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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Hr. v. Holbein war einige Tage hier, vermuthlich wegen Engagements,
aber da war Nichts abzuschließen/ Die Berliner Intendantur ist ihm
zuvorgekommen. Für Hendrichs, dessen Talent zum Durchgehen sei¬
nen bedeutenden künstlerischen Gaben fast gleich zu stellen ist, wird
dieser Tage ein gut renommirter Ersatzmann sich der öffentlichen Prü¬
fung unterziehen. Unser erster Intriguant und Charakterdarsteller,
welcher längst ein Berliner Engagement in der Tasche zu haben ver¬
sicherte, macht wieder alle Anstalten zum Bleiben. Der eben so be¬
scheidene wie talentvolle Hopp"- wird auch den Berlinern bei seiner
gleichen Befähigung für das Heitere und Ernste um Vieles besser be¬
hagen. Der Herzog von Braunschweig ist minder halsstarrig und
egoistisch, als Ernst August sich in seinem Festhalten Döring's zeigte.
Hoppv galt auch hier während eines mehrjährigen Engagements für
einen hochbegabten Künstler, voll ernsten Strebens und solider Bil¬
dung. Scharfe Originalität, die das Genie, auch wenn es irre geht,
vor dem bloßen Talent auszeichnet, ist seine Sache nicht. Er ist zu
behutsam, um genial sein zu können; ein feiner, kluger Mann, ge¬
schmeidig und fügsam. Er setzt nicht, wie Döring, eine Art Stolz
darein, auf der Bühne Alles zu wagen; er schreitet fein vorsichtig,
doch selbständig, in älteren Fußtapfen, er horcht und sieht nach dem,
was man seinen Borgängern als Schwäche angerechnet, und bildet
gerade diese Seiten als seine stärksten heraus. Hopp"- paßt sehr für
Berlin, denn er hat etwas Diplomatisches, Politisches, und dennoch
eine gewisse Naivetät, die seinen Leistungen für den minder scharf¬
blickender immer noch das Gepräge des Ursprünglichen gibt.


III.
Ans Berlin.

Das Attentat und eine alte Prophezeihung. -- Tod von Karl Strecrfuß. --
Weckmann und Nestroy.

Worüber anders könnte ich Ihnen wohl heute berichten, als über
das Attentat vom 26. Juli, das in diesem Augenblick noch alle Ge¬
müther beschäftigt und kaum einen anderen Stoss der Unterhaltung,
einen anderen Gedanken aufkommen läßt? Ich mag die in allen Zei¬
tungen befindliche Erzählung des Mordversuches, der vor einigen Ta¬
gen gegen unseren König gerichtet wurde, nicht wiederholen, aber ich
kann mich doch nicht enthalten, einiger Umstände zu gedenken, die bis
jetzt mehr im Munde der Leute, als in den gedruckten Berichten zu
finden sind. Seit Jahren nämlich ist hier unter dem Namen "Pro¬
phezeihung des Klosters Lehnin" eine in lateinischer Sprache abgefaßte
und mit einer gereimten deutschen Uebersetzung ausgestattete Rhapso¬
die verbreitet, die von einem Mönche des fünfzehnten Jahrhunderts
herrühren soll und eine Verkündigung der Schicksale des Brandenbur-


Hr. v. Holbein war einige Tage hier, vermuthlich wegen Engagements,
aber da war Nichts abzuschließen/ Die Berliner Intendantur ist ihm
zuvorgekommen. Für Hendrichs, dessen Talent zum Durchgehen sei¬
nen bedeutenden künstlerischen Gaben fast gleich zu stellen ist, wird
dieser Tage ein gut renommirter Ersatzmann sich der öffentlichen Prü¬
fung unterziehen. Unser erster Intriguant und Charakterdarsteller,
welcher längst ein Berliner Engagement in der Tasche zu haben ver¬
sicherte, macht wieder alle Anstalten zum Bleiben. Der eben so be¬
scheidene wie talentvolle Hopp«- wird auch den Berlinern bei seiner
gleichen Befähigung für das Heitere und Ernste um Vieles besser be¬
hagen. Der Herzog von Braunschweig ist minder halsstarrig und
egoistisch, als Ernst August sich in seinem Festhalten Döring's zeigte.
Hoppv galt auch hier während eines mehrjährigen Engagements für
einen hochbegabten Künstler, voll ernsten Strebens und solider Bil¬
dung. Scharfe Originalität, die das Genie, auch wenn es irre geht,
vor dem bloßen Talent auszeichnet, ist seine Sache nicht. Er ist zu
behutsam, um genial sein zu können; ein feiner, kluger Mann, ge¬
schmeidig und fügsam. Er setzt nicht, wie Döring, eine Art Stolz
darein, auf der Bühne Alles zu wagen; er schreitet fein vorsichtig,
doch selbständig, in älteren Fußtapfen, er horcht und sieht nach dem,
was man seinen Borgängern als Schwäche angerechnet, und bildet
gerade diese Seiten als seine stärksten heraus. Hopp«- paßt sehr für
Berlin, denn er hat etwas Diplomatisches, Politisches, und dennoch
eine gewisse Naivetät, die seinen Leistungen für den minder scharf¬
blickender immer noch das Gepräge des Ursprünglichen gibt.


III.
Ans Berlin.

Das Attentat und eine alte Prophezeihung. — Tod von Karl Strecrfuß. —
Weckmann und Nestroy.

Worüber anders könnte ich Ihnen wohl heute berichten, als über
das Attentat vom 26. Juli, das in diesem Augenblick noch alle Ge¬
müther beschäftigt und kaum einen anderen Stoss der Unterhaltung,
einen anderen Gedanken aufkommen läßt? Ich mag die in allen Zei¬
tungen befindliche Erzählung des Mordversuches, der vor einigen Ta¬
gen gegen unseren König gerichtet wurde, nicht wiederholen, aber ich
kann mich doch nicht enthalten, einiger Umstände zu gedenken, die bis
jetzt mehr im Munde der Leute, als in den gedruckten Berichten zu
finden sind. Seit Jahren nämlich ist hier unter dem Namen „Pro¬
phezeihung des Klosters Lehnin" eine in lateinischer Sprache abgefaßte
und mit einer gereimten deutschen Uebersetzung ausgestattete Rhapso¬
die verbreitet, die von einem Mönche des fünfzehnten Jahrhunderts
herrühren soll und eine Verkündigung der Schicksale des Brandenbur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/292>, abgerufen am 29.06.2024.