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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Briefe aus Wien.
Zweiter Brief.

Die Illusionen über den Anschluss an den Zollverein. Handels- und Postvcrlräge.
Fanny Eloler und die Enthusiasten. Das Mozartsche in Salzburg. Die
Salzvui'gar Aufnahme der Fremden. Zeremiaden.

Ich komme auf die Eisenbahnen, die der Staat baut, zurück
und auf den Einfluß, den sie auf die Handelsverhältnisse zum Aus¬
land in nicht gar langer Zeitfrist ausüben müssen. Hier bietet sich
ein Feld dar, auf dem sich die deutsche Journalistik seit Kurzem
mit patriotischer Ertase getummelt und aus dem Dasein eines
Baumes schon auf das Dasein eines Volkes geschlossen hat.
Läßt sich auch nicht in Abrede stellen, daß die im Bau begriffenen
Eisenbahnen, welche durchweg bis an die Grenzen oder bis ans
Meer gebaut werden, nur bei einem erleichterten Verkehr mit der
Fremde möglicherweise einen leidlichen Ertrag -- Gewinn wäre zu
kühn gesagt -- abwerfen können, so vermag doch nur die Phantasie
der Zeitungsschreiber oder der germanische Enthusiasmus in Deutsch¬
land daraus einen gänzlichen Anschluß Oestreichs an den Zollver¬
ein herzuleiten, denn die Monopolschwierigkeiten sind einmal zu groß
und würden eine durchgreifende Umgestaltung der gesammten Steuer-
Verfassung erfordern, auch ist die Finanzlage der Monarchie zu proble¬
matisch, um kommerzielle Experimente dieses Umfangs zu erlauben.
Was Oestreich gewiß thun wird, ja besser gesagt, thun muß, be¬
schränkt sich so ziemlich auf einen, vielleicht sehr günstigen Handels¬
vertrag mit dem deutschen Zollverein, welcher dem Kaiserstaat ander¬
weitig nicht die Hände bindet; ein gänzlicher Anschluß erscheint der
östreichischen Staatskunst aus mehr denn einer Ursache sehr bedenk¬
lich, denn die Industrie der deutschen Vereinslande ist jener der
Monarchie in den meisten Stücken weit überlegen und namentlich
dürste der Waarenzug aus dem industriellen Preußen den östreichi¬
schen Gewerbfleiß gar hart beeinträchtigen, und die Geldquellen
des Landes aussaugen. Preußen würde durch einen Anschluß des
Kaiserstaates seine Blüthe vermehren und mit ihm seinen allerdings
ganz gerechten Einfluß in Deutschland, dem doch dieser Schritt haupt¬
sächlich entgegenarbeiten sollte. Die österreichische Regierung würde
durch einen solchen Schritt sicherlich einen großen Vortheil wieder
gewinnen. Aber der Wohlstand der Provinzen?


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Briefe aus Wien.
Zweiter Brief.

Die Illusionen über den Anschluss an den Zollverein. Handels- und Postvcrlräge.
Fanny Eloler und die Enthusiasten. Das Mozartsche in Salzburg. Die
Salzvui'gar Aufnahme der Fremden. Zeremiaden.

