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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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fall zuklatschen. Sonderbare Verhältnisse in Berlin! Auf der einen Seite
soll eine Gerichtsbehörde darüber urtheilen, was in Hoffmann von Fallersleben's
Gedichten in die Reihe der Poesie gehört und was nicht; auf der andern
Seite creirt die politische Behörde Mitglieder von Kunstakademien! Man
hat in neuester Zeit viel von der Redactionsveränderung des Cotta'schen Litera¬
tur- und Kunstblattes gesprochen. Herr von Cotta hätte nur die beiden In¬
stitute nach Berlin verlegen dürft": die Behörden hätten sie vielleicht gratis
redigirt.




Wie man die Kinder erzieht.

Wir wollen ein wenig von der Erziehung der Kinder sprechen -- sagt
Alphons Karr. Man schließt etwa sechzig Knaben in einem Zimmer ein; man
hält sie ab, Ball und Reifen zu spielen, was ihrem Alter angemessene Spiele
sind, damit sie sich eine classische Bildung erwerben, etwas, was dem reisen
Mannesalter zur Erholung dient.

So läßt man sie acht Jahre in Langeweile, Verdruß, Thränen und Ent¬
behrungen hinbringen, -- damit sie eine Sprache lernen, die kein Mensch auf
Gottes weiter Erde spricht. Der Zweck dieser Erziehung und das Resultat
dieser acht traurigen Arbeitsjahre ist, -- daß man in einem Alter von zwanzig
Jahren eine geringere Geschicklichkeit in dieser Sprache besitzt, als ein jun¬
ger Römerknabe von sechs Jahren. Man hat es sonderbar gefunden, daß Cato
im vorgerückteren Lebensalter sich einfallen ließ. Griechisch zu lernen. -- Ich
halte es für viel sonderbarer, daß man die arme Jugend zwingt, Lateinisch zu
lernen. -- Cato lernte Griechisch, weil er Lust hatte, es zu kennen, -- und
übrigens gab es damals noch Griechen. Die Erziehung beruht gänzlich in der
Sprache; -- man wird den Knaben belohnen, der die Ausschweifung in einem
schönen Style schildern wird; derjenige dagegen, der in barbarischer Schreib¬
art die edelsten und reinsten Gesinnungen ausdrücken würde, erhielte sicherlich
eine Strafarbeit oder Arrest.

Man läßt die Jugend nichts als Schilderungen republikanischer Sitten und
Tugenden übersetzen; -- man spricht ihnen acht Jahre lang nur von der Re¬
publik; man lehrt sie Brutus bewundern. Andrerseits -- lehrt man sie nur
schöne Prosa und Verse schreiben- Nachher sterben die Dichter vor Hunger
in einer Dachkammer, und diejenigen, die allzurepublikanisch sind, sterben --
auf der Gasse, oder im Kerker. Daher besteht auch das ganze Wesen dieser
Knaben, wenn sie Männer geworden sind, nur in Worten.




fall zuklatschen. Sonderbare Verhältnisse in Berlin! Auf der einen Seite
soll eine Gerichtsbehörde darüber urtheilen, was in Hoffmann von Fallersleben's
Gedichten in die Reihe der Poesie gehört und was nicht; auf der andern
Seite creirt die politische Behörde Mitglieder von Kunstakademien! Man
hat in neuester Zeit viel von der Redactionsveränderung des Cotta'schen Litera¬
tur- und Kunstblattes gesprochen. Herr von Cotta hätte nur die beiden In¬
stitute nach Berlin verlegen dürft«: die Behörden hätten sie vielleicht gratis
redigirt.




Wie man die Kinder erzieht.

Wir wollen ein wenig von der Erziehung der Kinder sprechen — sagt
Alphons Karr. Man schließt etwa sechzig Knaben in einem Zimmer ein; man
hält sie ab, Ball und Reifen zu spielen, was ihrem Alter angemessene Spiele
sind, damit sie sich eine classische Bildung erwerben, etwas, was dem reisen
Mannesalter zur Erholung dient.

