Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬ lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen. Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga- nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬ nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬ mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National- eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬ land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee Napoleons.
Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz
*) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.
Reisebriefe von A. Weill.
4.
Paris.
Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬ lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen. Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga- nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬ nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬ mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National- eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬ land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee Napoleons.
Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz
*) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.
<TEI><text><body><pbcorresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179611"facs="#f0228"n="220"/><divn="1"><head>Reisebriefe<lb/><bibl>von<lb/>
A. <hirendition="#g">Weill</hi>.</bibl></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head>4.</head><lb/><datelinerendition="#right #g">Paris.</dateline><lb/><p>Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder<lb/>
auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬<lb/>
lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen<lb/>
gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen.<lb/>
Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des<lb/>
Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es<lb/>
aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga-<lb/>
nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit<lb/>
Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die<lb/>
Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬<lb/>
nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬<lb/>
mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat<lb/>
Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National-<lb/>
eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der<lb/>
Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit<lb/>
Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬<lb/>
land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee<lb/>
Napoleons.</p><lb/><p>Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück<lb/>
für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein<lb/>
einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher<lb/>
zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz</p><lb/><noteplace="foot">*) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.</note><lb/></div></div></body></text></TEI>
[220/0228]
Reisebriefe
von
A. Weill.
4.
Paris.
Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder
auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬
lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen
gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen.
Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des
Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es
aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga-
nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit
Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die
Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬
nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬
mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat
Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National-
eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der
Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit
Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬
land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee
Napoleons.
Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück
für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein
einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher
zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz
*) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-11-19T17:23:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1).
(2013-11-19T17:23:38Z)
Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/228>, abgerufen am 08.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.