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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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A. B e r es t.



Die Literatur muß bisweilen aufgeschüttelt werden, wie eine Me-
dicinflasche. Die Kasteneintheilung, welche in der Gesellschaft so schäd¬
lich ist, ist auch den literarischen Wirkungen nachteilig. Die kritischen
Blätter Deutschlands haben namentlich diesen Fehler des Kastengeistes.
Jedes schließt sich für sich selbst ab., Die wissenschaftlichen Journale ig--
noriren die poetische Produktion; die belletristischen bekümmern sich eben
so wenig um die gelehrte. So bekommen die Leser der einen oder der
andern die Welt immer nur von Einer Seite aus beleuchtet. In dieser
Beziehung stehen die englischen und französischen Blätter den deutschen
weit voran. Sie ziehen in ihre Kreise Alles, was der Gesellschaft an-"
gehört, denn das Wort Gesellschaft bedeutet bei ihnen nicht den Sinn,
den man in Deutschland gewöhnlich darunter versteht? einen gewissen ab¬
geschlossenen Kreis von Personen, sondern die Gesellschaft ist ihnen die
ganze Masse der Gebildeten.' Die deutschen Kritiker sind vielleicht gewis¬
senhafter, als die der benachbarten Nationen. Darum besprechen sie im¬
mer nur dasjenige, was ihnen zunächst liegt,, und was sie vollkommen
überschauen und beurtheilen können. Aber die wahre Aufgabe der heu¬
tigen Literatur ist, alle Gebiete des Geistes und der Erfahrung aus ih¬
rer Isolirtheit zu reißen und einander näher zu rücken. Es gibt medi-
xinische, rechtswissenschaftliche, naturhistorische und geschichtliche Werke,
die allerdings zunächst nur den Mann von Fach interessiren sollen, von
denen aber viele bei einer genauen Prüfung ein so reiches Material des
.allgemein Verständlichen und Ansprechenden enthalten, daß es nur des Finger¬
zergs bedarf, um dasselbe dem großen Publikum zuzuführen. Dieses meinten
wir, indem wir sagten, man müsse die Literatur ausschütteln. EmeZeit-
schrift, welche ihre Aufgabe versteht, muß sorgsam auch die ihr entlegen¬
sten ^Gebiete ' geistiger- Erzeugnisse ins Auge fassen, um dieselben dem Kreise
ihrer Leser zu vermitteln, .welche ihrem. Stande und ihren Interessen
nach Mer Wst fern bWen/W


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Die Literatur muß bisweilen aufgeschüttelt werden, wie eine Me-
dicinflasche. Die Kasteneintheilung, welche in der Gesellschaft so schäd¬
lich ist, ist auch den literarischen Wirkungen nachteilig. Die kritischen
Blätter Deutschlands haben namentlich diesen Fehler des Kastengeistes.
Jedes schließt sich für sich selbst ab., Die wissenschaftlichen Journale ig--
noriren die poetische Produktion; die belletristischen bekümmern sich eben
so wenig um die gelehrte. So bekommen die Leser der einen oder der
andern die Welt immer nur von Einer Seite aus beleuchtet. In dieser
Beziehung stehen die englischen und französischen Blätter den deutschen
weit voran. Sie ziehen in ihre Kreise Alles, was der Gesellschaft an-«
gehört, denn das Wort Gesellschaft bedeutet bei ihnen nicht den Sinn,
den man in Deutschland gewöhnlich darunter versteht? einen gewissen ab¬
geschlossenen Kreis von Personen, sondern die Gesellschaft ist ihnen die
ganze Masse der Gebildeten.' Die deutschen Kritiker sind vielleicht gewis¬
senhafter, als die der benachbarten Nationen. Darum besprechen sie im¬
mer nur dasjenige, was ihnen zunächst liegt,, und was sie vollkommen
überschauen und beurtheilen können. Aber die wahre Aufgabe der heu¬
tigen Literatur ist, alle Gebiete des Geistes und der Erfahrung aus ih¬
rer Isolirtheit zu reißen und einander näher zu rücken. Es gibt medi-
xinische, rechtswissenschaftliche, naturhistorische und geschichtliche Werke,
die allerdings zunächst nur den Mann von Fach interessiren sollen, von
denen aber viele bei einer genauen Prüfung ein so reiches Material des
.allgemein Verständlichen und Ansprechenden enthalten, daß es nur des Finger¬
zergs bedarf, um dasselbe dem großen Publikum zuzuführen. Dieses meinten
wir, indem wir sagten, man müsse die Literatur ausschütteln. EmeZeit-
schrift, welche ihre Aufgabe versteht, muß sorgsam auch die ihr entlegen¬
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ihrer Leser zu vermitteln, .welche ihrem. Stande und ihren Interessen
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[0677] G o l H a t e n b i l d s Don A. B e r es t. Die Literatur muß bisweilen aufgeschüttelt werden, wie eine Me- dicinflasche. Die Kasteneintheilung, welche in der Gesellschaft so schäd¬ lich ist, ist auch den literarischen Wirkungen nachteilig. Die kritischen Blätter Deutschlands haben namentlich diesen Fehler des Kastengeistes. Jedes schließt sich für sich selbst ab., Die wissenschaftlichen Journale ig-- noriren die poetische Produktion; die belletristischen bekümmern sich eben so wenig um die gelehrte. So bekommen die Leser der einen oder der andern die Welt immer nur von Einer Seite aus beleuchtet. In dieser Beziehung stehen die englischen und französischen Blätter den deutschen weit voran. Sie ziehen in ihre Kreise Alles, was der Gesellschaft an-« gehört, denn das Wort Gesellschaft bedeutet bei ihnen nicht den Sinn, den man in Deutschland gewöhnlich darunter versteht? einen gewissen ab¬ geschlossenen Kreis von Personen, sondern die Gesellschaft ist ihnen die ganze Masse der Gebildeten.' Die deutschen Kritiker sind vielleicht gewis¬ senhafter, als die der benachbarten Nationen. Darum besprechen sie im¬ mer nur dasjenige, was ihnen zunächst liegt,, und was sie vollkommen überschauen und beurtheilen können. Aber die wahre Aufgabe der heu¬ tigen Literatur ist, alle Gebiete des Geistes und der Erfahrung aus ih¬ rer Isolirtheit zu reißen und einander näher zu rücken. Es gibt medi- xinische, rechtswissenschaftliche, naturhistorische und geschichtliche Werke, die allerdings zunächst nur den Mann von Fach interessiren sollen, von denen aber viele bei einer genauen Prüfung ein so reiches Material des .allgemein Verständlichen und Ansprechenden enthalten, daß es nur des Finger¬ zergs bedarf, um dasselbe dem großen Publikum zuzuführen. Dieses meinten wir, indem wir sagten, man müsse die Literatur ausschütteln. EmeZeit- schrift, welche ihre Aufgabe versteht, muß sorgsam auch die ihr entlegen¬ sten ^Gebiete ' geistiger- Erzeugnisse ins Auge fassen, um dieselben dem Kreise ihrer Leser zu vermitteln, .welche ihrem. Stande und ihren Interessen nach Mer Wst fern bWen/W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/677>, abgerufen am 27.06.2024.