Ich komme auf die Eisenbahnen, die der Staat baut, zurück
und auf den Einfluß, den sie auf die Handelsverhältnisse zum Aus¬
land in nicht gar langer Zeitfrist ausüben müssen. Hier bietet sich
ein Feld dar, auf dem sich die deutsche Journalistik seit Kurzem
mit patriotischer Ertase getummelt und aus dem Dasein eines
Baumes schon auf das Dasein eines Volkes geschlossen hat.
Läßt sich auch nicht in Abrede stellen, daß die im Bau begriffenen
Eisenbahnen, welche durchweg bis an die Grenzen oder bis ans
Meer gebaut werden, nur bei einem erleichterten Verkehr mit der
Fremde möglicherweise einen leidlichen Ertrag — Gewinn wäre zu
kühn gesagt — abwerfen können, so vermag doch nur die Phantasie
der Zeitungsschreiber oder der germanische Enthusiasmus in Deutsch¬
land daraus einen gänzlichen Anschluß Oestreichs an den Zollver¬
ein herzuleiten, denn die Monopolschwierigkeiten sind einmal zu groß
und würden eine durchgreifende Umgestaltung der gesammten Steuer-
Verfassung erfordern, auch ist die Finanzlage der Monarchie zu proble¬
matisch, um kommerzielle Experimente dieses Umfangs zu erlauben.
Was Oestreich gewiß thun wird, ja besser gesagt, thun muß, be¬
schränkt sich so ziemlich auf einen, vielleicht sehr günstigen Handels¬
vertrag mit dem deutschen Zollverein, welcher dem Kaiserstaat ander¬
weitig nicht die Hände bindet; ein gänzlicher Anschluß erscheint der
östreichischen Staatskunst aus mehr denn einer Ursache sehr bedenk¬
lich, denn die Industrie der deutschen Vereinslande ist jener der
Monarchie in den meisten Stücken weit überlegen und namentlich
dürste der Waarenzug aus dem industriellen Preußen den östreichi¬
schen Gewerbfleiß gar hart beeinträchtigen, und die Geldquellen
des Landes aussaugen. Preußen würde durch einen Anschluß des
Kaiserstaates seine Blüthe vermehren und mit ihm seinen allerdings
ganz gerechten Einfluß in Deutschland, dem doch dieser Schritt haupt¬
sächlich entgegenarbeiten sollte. Die österreichische Regierung würde
durch einen solchen Schritt sicherlich einen großen Vortheil wieder
gewinnen. Aber der Wohlstand der Provinzen?


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[0529] Briefe aus Wien. Zweiter Brief. Die Illusionen über den Anschluss an den Zollverein. Handels- und Postvcrlräge. Fanny Eloler und die Enthusiasten. Das Mozartsche in Salzburg. Die Salzvui'gar Aufnahme der Fremden. Zeremiaden. Ich komme auf die Eisenbahnen, die der Staat baut, zurück und auf den Einfluß, den sie auf die Handelsverhältnisse zum Aus¬ land in nicht gar langer Zeitfrist ausüben müssen. Hier bietet sich ein Feld dar, auf dem sich die deutsche Journalistik seit Kurzem mit patriotischer Ertase getummelt und aus dem Dasein eines Baumes schon auf das Dasein eines Volkes geschlossen hat. Läßt sich auch nicht in Abrede stellen, daß die im Bau begriffenen Eisenbahnen, welche durchweg bis an die Grenzen oder bis ans Meer gebaut werden, nur bei einem erleichterten Verkehr mit der Fremde möglicherweise einen leidlichen Ertrag — Gewinn wäre zu kühn gesagt — abwerfen können, so vermag doch nur die Phantasie der Zeitungsschreiber oder der germanische Enthusiasmus in Deutsch¬ land daraus einen gänzlichen Anschluß Oestreichs an den Zollver¬ ein herzuleiten, denn die Monopolschwierigkeiten sind einmal zu groß und würden eine durchgreifende Umgestaltung der gesammten Steuer- Verfassung erfordern, auch ist die Finanzlage der Monarchie zu proble¬ matisch, um kommerzielle Experimente dieses Umfangs zu erlauben. Was Oestreich gewiß thun wird, ja besser gesagt, thun muß, be¬ schränkt sich so ziemlich auf einen, vielleicht sehr günstigen Handels¬ vertrag mit dem deutschen Zollverein, welcher dem Kaiserstaat ander¬ weitig nicht die Hände bindet; ein gänzlicher Anschluß erscheint der östreichischen Staatskunst aus mehr denn einer Ursache sehr bedenk¬ lich, denn die Industrie der deutschen Vereinslande ist jener der Monarchie in den meisten Stücken weit überlegen und namentlich dürste der Waarenzug aus dem industriellen Preußen den östreichi¬ schen Gewerbfleiß gar hart beeinträchtigen, und die Geldquellen des Landes aussaugen. Preußen würde durch einen Anschluß des Kaiserstaates seine Blüthe vermehren und mit ihm seinen allerdings ganz gerechten Einfluß in Deutschland, dem doch dieser Schritt haupt¬ sächlich entgegenarbeiten sollte. Die österreichische Regierung würde durch einen solchen Schritt sicherlich einen großen Vortheil wieder gewinnen. Aber der Wohlstand der Provinzen? 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/529>, abgerufen am 26.06.2024.