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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Briefe aus Wien.

Sommer und Winter. -- ErzIcliungSsystem. -- Die französischen Gouvernanten. -- S?!e
Censur französischer Bücher. -- Landleben, -- Komische Gaunereien.

Das Sommerleben hat nun wieder begonnen; eine große Erlösungszeit. Der
Frühling ist demokratischer Natur/ er giebt den Volköwillen frei, er zwingt nicht
zum'absoluten Gehorsam wie der streng monarchische Winter, der, uns nur solche
Vergnügungen erlaubt, WM er selbst die, Concession giebt, und wobei wir von
seiner strengen Polizei, von Schnee, Eis und Wind überall hübsch im Zaum ge-
Halten werden. In so fest monarchischen Staaten wie Oesterreich fühlt man den
Rigorismus des Winters um so'stärker. Alles öffentliche Leben ist auf die'Kunst
hingewiesen. Theater, Musik, Tanz -- in diesen drei Kreisen bewegt man sich wie
ein Kreisel, dem zuletzt schwindlig wird, und der dann vor Ermüdung'umfällt!
Sechs und neunzig Concerte hörten wir im vergangenen Winter--dießist mehr
als ein menschliches Ohr ertragen kann. Zu Tode gekitzelt werden -- ist ein ab¬
scheuliches Schicksal, und wären es auch die allersch'vnsen und feinsten Hände, die
uns kitzeln. Und so gut hatten wir es gar nicht-einmal. Nehmen wir etwa die
beiden Violoncellisten Scrvais und Bohrer ans -- so brachte die' ganze Saison
uns nichts als gewöhnliches HandwerkSgcllimper, gewöhnlichen Dilettantismus
und gewöhnliche Äinderwundcr! Die KindcrgenieS sind bei uns noch häufiger als
überall -- um so mehr als wir unser ganzes Leben nicht aus den Kinderschuhen
herauskommen. Unsere Gesichter bleiben immer hübsch weiß und roth -- naive
Kindcrzüge. Die Sonne der Politik bräunt sie nicht; von allen Fragen, die -- so
viel wir aus der Augsburger allgemeinen Zeitung erfahren -- da draußen verhan¬
delt werden, bleibt unser Gemüth unberührt. Nicht einmal der Franzosenhaß, der
in Deutschland so Mode geworden ist, hat den Eingang bei uns erlaubt erhalten,


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Briefe aus Wien.

Sommer und Winter. — ErzIcliungSsystem. — Die französischen Gouvernanten. — S?!e
Censur französischer Bücher. — Landleben, — Komische Gaunereien.

Das Sommerleben hat nun wieder begonnen; eine große Erlösungszeit. Der
Frühling ist demokratischer Natur/ er giebt den Volköwillen frei, er zwingt nicht
zum'absoluten Gehorsam wie der streng monarchische Winter, der, uns nur solche
Vergnügungen erlaubt, WM er selbst die, Concession giebt, und wobei wir von
seiner strengen Polizei, von Schnee, Eis und Wind überall hübsch im Zaum ge-
Halten werden. In so fest monarchischen Staaten wie Oesterreich fühlt man den
Rigorismus des Winters um so'stärker. Alles öffentliche Leben ist auf die'Kunst
hingewiesen. Theater, Musik, Tanz — in diesen drei Kreisen bewegt man sich wie
ein Kreisel, dem zuletzt schwindlig wird, und der dann vor Ermüdung'umfällt!
Sechs und neunzig Concerte hörten wir im vergangenen Winter—dießist mehr
als ein menschliches Ohr ertragen kann. Zu Tode gekitzelt werden — ist ein ab¬
scheuliches Schicksal, und wären es auch die allersch'vnsen und feinsten Hände, die
uns kitzeln. Und so gut hatten wir es gar nicht-einmal. Nehmen wir etwa die
beiden Violoncellisten Scrvais und Bohrer ans — so brachte die' ganze Saison
uns nichts als gewöhnliches HandwerkSgcllimper, gewöhnlichen Dilettantismus
und gewöhnliche Äinderwundcr! Die KindcrgenieS sind bei uns noch häufiger als
überall — um so mehr als wir unser ganzes Leben nicht aus den Kinderschuhen
herauskommen. Unsere Gesichter bleiben immer hübsch weiß und roth — naive
Kindcrzüge. Die Sonne der Politik bräunt sie nicht; von allen Fragen, die — so
viel wir aus der Augsburger allgemeinen Zeitung erfahren — da draußen verhan¬
delt werden, bleibt unser Gemüth unberührt. Nicht einmal der Franzosenhaß, der
in Deutschland so Mode geworden ist, hat den Eingang bei uns erlaubt erhalten,


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[0602] a g e b u c! Briefe aus Wien. Sommer und Winter. — ErzIcliungSsystem. — Die französischen Gouvernanten. — S?!e Censur französischer Bücher. — Landleben, — Komische Gaunereien. Das Sommerleben hat nun wieder begonnen; eine große Erlösungszeit. Der Frühling ist demokratischer Natur/ er giebt den Volköwillen frei, er zwingt nicht zum'absoluten Gehorsam wie der streng monarchische Winter, der, uns nur solche Vergnügungen erlaubt, WM er selbst die, Concession giebt, und wobei wir von seiner strengen Polizei, von Schnee, Eis und Wind überall hübsch im Zaum ge- Halten werden. In so fest monarchischen Staaten wie Oesterreich fühlt man den Rigorismus des Winters um so'stärker. Alles öffentliche Leben ist auf die'Kunst hingewiesen. Theater, Musik, Tanz — in diesen drei Kreisen bewegt man sich wie ein Kreisel, dem zuletzt schwindlig wird, und der dann vor Ermüdung'umfällt! Sechs und neunzig Concerte hörten wir im vergangenen Winter—dießist mehr als ein menschliches Ohr ertragen kann. Zu Tode gekitzelt werden — ist ein ab¬ scheuliches Schicksal, und wären es auch die allersch'vnsen und feinsten Hände, die uns kitzeln. Und so gut hatten wir es gar nicht-einmal. Nehmen wir etwa die beiden Violoncellisten Scrvais und Bohrer ans — so brachte die' ganze Saison uns nichts als gewöhnliches HandwerkSgcllimper, gewöhnlichen Dilettantismus und gewöhnliche Äinderwundcr! Die KindcrgenieS sind bei uns noch häufiger als überall — um so mehr als wir unser ganzes Leben nicht aus den Kinderschuhen herauskommen. Unsere Gesichter bleiben immer hübsch weiß und roth — naive Kindcrzüge. Die Sonne der Politik bräunt sie nicht; von allen Fragen, die — so viel wir aus der Augsburger allgemeinen Zeitung erfahren — da draußen verhan¬ delt werden, bleibt unser Gemüth unberührt. Nicht einmal der Franzosenhaß, der in Deutschland so Mode geworden ist, hat den Eingang bei uns erlaubt erhalten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/602>, abgerufen am 22.07.2024.