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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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i.
A"S Vresla".

Poesie und Bersclei. -- Gustav Freitag und Theodor Opitz. -- Graf Moritz
von Strachwitz. -- Der Breslauer Figaro und die Zirndörfer, -- Publizistik
und Censur. -- Die Breslauer und die Schlesische Zeitung. -- Ihre Mitarbei¬
ter und ihre Berliner Correspondcnte". -- Elsner's Schlesische Chronik. --
Leopold Schweitzer.

Es wird wohl nirgends so viel geverselt, als in Schlesien. Der
Neugeborene wird mit einer poetischen Salve begrüßt, jede Heirath
wird unter der ksiiistentia >>nelle.i vollzogen, und wenn ein Schlesier
ohne wenigstens zehn Trauergedichte in's Grab gesenkt wird, so dreht
er sich gewiß noch im Sarge um. Die Poesie ist die Hausfreundin
des Schlesiers, ohne die kein Fest gefeiert, keine wichtige Angelegen¬
heit in's Werk gesetzt werden kann. Weil aber der dichterische Fonds
sich unter die weitere und breitere Masse abgesetzt hat, so ist Schlesien
bei aller Poesie doch arm an Poeten in dem Sinne etwa, wie ein
Wald arm an Bäumen sein kann. Viel wild verwachsenes Gestrüpp,
krüppelhaftes Strauchwerk, kein aufschössiger, vollsaftiger Stamm.
Das begabtere Talent muß sich entweder auf einen anderen Boden
verpflanzen oder es bricht nach dem ersten verheißenden Anlauf in sich
zusammen und sinkt zur Gelegenheitsdichterci herab. Es fehlt der
schlesischen Erde nicht an Erzeugungs-, wohl aber an Erhaltungskraft.
Die jüngste Zeit vermag kaum einen Dichter aufzuweisen, der dieses
Namens würdig wäre. Gustav Freitag, der Verfasser eines Prämien-
Lustspiels "Kunz von Rosen" hat sich einigemal als tüchtigen Hippo-
gryphen-Reiter gezeigt, seit einiger Zeit aber sitzt er nur auf Com-
mando auf, bei aristokratischen Familienfesten, oder wenn das Thea¬
ter sich ox nliicio über etwas freut. Theodor Opitz, der zuvörderst
durch Beiträge für das Feuilleton der Rheinischen Zeitung dem größe¬
ren Publicum bekannt wurde, hat seinen Pegasus zum Lastthiere ab-


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i.
A«S Vresla«.

Poesie und Bersclei. — Gustav Freitag und Theodor Opitz. — Graf Moritz
von Strachwitz. — Der Breslauer Figaro und die Zirndörfer, — Publizistik
und Censur. — Die Breslauer und die Schlesische Zeitung. — Ihre Mitarbei¬
ter und ihre Berliner Correspondcnte». — Elsner's Schlesische Chronik. —
Leopold Schweitzer.

Es wird wohl nirgends so viel geverselt, als in Schlesien. Der
Neugeborene wird mit einer poetischen Salve begrüßt, jede Heirath
wird unter der ksiiistentia >>nelle.i vollzogen, und wenn ein Schlesier
ohne wenigstens zehn Trauergedichte in's Grab gesenkt wird, so dreht
er sich gewiß noch im Sarge um. Die Poesie ist die Hausfreundin
des Schlesiers, ohne die kein Fest gefeiert, keine wichtige Angelegen¬
heit in's Werk gesetzt werden kann. Weil aber der dichterische Fonds
sich unter die weitere und breitere Masse abgesetzt hat, so ist Schlesien
bei aller Poesie doch arm an Poeten in dem Sinne etwa, wie ein
Wald arm an Bäumen sein kann. Viel wild verwachsenes Gestrüpp,
krüppelhaftes Strauchwerk, kein aufschössiger, vollsaftiger Stamm.
Das begabtere Talent muß sich entweder auf einen anderen Boden
verpflanzen oder es bricht nach dem ersten verheißenden Anlauf in sich
zusammen und sinkt zur Gelegenheitsdichterci herab. Es fehlt der
schlesischen Erde nicht an Erzeugungs-, wohl aber an Erhaltungskraft.
Die jüngste Zeit vermag kaum einen Dichter aufzuweisen, der dieses
Namens würdig wäre. Gustav Freitag, der Verfasser eines Prämien-
Lustspiels „Kunz von Rosen" hat sich einigemal als tüchtigen Hippo-
gryphen-Reiter gezeigt, seit einiger Zeit aber sitzt er nur auf Com-
mando auf, bei aristokratischen Familienfesten, oder wenn das Thea¬
ter sich ox nliicio über etwas freut. Theodor Opitz, der zuvörderst
durch Beiträge für das Feuilleton der Rheinischen Zeitung dem größe¬
ren Publicum bekannt wurde, hat seinen Pegasus zum Lastthiere ab-


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[0287] T a g e b u eh. i. A«S Vresla«. Poesie und Bersclei. — Gustav Freitag und Theodor Opitz. — Graf Moritz von Strachwitz. — Der Breslauer Figaro und die Zirndörfer, — Publizistik und Censur. — Die Breslauer und die Schlesische Zeitung. — Ihre Mitarbei¬ ter und ihre Berliner Correspondcnte». — Elsner's Schlesische Chronik. — Leopold Schweitzer. Es wird wohl nirgends so viel geverselt, als in Schlesien. Der Neugeborene wird mit einer poetischen Salve begrüßt, jede Heirath wird unter der ksiiistentia >>nelle.i vollzogen, und wenn ein Schlesier ohne wenigstens zehn Trauergedichte in's Grab gesenkt wird, so dreht er sich gewiß noch im Sarge um. Die Poesie ist die Hausfreundin des Schlesiers, ohne die kein Fest gefeiert, keine wichtige Angelegen¬ heit in's Werk gesetzt werden kann. Weil aber der dichterische Fonds sich unter die weitere und breitere Masse abgesetzt hat, so ist Schlesien bei aller Poesie doch arm an Poeten in dem Sinne etwa, wie ein Wald arm an Bäumen sein kann. Viel wild verwachsenes Gestrüpp, krüppelhaftes Strauchwerk, kein aufschössiger, vollsaftiger Stamm. Das begabtere Talent muß sich entweder auf einen anderen Boden verpflanzen oder es bricht nach dem ersten verheißenden Anlauf in sich zusammen und sinkt zur Gelegenheitsdichterci herab. Es fehlt der schlesischen Erde nicht an Erzeugungs-, wohl aber an Erhaltungskraft. Die jüngste Zeit vermag kaum einen Dichter aufzuweisen, der dieses Namens würdig wäre. Gustav Freitag, der Verfasser eines Prämien- Lustspiels „Kunz von Rosen" hat sich einigemal als tüchtigen Hippo- gryphen-Reiter gezeigt, seit einiger Zeit aber sitzt er nur auf Com- mando auf, bei aristokratischen Familienfesten, oder wenn das Thea¬ ter sich ox nliicio über etwas freut. Theodor Opitz, der zuvörderst durch Beiträge für das Feuilleton der Rheinischen Zeitung dem größe¬ ren Publicum bekannt wurde, hat seinen Pegasus zum Lastthiere ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/287>, abgerufen am 22.12.2024.