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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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nöthigt sah, ihn zum Rücktritt zu bewegen. Zum Ersatz ward ihm dafür die
Stelle als General-Inspector des Gesanges in Frankreich und als Intendant
der Musik des Königs, eine reine Sinccurc, die ihn zu Nichts weiter ver¬
pflichtete, als jährlich 20,000 Fras. einzucassiren. Durch die Julirevolution
verlor er diese Stellung; seinem Contracte zufolge machte er Anspruch aus
eine Pension und gewann den Proceß, den er deshalb mit der Commission
führen mußte, welche die Schulden der Civilliste zu liquidiren hatte. Wäh¬
rend der Dauer dieses Processes hatte er sich in eine Dachkammer oberhalb
des Bodens der Italienischen Oper zurückgezogen und behauptete, er sei ruinirt
und müsse sich auf's Sparen legen, obgleich es weltbekannt war, daß er ein
reicher Mann sei. Dort warteten oft die vornehmsten Personen, die sich eine
schmutzige lciterähnliche Treppe zu ihm hcraufgctappt hatte", im Vorzimmer,
bis es ihm gefällig war, sie vorzulassen. Nachdem er 1829 in einem Alter
von 37 Jahren "Wilhelm Tell" geschrieben, warf er die Feder weg, mit dem
Vorsatze, sie nie wieder zu ergreifen; er hielt seine Laufbahn für geschlossen.
Seitdem lebt er in Italien, ohne eigentliche Beschäftigung, abwechselnd in
Mailand und Bologna, in welcher letzteren Stadt er, (wie letzthin unser Brief
aus Mailand berichtete,) sich mit der Leitung des Eonservatoriunis beschäftigt.
Er ist dabei jedoch mißvergnügt mit der Welt und unzufrieden mit sich selbst
und von Langeweile stets geplagt. Seinem Entschlüsse, Nichts mehr zu schreiben,
oder eigentlich nur Nichts mehr zu veröffentlichen, ist er bekanntlich in neue¬
ster Zeit durch sein vielbesprochenes Stabat Mater untreu geworden. Die
Anzahl seiner Oper" beläuft sich übrigens auf acht und vierzig^




Saphir und G u ez k o w.

Saphir reißt den Richard Savage, der bekanntlich am Hoftheater zur
Aufführung kam, in Stücke. Wir hätten gewünscht, daß er seinem Groll gegen
Gutzkow bei einer andern Gelegenheit Lust gemacht hätte. Kein Mensch wird
seinem Geiste es absprechen, daß wenn er dreinschlagen will, er auf die Gele¬
genheit nicht zu warten braucht. Die Zulassung! solcher Stücke wie Richard
Savage, überhaupt die Zulassung so verpönter Namen, wie die Mitglieder
des sogenannten jungen Deutschlands, an dem Hoftheater, ist ein politisches
Ereigniß und darauf hätte Saphir Rücksicht nehmen sollen. Jede Censurcr-
leichterung in Oesterreich ist eine Sache der Gesammtliteratur. Warum soll
man die Direktion, die Ecnsurbchörde in dem Augenblick, wo sie den ersten
Schritt zu einem freien Zugeständnis) macht, durch einen so schweren kritischen


nöthigt sah, ihn zum Rücktritt zu bewegen. Zum Ersatz ward ihm dafür die
Stelle als General-Inspector des Gesanges in Frankreich und als Intendant
der Musik des Königs, eine reine Sinccurc, die ihn zu Nichts weiter ver¬
pflichtete, als jährlich 20,000 Fras. einzucassiren. Durch die Julirevolution
verlor er diese Stellung; seinem Contracte zufolge machte er Anspruch aus
eine Pension und gewann den Proceß, den er deshalb mit der Commission
führen mußte, welche die Schulden der Civilliste zu liquidiren hatte. Wäh¬
rend der Dauer dieses Processes hatte er sich in eine Dachkammer oberhalb
des Bodens der Italienischen Oper zurückgezogen und behauptete, er sei ruinirt
und müsse sich auf's Sparen legen, obgleich es weltbekannt war, daß er ein
reicher Mann sei. Dort warteten oft die vornehmsten Personen, die sich eine
schmutzige lciterähnliche Treppe zu ihm hcraufgctappt hatte», im Vorzimmer,
bis es ihm gefällig war, sie vorzulassen. Nachdem er 1829 in einem Alter
von 37 Jahren „Wilhelm Tell" geschrieben, warf er die Feder weg, mit dem
Vorsatze, sie nie wieder zu ergreifen; er hielt seine Laufbahn für geschlossen.
Seitdem lebt er in Italien, ohne eigentliche Beschäftigung, abwechselnd in
Mailand und Bologna, in welcher letzteren Stadt er, (wie letzthin unser Brief
aus Mailand berichtete,) sich mit der Leitung des Eonservatoriunis beschäftigt.
Er ist dabei jedoch mißvergnügt mit der Welt und unzufrieden mit sich selbst
und von Langeweile stets geplagt. Seinem Entschlüsse, Nichts mehr zu schreiben,
oder eigentlich nur Nichts mehr zu veröffentlichen, ist er bekanntlich in neue¬
ster Zeit durch sein vielbesprochenes Stabat Mater untreu geworden. Die
Anzahl seiner Oper» beläuft sich übrigens auf acht und vierzig^




Saphir und G u ez k o w.

Saphir reißt den Richard Savage, der bekanntlich am Hoftheater zur
Aufführung kam, in Stücke. Wir hätten gewünscht, daß er seinem Groll gegen
Gutzkow bei einer andern Gelegenheit Lust gemacht hätte. Kein Mensch wird
seinem Geiste es absprechen, daß wenn er dreinschlagen will, er auf die Gele¬
genheit nicht zu warten braucht. Die Zulassung! solcher Stücke wie Richard
Savage, überhaupt die Zulassung so verpönter Namen, wie die Mitglieder
des sogenannten jungen Deutschlands, an dem Hoftheater, ist ein politisches
Ereigniß und darauf hätte Saphir Rücksicht nehmen sollen. Jede Censurcr-
leichterung in Oesterreich ist eine Sache der Gesammtliteratur. Warum soll
man die Direktion, die Ecnsurbchörde in dem Augenblick, wo sie den ersten
Schritt zu einem freien Zugeständnis) macht, durch einen so schweren kritischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/495>, abgerufen am 26.06.2024.