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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Französische Romandichter.



i.
D a l ^ c.

Es sind noch nicht ganz zweihundert Jahre, daß Frankreich eilten
Romanschriftsteller besaß, dem der glänzendste Ruhm folgte. Es war
der fruchtbarste und beliebteste Autor seiner Zeit. Durch Unglücksfälle ge¬
zwungen, sich durch literarische Arbeiten eine ehrenvolle Existenz zu sichern,
veröffentlichte er mehr als 50 Bände von 1200 sparsam gedruckten Seiten.
Sein Werk, wie jetzt Balzac sagt, erfuhr mehrere Auflagen und war die
Wonne der literarischen Gourmands des Hofes und der Stadt. Und
nicht allein weltlichgesinnte Leute, Jünglinge und Frauen verschlangen
diese endlosen Liebesgeschichten: die Bischöfe vertheiltet! sie in ihren
Diöcesen "um die rechtschaffenen Leute zu erbauen und denen ein
gutes Beispiel der Moral zu geben, die sie predigen." Selbst aus
der klösterlichen Einsamkeit von Port-Royal ertönten Akkorde zu diesem
großen Concert der Bewunderung. Der kleinen Anzahl schwer zu
befriedigender Leser, die die Geschichten doch etwas zu lang fanden,
sagte Manage mit einem Orakelton, daß sie dadurch nur die Klein¬
lichkeit ihres Geschmackes bewiesen. Die Kritik stellte den Autor
frischweg auf eine Stufe mit Homer und Virgil, und der große
Haufen war mit der Kritik einer Meinung. Der Ruhm des Autors
hatte Berge und Meere überflogen; Europa bewunderte ihn, man
übersetzte ihn in alle Sprachen, die Königin Christine von Schwe¬
den rechnete es sich zur Ehre, mit ihm in Briefwechsel zu stehen; die
Maler stritten sich um die Ehre, ihn zu malen; die Dichter besangen
ihn; er hatte eine Grasmücke, mit der sich ganz Paris beschäftigte,
wie vor Kurzem noch mit dem Stock Balzac's; mit einem Worte, er
war noch berühmter, als es jetzt Balzac und Sue sind.


Grenzboten II. Z
Französische Romandichter.



i.
D a l ^ c.

Es sind noch nicht ganz zweihundert Jahre, daß Frankreich eilten
Romanschriftsteller besaß, dem der glänzendste Ruhm folgte. Es war
der fruchtbarste und beliebteste Autor seiner Zeit. Durch Unglücksfälle ge¬
zwungen, sich durch literarische Arbeiten eine ehrenvolle Existenz zu sichern,
veröffentlichte er mehr als 50 Bände von 1200 sparsam gedruckten Seiten.
Sein Werk, wie jetzt Balzac sagt, erfuhr mehrere Auflagen und war die
Wonne der literarischen Gourmands des Hofes und der Stadt. Und
nicht allein weltlichgesinnte Leute, Jünglinge und Frauen verschlangen
diese endlosen Liebesgeschichten: die Bischöfe vertheiltet! sie in ihren
Diöcesen „um die rechtschaffenen Leute zu erbauen und denen ein
gutes Beispiel der Moral zu geben, die sie predigen." Selbst aus
der klösterlichen Einsamkeit von Port-Royal ertönten Akkorde zu diesem
großen Concert der Bewunderung. Der kleinen Anzahl schwer zu
befriedigender Leser, die die Geschichten doch etwas zu lang fanden,
sagte Manage mit einem Orakelton, daß sie dadurch nur die Klein¬
lichkeit ihres Geschmackes bewiesen. Die Kritik stellte den Autor
frischweg auf eine Stufe mit Homer und Virgil, und der große
Haufen war mit der Kritik einer Meinung. Der Ruhm des Autors
hatte Berge und Meere überflogen; Europa bewunderte ihn, man
übersetzte ihn in alle Sprachen, die Königin Christine von Schwe¬
den rechnete es sich zur Ehre, mit ihm in Briefwechsel zu stehen; die
Maler stritten sich um die Ehre, ihn zu malen; die Dichter besangen
ihn; er hatte eine Grasmücke, mit der sich ganz Paris beschäftigte,
wie vor Kurzem noch mit dem Stock Balzac's; mit einem Worte, er
war noch berühmter, als es jetzt Balzac und Sue sind.


Grenzboten II. Z
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[0025] Französische Romandichter. i. D a l ^ c. Es sind noch nicht ganz zweihundert Jahre, daß Frankreich eilten Romanschriftsteller besaß, dem der glänzendste Ruhm folgte. Es war der fruchtbarste und beliebteste Autor seiner Zeit. Durch Unglücksfälle ge¬ zwungen, sich durch literarische Arbeiten eine ehrenvolle Existenz zu sichern, veröffentlichte er mehr als 50 Bände von 1200 sparsam gedruckten Seiten. Sein Werk, wie jetzt Balzac sagt, erfuhr mehrere Auflagen und war die Wonne der literarischen Gourmands des Hofes und der Stadt. Und nicht allein weltlichgesinnte Leute, Jünglinge und Frauen verschlangen diese endlosen Liebesgeschichten: die Bischöfe vertheiltet! sie in ihren Diöcesen „um die rechtschaffenen Leute zu erbauen und denen ein gutes Beispiel der Moral zu geben, die sie predigen." Selbst aus der klösterlichen Einsamkeit von Port-Royal ertönten Akkorde zu diesem großen Concert der Bewunderung. Der kleinen Anzahl schwer zu befriedigender Leser, die die Geschichten doch etwas zu lang fanden, sagte Manage mit einem Orakelton, daß sie dadurch nur die Klein¬ lichkeit ihres Geschmackes bewiesen. Die Kritik stellte den Autor frischweg auf eine Stufe mit Homer und Virgil, und der große Haufen war mit der Kritik einer Meinung. Der Ruhm des Autors hatte Berge und Meere überflogen; Europa bewunderte ihn, man übersetzte ihn in alle Sprachen, die Königin Christine von Schwe¬ den rechnete es sich zur Ehre, mit ihm in Briefwechsel zu stehen; die Maler stritten sich um die Ehre, ihn zu malen; die Dichter besangen ihn; er hatte eine Grasmücke, mit der sich ganz Paris beschäftigte, wie vor Kurzem noch mit dem Stock Balzac's; mit einem Worte, er war noch berühmter, als es jetzt Balzac und Sue sind. Grenzboten II. Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/25>, abgerufen am 29.06.2024.