
muß man sich wundern, daß sich bis jetzt noch keine Stimme zur
Steuer der Wahrheit erhoben hat, welche jenem gedankenlosen Lob 'die
richtige Grenze setzte und vor der Ueberschätzung einer Classe von vor¬
nehmen Schriftstellerinnen warnte, die uns mit aufgewärmten fran¬
zösischen Emancipationsideen beglücken und sehr post lo8denn eine Art
weibliches junges Deutschland aufführen möchten. Eine Frau, die
sich von den socialen Banden, in welchen sie als Tochter eines rus¬
sischen Staatsbeamten, als Gattin eines russischen Diplomaten lebt,
nicht zu lösen vermag, will Emancipation und alle möglichen moder¬
nen Tendenzen predigen. Und das soll mehr als dilettantische Laune
und fashionable Coquetterie, das soll Beruf oder Genie sein? Wir
können es nicht billigen, wenn ein Steinmann (im Mephistopheles),
oder ein Hocker (in seinen saloppen Gedichten) diesen Charakter in
überspöttischer Weise besingen; aber es empört eben so sehr jedes recht¬
liche Gefühl, ihn als das baare Gegentheil von alle dem anpreisen zu
hören. Die redliche Kritik sollte dafür sorgen, daß unter dem äuße¬
ren Schein, unter dem chevaleresken Gepränge, keine neuen Thorhei¬
ten in die Mode gebracht werden. Therese lehnt sich anj cgliche Art
von hergebrachter Renommisterei leidenschaftlich an; die Gestalten in
ihren Romanen, ihren Novellen fröhnen alle ihrem „wühlenden" Ge¬
fühl, wie die Verfasserin sagt, und auf ein Dutzend gebrochener Her¬
zen kommt es ihr nicht an, kurz, sie ahmt an den modernen literari¬
schen Heroinnen fast nur das Unschöne und Aeußerliche nach. Therese
hat Beobachtungsgabe, sie erzählt einfach und gewandt; aber produc-
tiv ist sie nicht, in die geheimen Tiefen des menschlichen Herzens und
der Zustande der Gesellschaft einzudringen vermag sie nicht, am aller¬
wenigsten ist sie aber im Stande, die Erwartungen zu rechtfertigen,
welche ihre literarischen Freunde über sie in Umlauf setzen. Ohne
fremde Nachhilfe kann Therese nicht schreiben; Selbständiges ist nicht
an ihr; sie mit einer Georges Sand in eine Kategorie zu stellen, ist
eine Lächerlichkeit, die wie Satyre klingt. Therese schreibt nour l'lis-
t«;r le t<!»>i>s; von einer inneren Nothwendigkeit kann bei ihr nicht
die Rede sein.

IV.
Notizen.

Die Lehnin'sche Prophezeihung. — O'Connell'ö Freilassung. — Nachwehen der
Königsveraer Jubelfeier. — Der Nationalverein, ganz todt. — Slavismus
in Stcoermark. — slavisches Museum in Wien. — Das Siebenbürgncr Wo¬
chenblatt. — Erklärung des Herrn Professor Gubitz. — ner Rheinische Beob¬
achter. — Edgar Bauer.

— Die Grenzboten erwähnten neulich der Lehninischen Prophe¬
zeihung, die man auf das Attentat des Thebens deutet, begehen dabei


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[0619] Aeitung und andere Blätter sich in ähnlicher Weise aussprachen, so muß man sich wundern, daß sich bis jetzt noch keine Stimme zur Steuer der Wahrheit erhoben hat, welche jenem gedankenlosen Lob 'die richtige Grenze setzte und vor der Ueberschätzung einer Classe von vor¬ nehmen Schriftstellerinnen warnte, die uns mit aufgewärmten fran¬ zösischen Emancipationsideen beglücken und sehr post lo8denn eine Art weibliches junges Deutschland aufführen möchten. Eine Frau, die sich von den socialen Banden, in welchen sie als Tochter eines rus¬ sischen Staatsbeamten, als Gattin eines russischen Diplomaten lebt, nicht zu lösen vermag, will Emancipation und alle möglichen moder¬ nen Tendenzen predigen. Und das soll mehr als dilettantische Laune und fashionable Coquetterie, das soll Beruf oder Genie sein? Wir können es nicht billigen, wenn ein Steinmann (im Mephistopheles), oder ein Hocker (in seinen saloppen Gedichten) diesen Charakter in überspöttischer Weise besingen; aber es empört eben so sehr jedes recht¬ liche Gefühl, ihn als das baare Gegentheil von alle dem anpreisen zu hören. Die redliche Kritik sollte dafür sorgen, daß unter dem äuße¬ ren Schein, unter dem chevaleresken Gepränge, keine neuen Thorhei¬ ten in die Mode gebracht werden. Therese lehnt sich anj cgliche Art von hergebrachter Renommisterei leidenschaftlich an; die Gestalten in ihren Romanen, ihren Novellen fröhnen alle ihrem „wühlenden" Ge¬ fühl, wie die Verfasserin sagt, und auf ein Dutzend gebrochener Her¬ zen kommt es ihr nicht an, kurz, sie ahmt an den modernen literari¬ schen Heroinnen fast nur das Unschöne und Aeußerliche nach. Therese hat Beobachtungsgabe, sie erzählt einfach und gewandt; aber produc- tiv ist sie nicht, in die geheimen Tiefen des menschlichen Herzens und der Zustande der Gesellschaft einzudringen vermag sie nicht, am aller¬ wenigsten ist sie aber im Stande, die Erwartungen zu rechtfertigen, welche ihre literarischen Freunde über sie in Umlauf setzen. Ohne fremde Nachhilfe kann Therese nicht schreiben; Selbständiges ist nicht an ihr; sie mit einer Georges Sand in eine Kategorie zu stellen, ist eine Lächerlichkeit, die wie Satyre klingt. Therese schreibt nour l'lis- t«;r le t<!»>i>s; von einer inneren Nothwendigkeit kann bei ihr nicht die Rede sein. IV. Notizen. Die Lehnin'sche Prophezeihung. — O'Connell'ö Freilassung. — Nachwehen der Königsveraer Jubelfeier. — Der Nationalverein, ganz todt. — Slavismus in Stcoermark. — slavisches Museum in Wien. — Das Siebenbürgncr Wo¬ chenblatt. — Erklärung des Herrn Professor Gubitz. — ner Rheinische Beob¬ achter. — Edgar Bauer. — Die Grenzboten erwähnten neulich der Lehninischen Prophe¬ zeihung, die man auf das Attentat des Thebens deutet, begehen dabei 77»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/619>, abgerufen am 22.12.2024.