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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Frankfurt und die deutsche Literatur.
(Fragment einer Muscumsvorlesung.)
Von Th. . . C>



Schon oft wurde von literarischen Forschern die Frage aufgeworfen, welche
Staatsverfassung, welche Richtung der öffentlichen Cultur wohl für das Ge¬
deihen derKunst und Poesie die förderlichste sei. Die Entscheidung fiel bald für
kunstliebende Monarchen, bald für eine blühende Adelsherrschaft aus;
doch darin kamen die meisten Beurtheiler überein, von Handelsstaaten
in dieser Beziehung nur mit einer gewissen vornehmen Herablassung zu
reden. Selbst in dem gelobten Lande der Kunst, in Italien, soll das
Schöne sich oft genug aus den Handeltreibenden Städten an die kleinen
Höfe geflüchtet haben; und wenn die Republik Venedig dem Dichter
Sannazaro für jede Zeile eines lobenden Epigramms hundert Ducaten
zahlte, nebenbei gesagt wohl das größte Honorar, das jemals ein Dichter
bezogen hat, so ging diese glänzende Ausnahme doch ebenfalls von Pa¬
triciern aus. Sollte aber nicht in jener Ansicht dennoch eine Täuschung
liegen; und könnte nicht auch die Großartigkeit des kaufmännischen Ver->
kehrs, die erhebende Aussicht auf die Verbindungen der Weltcheile, die
geistige Macht der Industrie einen ergiebigen Boden für den ächten Ge¬
nius darbieten, der ja, nach Schillers Ausspruch, namentlich in Deutsch¬
land niemals von irdischer Majestät geborgt hat! Mag es auch zunächst
nur der Gedanke des Vortheils sein, welcher die Schiffe des Kaufmanns
versendet und seine Achse mit Gütern befrachtet; sich selber unbewußt, ist
er der Argonaut?, der von fremden Küsten her das goldene Vließ der
Wissenschaft und Poesie nach der Heimath bringt. 'Wenn in neuerer Zeit
behauptet wurde, das Nützliche sei bürgerlich, das Schöne adlich; dem
Edelmann sei der Genuß eine Arbeit, dein Bürger die Arbeit ein Ge-


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Frankfurt und die deutsche Literatur.
(Fragment einer Muscumsvorlesung.)
Von Th. . . C>



Schon oft wurde von literarischen Forschern die Frage aufgeworfen, welche
Staatsverfassung, welche Richtung der öffentlichen Cultur wohl für das Ge¬
deihen derKunst und Poesie die förderlichste sei. Die Entscheidung fiel bald für
kunstliebende Monarchen, bald für eine blühende Adelsherrschaft aus;
doch darin kamen die meisten Beurtheiler überein, von Handelsstaaten
in dieser Beziehung nur mit einer gewissen vornehmen Herablassung zu
reden. Selbst in dem gelobten Lande der Kunst, in Italien, soll das
Schöne sich oft genug aus den Handeltreibenden Städten an die kleinen
Höfe geflüchtet haben; und wenn die Republik Venedig dem Dichter
Sannazaro für jede Zeile eines lobenden Epigramms hundert Ducaten
zahlte, nebenbei gesagt wohl das größte Honorar, das jemals ein Dichter
bezogen hat, so ging diese glänzende Ausnahme doch ebenfalls von Pa¬
triciern aus. Sollte aber nicht in jener Ansicht dennoch eine Täuschung
liegen; und könnte nicht auch die Großartigkeit des kaufmännischen Ver->
kehrs, die erhebende Aussicht auf die Verbindungen der Weltcheile, die
geistige Macht der Industrie einen ergiebigen Boden für den ächten Ge¬
nius darbieten, der ja, nach Schillers Ausspruch, namentlich in Deutsch¬
land niemals von irdischer Majestät geborgt hat! Mag es auch zunächst
nur der Gedanke des Vortheils sein, welcher die Schiffe des Kaufmanns
versendet und seine Achse mit Gütern befrachtet; sich selber unbewußt, ist
er der Argonaut?, der von fremden Küsten her das goldene Vließ der
Wissenschaft und Poesie nach der Heimath bringt. 'Wenn in neuerer Zeit
behauptet wurde, das Nützliche sei bürgerlich, das Schöne adlich; dem
Edelmann sei der Genuß eine Arbeit, dein Bürger die Arbeit ein Ge-


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[0301] Frankfurt und die deutsche Literatur. (Fragment einer Muscumsvorlesung.) Von Th. . . C> Schon oft wurde von literarischen Forschern die Frage aufgeworfen, welche Staatsverfassung, welche Richtung der öffentlichen Cultur wohl für das Ge¬ deihen derKunst und Poesie die förderlichste sei. Die Entscheidung fiel bald für kunstliebende Monarchen, bald für eine blühende Adelsherrschaft aus; doch darin kamen die meisten Beurtheiler überein, von Handelsstaaten in dieser Beziehung nur mit einer gewissen vornehmen Herablassung zu reden. Selbst in dem gelobten Lande der Kunst, in Italien, soll das Schöne sich oft genug aus den Handeltreibenden Städten an die kleinen Höfe geflüchtet haben; und wenn die Republik Venedig dem Dichter Sannazaro für jede Zeile eines lobenden Epigramms hundert Ducaten zahlte, nebenbei gesagt wohl das größte Honorar, das jemals ein Dichter bezogen hat, so ging diese glänzende Ausnahme doch ebenfalls von Pa¬ triciern aus. Sollte aber nicht in jener Ansicht dennoch eine Täuschung liegen; und könnte nicht auch die Großartigkeit des kaufmännischen Ver-> kehrs, die erhebende Aussicht auf die Verbindungen der Weltcheile, die geistige Macht der Industrie einen ergiebigen Boden für den ächten Ge¬ nius darbieten, der ja, nach Schillers Ausspruch, namentlich in Deutsch¬ land niemals von irdischer Majestät geborgt hat! Mag es auch zunächst nur der Gedanke des Vortheils sein, welcher die Schiffe des Kaufmanns versendet und seine Achse mit Gütern befrachtet; sich selber unbewußt, ist er der Argonaut?, der von fremden Küsten her das goldene Vließ der Wissenschaft und Poesie nach der Heimath bringt. 'Wenn in neuerer Zeit behauptet wurde, das Nützliche sei bürgerlich, das Schöne adlich; dem Edelmann sei der Genuß eine Arbeit, dein Bürger die Arbeit ein Ge- 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/301>, abgerufen am 27.06.2024.