So läßt man sie acht Jahre in Langeweile, Verdruß, Thränen und Ent¬
behrungen hinbringen, — damit sie eine Sprache lernen, die kein Mensch auf
Gottes weiter Erde spricht. Der Zweck dieser Erziehung und das Resultat
dieser acht traurigen Arbeitsjahre ist, — daß man in einem Alter von zwanzig
Jahren eine geringere Geschicklichkeit in dieser Sprache besitzt, als ein jun¬
ger Römerknabe von sechs Jahren. Man hat es sonderbar gefunden, daß Cato
im vorgerückteren Lebensalter sich einfallen ließ. Griechisch zu lernen. — Ich
halte es für viel sonderbarer, daß man die arme Jugend zwingt, Lateinisch zu
lernen. — Cato lernte Griechisch, weil er Lust hatte, es zu kennen, — und
übrigens gab es damals noch Griechen. Die Erziehung beruht gänzlich in der
Sprache; — man wird den Knaben belohnen, der die Ausschweifung in einem
schönen Style schildern wird; derjenige dagegen, der in barbarischer Schreib¬
art die edelsten und reinsten Gesinnungen ausdrücken würde, erhielte sicherlich
eine Strafarbeit oder Arrest.

Man läßt die Jugend nichts als Schilderungen republikanischer Sitten und
Tugenden übersetzen; — man spricht ihnen acht Jahre lang nur von der Re¬
publik; man lehrt sie Brutus bewundern. Andrerseits — lehrt man sie nur
schöne Prosa und Verse schreiben- Nachher sterben die Dichter vor Hunger
in einer Dachkammer, und diejenigen, die allzurepublikanisch sind, sterben —
auf der Gasse, oder im Kerker. Daher besteht auch das ganze Wesen dieser
Knaben, wenn sie Männer geworden sind, nur in Worten.




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[0256] fall zuklatschen. Sonderbare Verhältnisse in Berlin! Auf der einen Seite soll eine Gerichtsbehörde darüber urtheilen, was in Hoffmann von Fallersleben's Gedichten in die Reihe der Poesie gehört und was nicht; auf der andern Seite creirt die politische Behörde Mitglieder von Kunstakademien! Man hat in neuester Zeit viel von der Redactionsveränderung des Cotta'schen Litera¬ tur- und Kunstblattes gesprochen. Herr von Cotta hätte nur die beiden In¬ stitute nach Berlin verlegen dürft«: die Behörden hätten sie vielleicht gratis redigirt. Wie man die Kinder erzieht. Wir wollen ein wenig von der Erziehung der Kinder sprechen — sagt Alphons Karr. Man schließt etwa sechzig Knaben in einem Zimmer ein; man hält sie ab, Ball und Reifen zu spielen, was ihrem Alter angemessene Spiele sind, damit sie sich eine classische Bildung erwerben, etwas, was dem reisen Mannesalter zur Erholung dient. So läßt man sie acht Jahre in Langeweile, Verdruß, Thränen und Ent¬ behrungen hinbringen, — damit sie eine Sprache lernen, die kein Mensch auf Gottes weiter Erde spricht. Der Zweck dieser Erziehung und das Resultat dieser acht traurigen Arbeitsjahre ist, — daß man in einem Alter von zwanzig Jahren eine geringere Geschicklichkeit in dieser Sprache besitzt, als ein jun¬ ger Römerknabe von sechs Jahren. Man hat es sonderbar gefunden, daß Cato im vorgerückteren Lebensalter sich einfallen ließ. Griechisch zu lernen. — Ich halte es für viel sonderbarer, daß man die arme Jugend zwingt, Lateinisch zu lernen. — Cato lernte Griechisch, weil er Lust hatte, es zu kennen, — und übrigens gab es damals noch Griechen. Die Erziehung beruht gänzlich in der Sprache; — man wird den Knaben belohnen, der die Ausschweifung in einem schönen Style schildern wird; derjenige dagegen, der in barbarischer Schreib¬ art die edelsten und reinsten Gesinnungen ausdrücken würde, erhielte sicherlich eine Strafarbeit oder Arrest. Man läßt die Jugend nichts als Schilderungen republikanischer Sitten und Tugenden übersetzen; — man spricht ihnen acht Jahre lang nur von der Re¬ publik; man lehrt sie Brutus bewundern. Andrerseits — lehrt man sie nur schöne Prosa und Verse schreiben- Nachher sterben die Dichter vor Hunger in einer Dachkammer, und diejenigen, die allzurepublikanisch sind, sterben — auf der Gasse, oder im Kerker. Daher besteht auch das ganze Wesen dieser Knaben, wenn sie Männer geworden sind, nur in Worten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/256>, abgerufen am 26.06.2024.