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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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die königliche Bibliothek hineinbringen können eine solche Wuth?, Papier zu
bedrücken und zu beschreiben, hatten unsre Ahnen. Im gemeinen Leben sagt
man, die Eidechse sei der Freund der Menschen; das kann wahr sein, aber
der Freund des Schriftstellers in's Besondre ist die Ratte. Von dem Tage
an, wo man die Ratten und die Gewürzkrämer abschaffen wird, können die
Buchhändler getrost ihre Lade" schließen und die Schriftsteller mögen sich bei
Zeiten darauf verlegen, irgend Brustküchelchen oder sonst etwas der Art zu
erfinden, wenn ihnen daran gelegen ist, etwas zu essen . . . ., natürlich nicht
ihre Brustküchelchen. Doch gut, daß es uns einfällt! Hätten wir doch bald
hin allerwichtigsten Theil dieser Angelegenheit zu berichten vergessen! Erräth
wohl Jemand, wohin man diesen Tempel der Wissenschaften und Künste ver¬
legen will'! Auf die place dauphinc in der Nähe des palais de justier. --
Auch gut! die Parteien, die ihren Proceß verloren haben, werden nun einen
einzigen Schritt zu gehen haben, um Seneca und alle andern berühmten
Schriftsteller zu lesen, welche bewiesen haben, daß, wenn der Mensch nicht zu¬
frieden ist, er ein Philosoph sein muß. Uns scheint die Wahl der place
dauphinc sehr glücklich getroffen zu sein .... für die Bibliothekare. Man
hat sie bis jetzt schon in ihrer'Ruhe wenig gestört; fortan wird man sie gar
nicht mehr stören.-




Theater-Notizen.

Für Schiller's unvollendete Dramen und Dramcnprojckte hat sich wieder
ein Bearbeiter gefunden. Zwei Lieferungen (Nürnberg bei George Winter)
liegen uns von dieser Bearbeitung vor. Sie enthalten den Warbek und die
Kinder des Hauses. Wer von uns hat, nicht in seiner Jugend an die Ausführung des
Warbek sich gemacht'? Es ist mit diesem unauflöslichen Drama wie mit dem Stock-
am-Eiscn in Wien. Jeder wandernde Schlosser schlägt dort zum Andenken
M das dranhängende Schloß einen Nagel hinein, und der alte vielhundert-
jährige Stock hat kaum noch einen Platz für einen neuen. Die deutsche poe¬
tische Jugend hat es mit diesen Schillerfragmenten eben so gemacht; jeder
hat seinen Nagel hineingeschlagen und man sollte endlich damit aufhören. So
wie der Stoff des Warbek vorliegt, hätte Schiller ihn nie ausgeführt -- und
der beste Beweis ist auch, daß der große Dichter ihn liegen liesz und den mo-
tivverwandtcn Demetrius vornahm. Kann man sich auch etwas Sonderbareres
denken als diesen Warbek, der, nachdem er durch fünf Akte sich selbst zur Last
als Betrüger umherging, zuletzt durch einen Comöoienonkel, dem Grafen Kik-


die königliche Bibliothek hineinbringen können eine solche Wuth?, Papier zu
bedrücken und zu beschreiben, hatten unsre Ahnen. Im gemeinen Leben sagt
man, die Eidechse sei der Freund der Menschen; das kann wahr sein, aber
der Freund des Schriftstellers in's Besondre ist die Ratte. Von dem Tage
an, wo man die Ratten und die Gewürzkrämer abschaffen wird, können die
Buchhändler getrost ihre Lade» schließen und die Schriftsteller mögen sich bei
Zeiten darauf verlegen, irgend Brustküchelchen oder sonst etwas der Art zu
erfinden, wenn ihnen daran gelegen ist, etwas zu essen . . . ., natürlich nicht
ihre Brustküchelchen. Doch gut, daß es uns einfällt! Hätten wir doch bald
hin allerwichtigsten Theil dieser Angelegenheit zu berichten vergessen! Erräth
wohl Jemand, wohin man diesen Tempel der Wissenschaften und Künste ver¬
legen will'! Auf die place dauphinc in der Nähe des palais de justier. —
Auch gut! die Parteien, die ihren Proceß verloren haben, werden nun einen
einzigen Schritt zu gehen haben, um Seneca und alle andern berühmten
Schriftsteller zu lesen, welche bewiesen haben, daß, wenn der Mensch nicht zu¬
frieden ist, er ein Philosoph sein muß. Uns scheint die Wahl der place
dauphinc sehr glücklich getroffen zu sein .... für die Bibliothekare. Man
hat sie bis jetzt schon in ihrer'Ruhe wenig gestört; fortan wird man sie gar
nicht mehr stören.-




Theater-Notizen.

Für Schiller's unvollendete Dramen und Dramcnprojckte hat sich wieder
ein Bearbeiter gefunden. Zwei Lieferungen (Nürnberg bei George Winter)
liegen uns von dieser Bearbeitung vor. Sie enthalten den Warbek und die
Kinder des Hauses. Wer von uns hat, nicht in seiner Jugend an die Ausführung des
Warbek sich gemacht'? Es ist mit diesem unauflöslichen Drama wie mit dem Stock-
am-Eiscn in Wien. Jeder wandernde Schlosser schlägt dort zum Andenken
M das dranhängende Schloß einen Nagel hinein, und der alte vielhundert-
jährige Stock hat kaum noch einen Platz für einen neuen. Die deutsche poe¬
tische Jugend hat es mit diesen Schillerfragmenten eben so gemacht; jeder
hat seinen Nagel hineingeschlagen und man sollte endlich damit aufhören. So
wie der Stoff des Warbek vorliegt, hätte Schiller ihn nie ausgeführt — und
der beste Beweis ist auch, daß der große Dichter ihn liegen liesz und den mo-
tivverwandtcn Demetrius vornahm. Kann man sich auch etwas Sonderbareres
denken als diesen Warbek, der, nachdem er durch fünf Akte sich selbst zur Last
als Betrüger umherging, zuletzt durch einen Comöoienonkel, dem Grafen Kik-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/541>, abgerufen am 26.06.2024.