Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
Reisebriefe
von
A. Weill.


4.

Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder
auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬
lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen
gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen.
Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des
Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es
aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga-
nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit
Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die
Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬
nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬
mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat
Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National-
eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der
Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit
Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬
land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee
Napoleons.

Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück
für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein
einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher
zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz


*) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.
Reisebriefe
von
A. Weill.


4.

Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder
auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬
lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen
gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen.
Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des
Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es
aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga-
nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit
Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die
Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬
nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬
mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat
Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National-
eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der
Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit
Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬
land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee
Napoleons.

Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück
für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein
einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher
zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz


*) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179611" facs="#f0228" n="220"/>
      <div n="1">
        <head>Reisebriefe<lb/><bibl>von<lb/>
A. <hi rendition="#g">Weill</hi>.</bibl></head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head>4.</head><lb/>
          <dateline rendition="#right #g">Paris.</dateline><lb/>
          <p>Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder<lb/>
auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬<lb/>
lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen<lb/>
gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen.<lb/>
Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des<lb/>
Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es<lb/>
aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga-<lb/>
nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit<lb/>
Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die<lb/>
Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬<lb/>
nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬<lb/>
mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat<lb/>
Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National-<lb/>
eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der<lb/>
Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit<lb/>
Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬<lb/>
land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee<lb/>
Napoleons.</p><lb/>
          <p>Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück<lb/>
für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein<lb/>
einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher<lb/>
zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz</p><lb/>
          <note place="foot">*) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0228] Reisebriefe von A. Weill. 4. Paris. Doch, lassen Sie mich ernst und aus vollem Herzen sprechen. Ja, sie ist wieder auferstanden, die neue Hoffnung der zukünftigen Sonne Deutschlands, trotz aller Klein¬ lichkeiten, trotz aller Ironie. Ich dachte es lange, daß die Rollen beider Nationen gewechselt sind. Deutschland war lange genug an das Kreuz der Völker geschlagen. Schon seit Jahrhunderten ist es der Jesus der Menschheit; es erfand die Freiheit des Gedankens, andere kosteten ihn; es erfand die Freiheit des Worts, andere sprachen es aus; es erfand das Pulver, andere schossen damit. Es ist Zeit, daß es sich neu orga- nisirt, sich fest zusammenschließt, um die leeren Spalten auszufüllen, und sei's auch mit Werg oder schlechtem Mörtel. Der neue Kitt ist die Industrie, die Eisenbahnen, die Landwehr, der Zollverein. Ehe man die Welt umarmt, muß man erst sich selbst ken¬ nen und seine Kraft messen. Doch das Nationalitätsprinzip allein, beruht auf Egois¬ mus, der Franzosenhaß, auf Unkenntniß der Sendung dieses Volkes. Frankreich hat Deutschland wohl gethan. Bei der Vorsehung der Geschichte gibt es keine National- eitelkeiten. Frankreich hat Deutschland aus seinem Schlaf geweckt; es packte es an der Brust, bis es sich in Bewegung setzte, um etwas für sich zu thun, es mußte es mit Schwerthieben zwingen, sein eigenes Feld zu bearbeiten, und deßwegen sollte Deutsch¬ land Frankreich nur dankbar sein. Ja, der Zollverein selbst, ist eine Continentalidee Napoleons. Ich habe Deutschland, wie gesagt, ganz baumwollen gefunden, aber das ist ein Glück für dasselbe, wenigstens für den Moment. Hat es der Zollverein ganz vereinigt, kömmt ein einziges Münzsystem für ganz Deutschland, bringen es die Eisenbahnen immer näher zusammen, und mit ihnen, die intellektuellen Kräfte, schmilzt ein Landwehrsystem ganz *) Siehe Grenzboten No. 2. 4, 5.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/228>, abgerufen am 21.11.2024.