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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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-- Ihr habt ja solchen Dingen ein ganzes Leben lang zugesehn -- glaubt Ihr zu-
verlässig, daß eine tiefe Neigung zwischen'den beiden jungen Leuten obwalte?

Brahe. Zuverlässig,wie wenig auch Svlva noch von ihrem eigenen Her¬
zen weiß. Gott gebe, daß meine Vererbungstheorie des Charakters übertrieben sei/
sonst stünden dem Kinde von seiner enthusiastischen Mutter her noch Windstöße von
Leidenschaft bevor, die selten ohne Schaden ablaufen.

Christine. Unverbesserlicher Theoretiker! Meine unschuldige, kindliche Splva,
und Windstöße von Leidenschaft! Ihr kommt auf thörichte Dinge, mein lieber Brahe,

(sie nimmt ein kleines Kreuz ab, was sie um de" Hals tragt,
mit Eurem Systeme --
und jMes ihm.)
schenkt meinem Lieblinge dies kleine Kreuz von mir, Gott möge
ihr Schönheit und glücklichen Sinn bewahren.

'(verbeugt sich, und kußt der Königin die Hand, dann betrachtet er nach¬
Brahe
denklich das Kreuz.)

Christine. Fürchtet Euch nicht, ein kleines Kreuz macht noch nicht katholisch.
Behüt' Euch Gott, Graf Brahe! -- Noch Eins'! Kennt jener Fremdling, dem Ihr
wegen eines Blickes eine Verwandtschaft zuschreibt^ kennt er hier in 'Stockholm
Jemand?

Brahe. Ich weiß es nicht, Majestät.

Christine. Nun, ich hoffe, schon aus philosophischer Neugier'werdet Ihr

(Berbcuguno d-s
ihn kennen lernen, und mir ihn später ohne Vorurtheile schildern.
(Brahe ab.)
Grafen.)
-- Schlaft wohl, Brahe!


Zehnte Scene.



Christine allein.

Ein alter Mann, der viel erlebt, zu viel erlebt hat, er kommt auf Spiele¬
reien -- und doch ist er ein denkender Mann -- ist er weise, oder ist er ein altes
Weib? Ja, das letzte entscheidende Urtheil über einen Menschen ist eben so schwer!
und ich fürchte, ich fürchte, um das zu haben, muß man ein Mann sein. Man
muß abschließen können, gehe dabei zu Grunde, weis mag. Ein Mann! Interesse! Leben! An diesem Santinclli hab' ich nichts gefun¬
den. Er hat nnr gerade so viel Geist, um klug zu sein, aber der Geist ist unbe¬
wegt und deshalb uninteressant. Er ist ein sogenannter Charakter, und darum
langweilig, denn ich kenne die Grenzen, in denen er sich bewegt, und das nennen
eben die Menschen Charakter. Für'S bürgerliche Leben ist das viel werth, für mich
nicht. Giebt es denn nicht Charakter in einem größeren Kreise, den man erst nach

(In dem offenen Balkon-Fenster hinten erscheint von unten
vollendetem Leben übersieht?
auf MoiwldcSchi und bleibt, noch oroßcnthciiS außerhalb, stehn.)


— Ihr habt ja solchen Dingen ein ganzes Leben lang zugesehn — glaubt Ihr zu-
verlässig, daß eine tiefe Neigung zwischen'den beiden jungen Leuten obwalte?

Brahe. Zuverlässig,wie wenig auch Svlva noch von ihrem eigenen Her¬
zen weiß. Gott gebe, daß meine Vererbungstheorie des Charakters übertrieben sei/
sonst stünden dem Kinde von seiner enthusiastischen Mutter her noch Windstöße von
Leidenschaft bevor, die selten ohne Schaden ablaufen.

Christine. Unverbesserlicher Theoretiker! Meine unschuldige, kindliche Splva,
und Windstöße von Leidenschaft! Ihr kommt auf thörichte Dinge, mein lieber Brahe,

(sie nimmt ein kleines Kreuz ab, was sie um de» Hals tragt,
mit Eurem Systeme —
und jMes ihm.)
schenkt meinem Lieblinge dies kleine Kreuz von mir, Gott möge
ihr Schönheit und glücklichen Sinn bewahren.

'(verbeugt sich, und kußt der Königin die Hand, dann betrachtet er nach¬
Brahe
denklich das Kreuz.)

Christine. Fürchtet Euch nicht, ein kleines Kreuz macht noch nicht katholisch.
Behüt' Euch Gott, Graf Brahe! — Noch Eins'! Kennt jener Fremdling, dem Ihr
wegen eines Blickes eine Verwandtschaft zuschreibt^ kennt er hier in 'Stockholm
Jemand?

Brahe. Ich weiß es nicht, Majestät.

Christine. Nun, ich hoffe, schon aus philosophischer Neugier'werdet Ihr

(Berbcuguno d-s
ihn kennen lernen, und mir ihn später ohne Vorurtheile schildern.
(Brahe ab.)
Grafen.)
— Schlaft wohl, Brahe!


Zehnte Scene.



Christine allein.

Ein alter Mann, der viel erlebt, zu viel erlebt hat, er kommt auf Spiele¬
reien — und doch ist er ein denkender Mann — ist er weise, oder ist er ein altes
Weib? Ja, das letzte entscheidende Urtheil über einen Menschen ist eben so schwer!
und ich fürchte, ich fürchte, um das zu haben, muß man ein Mann sein. Man
muß abschließen können, gehe dabei zu Grunde, weis mag. Ein Mann! Interesse! Leben! An diesem Santinclli hab' ich nichts gefun¬
den. Er hat nnr gerade so viel Geist, um klug zu sein, aber der Geist ist unbe¬
wegt und deshalb uninteressant. Er ist ein sogenannter Charakter, und darum
langweilig, denn ich kenne die Grenzen, in denen er sich bewegt, und das nennen
eben die Menschen Charakter. Für'S bürgerliche Leben ist das viel werth, für mich
nicht. Giebt es denn nicht Charakter in einem größeren Kreise, den man erst nach

(In dem offenen Balkon-Fenster hinten erscheint von unten
vollendetem Leben übersieht?
auf MoiwldcSchi und bleibt, noch oroßcnthciiS außerhalb, stehn.)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/55>, abgerufen am 27.06.2024.