Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Als ich, diesen erwartend, nach einer Stunde etwa an meinem
Fenster stand, sah ich Herrn Alir, von zwei Gensvarmen geführt,
aus dem Hause treten. Er war also der Polizei nicht entwischt, sie
hatte ihn zu finden gewußt. Was mag er verbrochen haben? Ich
hätte es gern gewußt, doch konnte ich Emilien in ihrer Krankheit
nicht darnach fragen.




Familiengeschäfte nöthigten mich damals zu einer schleunigen
Reise in die Umgegend Berlins. Da ich nicht berechnen konnte, wie
lange mich das aufhalten würde, mußte ich meine sonderbare Woh¬
nung kündigen. Die letzte Nacht verbrachte ich noch mit meinem
alten poetischen Freunde, der so wehmüthig heiter war, daß er mit
lauter Stimme seine alten Jugendlieder sang. Emilie war auf den?
Wege der Besserung, als ich abreiste, doch sagte mir der Arzt, daß
sie in dieser Wohnung nie gesund werden könnte.


4.

Es war schon hoher Frühling, als ich nach Berlin zurückkehrte,
und wenn es in Berlin Frühling wird und die Bäume zu blühen
anfangen, da ist es Einem, als wäre der Winter mit allen seinen
Freuden, mit seinen interessanten und uninteressanter Seiten und Er¬
lebnissen, Nichts als ein trüber, wüster Traum gewesen, den man
gern vergißt. Ich denke in Berlin nicht gern an den vergangenen
Winter, weil mir dabei der nächstfolgende immer wieder einfällt.
Dazu kam ich diesmal vom Lande und konnte mich deshalb nicht
entschließen, mich in der dumpfen Stadt einzusperren, noch dem Won-
nig'schen Hause einen Besuch" abzustatten und dort Erkundigungen
einzuziehen. Ich bezog eine Sommerwohnung vor dem Schönhäuser
Thore, und da meine Freunde mich dort des Abends besuchten, kam
ich fast gar nicht nach der Stadt.

So war denn das Mottensest herangekommen, eines jener Som-
merfeste Berlins, wo die Schönhäuser Allee, der ganze Weg nach
Pankow und die an demselben liegenden Tabagien von Tausenden
von Spaziergängern und Gästen wimmeln. Man sieht an solchen
Tagen das Berliner Volk der unschuldigen Naturfreude sich hingeben


Als ich, diesen erwartend, nach einer Stunde etwa an meinem
Fenster stand, sah ich Herrn Alir, von zwei Gensvarmen geführt,
aus dem Hause treten. Er war also der Polizei nicht entwischt, sie
hatte ihn zu finden gewußt. Was mag er verbrochen haben? Ich
hätte es gern gewußt, doch konnte ich Emilien in ihrer Krankheit
nicht darnach fragen.




Familiengeschäfte nöthigten mich damals zu einer schleunigen
Reise in die Umgegend Berlins. Da ich nicht berechnen konnte, wie
lange mich das aufhalten würde, mußte ich meine sonderbare Woh¬
nung kündigen. Die letzte Nacht verbrachte ich noch mit meinem
alten poetischen Freunde, der so wehmüthig heiter war, daß er mit
lauter Stimme seine alten Jugendlieder sang. Emilie war auf den?
Wege der Besserung, als ich abreiste, doch sagte mir der Arzt, daß
sie in dieser Wohnung nie gesund werden könnte.


4.

Es war schon hoher Frühling, als ich nach Berlin zurückkehrte,
und wenn es in Berlin Frühling wird und die Bäume zu blühen
anfangen, da ist es Einem, als wäre der Winter mit allen seinen
Freuden, mit seinen interessanten und uninteressanter Seiten und Er¬
lebnissen, Nichts als ein trüber, wüster Traum gewesen, den man
gern vergißt. Ich denke in Berlin nicht gern an den vergangenen
Winter, weil mir dabei der nächstfolgende immer wieder einfällt.
Dazu kam ich diesmal vom Lande und konnte mich deshalb nicht
entschließen, mich in der dumpfen Stadt einzusperren, noch dem Won-
nig'schen Hause einen Besuch" abzustatten und dort Erkundigungen
einzuziehen. Ich bezog eine Sommerwohnung vor dem Schönhäuser
Thore, und da meine Freunde mich dort des Abends besuchten, kam
ich fast gar nicht nach der Stadt.

So war denn das Mottensest herangekommen, eines jener Som-
merfeste Berlins, wo die Schönhäuser Allee, der ganze Weg nach
Pankow und die an demselben liegenden Tabagien von Tausenden
von Spaziergängern und Gästen wimmeln. Man sieht an solchen
Tagen das Berliner Volk der unschuldigen Naturfreude sich hingeben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <div n="4">
                <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180965"/>
                <p xml:id="ID_966"> Als ich, diesen erwartend, nach einer Stunde etwa an meinem<lb/>
Fenster stand, sah ich Herrn Alir, von zwei Gensvarmen geführt,<lb/>
aus dem Hause treten. Er war also der Polizei nicht entwischt, sie<lb/>
hatte ihn zu finden gewußt. Was mag er verbrochen haben? Ich<lb/>
hätte es gern gewußt, doch konnte ich Emilien in ihrer Krankheit<lb/>
nicht darnach fragen.</p><lb/>
                <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
                <p xml:id="ID_967"> Familiengeschäfte nöthigten mich damals zu einer schleunigen<lb/>
Reise in die Umgegend Berlins. Da ich nicht berechnen konnte, wie<lb/>
lange mich das aufhalten würde, mußte ich meine sonderbare Woh¬<lb/>
nung kündigen. Die letzte Nacht verbrachte ich noch mit meinem<lb/>
alten poetischen Freunde, der so wehmüthig heiter war, daß er mit<lb/>
lauter Stimme seine alten Jugendlieder sang. Emilie war auf den?<lb/>
Wege der Besserung, als ich abreiste, doch sagte mir der Arzt, daß<lb/>
sie in dieser Wohnung nie gesund werden könnte.</p><lb/>
              </div>
              <div n="4">
                <head> 4.</head><lb/>
                <p xml:id="ID_968"> Es war schon hoher Frühling, als ich nach Berlin zurückkehrte,<lb/>
und wenn es in Berlin Frühling wird und die Bäume zu blühen<lb/>
anfangen, da ist es Einem, als wäre der Winter mit allen seinen<lb/>
Freuden, mit seinen interessanten und uninteressanter Seiten und Er¬<lb/>
lebnissen, Nichts als ein trüber, wüster Traum gewesen, den man<lb/>
gern vergißt. Ich denke in Berlin nicht gern an den vergangenen<lb/>
Winter, weil mir dabei der nächstfolgende immer wieder einfällt.<lb/>
Dazu kam ich diesmal vom Lande und konnte mich deshalb nicht<lb/>
entschließen, mich in der dumpfen Stadt einzusperren, noch dem Won-<lb/>
nig'schen Hause einen Besuch" abzustatten und dort Erkundigungen<lb/>
einzuziehen. Ich bezog eine Sommerwohnung vor dem Schönhäuser<lb/>
Thore, und da meine Freunde mich dort des Abends besuchten, kam<lb/>
ich fast gar nicht nach der Stadt.</p><lb/>
                <p xml:id="ID_969" next="#ID_970"> So war denn das Mottensest herangekommen, eines jener Som-<lb/>
merfeste Berlins, wo die Schönhäuser Allee, der ganze Weg nach<lb/>
Pankow und die an demselben liegenden Tabagien von Tausenden<lb/>
von Spaziergängern und Gästen wimmeln. Man sieht an solchen<lb/>
Tagen das Berliner Volk der unschuldigen Naturfreude sich hingeben</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Als ich, diesen erwartend, nach einer Stunde etwa an meinem Fenster stand, sah ich Herrn Alir, von zwei Gensvarmen geführt, aus dem Hause treten. Er war also der Polizei nicht entwischt, sie hatte ihn zu finden gewußt. Was mag er verbrochen haben? Ich hätte es gern gewußt, doch konnte ich Emilien in ihrer Krankheit nicht darnach fragen. Familiengeschäfte nöthigten mich damals zu einer schleunigen Reise in die Umgegend Berlins. Da ich nicht berechnen konnte, wie lange mich das aufhalten würde, mußte ich meine sonderbare Woh¬ nung kündigen. Die letzte Nacht verbrachte ich noch mit meinem alten poetischen Freunde, der so wehmüthig heiter war, daß er mit lauter Stimme seine alten Jugendlieder sang. Emilie war auf den? Wege der Besserung, als ich abreiste, doch sagte mir der Arzt, daß sie in dieser Wohnung nie gesund werden könnte. 4. Es war schon hoher Frühling, als ich nach Berlin zurückkehrte, und wenn es in Berlin Frühling wird und die Bäume zu blühen anfangen, da ist es Einem, als wäre der Winter mit allen seinen Freuden, mit seinen interessanten und uninteressanter Seiten und Er¬ lebnissen, Nichts als ein trüber, wüster Traum gewesen, den man gern vergißt. Ich denke in Berlin nicht gern an den vergangenen Winter, weil mir dabei der nächstfolgende immer wieder einfällt. Dazu kam ich diesmal vom Lande und konnte mich deshalb nicht entschließen, mich in der dumpfen Stadt einzusperren, noch dem Won- nig'schen Hause einen Besuch" abzustatten und dort Erkundigungen einzuziehen. Ich bezog eine Sommerwohnung vor dem Schönhäuser Thore, und da meine Freunde mich dort des Abends besuchten, kam ich fast gar nicht nach der Stadt. So war denn das Mottensest herangekommen, eines jener Som- merfeste Berlins, wo die Schönhäuser Allee, der ganze Weg nach Pankow und die an demselben liegenden Tabagien von Tausenden von Spaziergängern und Gästen wimmeln. Man sieht an solchen Tagen das Berliner Volk der unschuldigen Naturfreude sich hingeben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/406>, abgerufen am 22.12.2024.