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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Flamändische Literatur-Uebersichten.


Antigonus oder die Volksklagen.
Ein satyrisches Gedicht von Th. van Ryswyck.
*)


Die Chroniken der Stadt Antwerpen sind reich an Geschichten und
Sagen über den Ursprung der alten herrlichen Stadt. Die bekannteste der¬
selben ist folgende:

Lange vor der christlichen Zeitrechnung bemächtigte sich ein Recke, An¬
tigonus , einer seit der grauen Vorzeit an der Schelde liegenden Burg. Nur
wenige, von armen Schiffern bewohnte Hütten standen an Antwerpens Stelle
an dem Flusse, der sich damals, noch von keinen Dämmen zurückgedrängt,
in ungeheurer Breite ausdehnte. Antigonus aber, der Mächtige, beherrschte
diese ganze Wasserfläche, und jedes Schiff, das an seinen Mauern vorbei
fuhr, mußte einen ungeheuern Zoll, wie einige versichern, die Hälfte der

*) Unserem Programm gemäß geben wir hiermit eine Reihe von Literaturübersichten,
die dem deutschen Leser einen Blick in die Bewegung der jetzigen niederdeutschen
Schriftsteller eröffnen sollen. Wenn wir mit dem Antigonus von Ryswyck be¬
ginnen, so müssen wir hinzufügen, daß wir diese Dichtung nicht etwa für eine
der vorzüglichern der jungen Schule halten. Vielmehr gilt dieses Poem als eins
der schwächern und flüchtigern Erzeugnisse; so wie überhaupt die Satyre nicht das
eigentliche Feld ist, für welche der breite und gewichtige flamändische Ausdruck sich
eignet. Aber die nationale Gesinnung, von welcher dieses Gedicht gefärbt ist, der
Grimm gegen die "wälsche" Sprachbedrückung, die Opposition gegen das franzö¬
sische Prinzip, sind so hervorstechend, daß wir kaum einen bessern Spiegel für die
flamändische Volksgesinnung aufstellen können. Wir werden später Gelegenheit ge¬
nug finden, den ästhetischen Werth der flamändischen Poesien zu beurtheilen. Die
vorliegende nehme man nur als ein Abbild ihrer nationalen Richtung.
Anmerk. d. Red.
Flamändische Literatur-Uebersichten.


Antigonus oder die Volksklagen.
Ein satyrisches Gedicht von Th. van Ryswyck.
*)


Die Chroniken der Stadt Antwerpen sind reich an Geschichten und
Sagen über den Ursprung der alten herrlichen Stadt. Die bekannteste der¬
selben ist folgende:

Lange vor der christlichen Zeitrechnung bemächtigte sich ein Recke, An¬
tigonus , einer seit der grauen Vorzeit an der Schelde liegenden Burg. Nur
wenige, von armen Schiffern bewohnte Hütten standen an Antwerpens Stelle
an dem Flusse, der sich damals, noch von keinen Dämmen zurückgedrängt,
in ungeheurer Breite ausdehnte. Antigonus aber, der Mächtige, beherrschte
diese ganze Wasserfläche, und jedes Schiff, das an seinen Mauern vorbei
fuhr, mußte einen ungeheuern Zoll, wie einige versichern, die Hälfte der

*) Unserem Programm gemäß geben wir hiermit eine Reihe von Literaturübersichten,
die dem deutschen Leser einen Blick in die Bewegung der jetzigen niederdeutschen
Schriftsteller eröffnen sollen. Wenn wir mit dem Antigonus von Ryswyck be¬
ginnen, so müssen wir hinzufügen, daß wir diese Dichtung nicht etwa für eine
der vorzüglichern der jungen Schule halten. Vielmehr gilt dieses Poem als eins
der schwächern und flüchtigern Erzeugnisse; so wie überhaupt die Satyre nicht das
eigentliche Feld ist, für welche der breite und gewichtige flamändische Ausdruck sich
eignet. Aber die nationale Gesinnung, von welcher dieses Gedicht gefärbt ist, der
Grimm gegen die „wälsche“ Sprachbedrückung, die Opposition gegen das franzö¬
sische Prinzip, sind so hervorstechend, daß wir kaum einen bessern Spiegel für die
flamändische Volksgesinnung aufstellen können. Wir werden später Gelegenheit ge¬
nug finden, den ästhetischen Werth der flamändischen Poesien zu beurtheilen. Die
vorliegende nehme man nur als ein Abbild ihrer nationalen Richtung.
Anmerk. d. Red.
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[209/0217] Flamändische Literatur-Uebersichten. Antigonus oder die Volksklagen. Ein satyrisches Gedicht von Th. van Ryswyck. *) Die Chroniken der Stadt Antwerpen sind reich an Geschichten und Sagen über den Ursprung der alten herrlichen Stadt. Die bekannteste der¬ selben ist folgende: Lange vor der christlichen Zeitrechnung bemächtigte sich ein Recke, An¬ tigonus , einer seit der grauen Vorzeit an der Schelde liegenden Burg. Nur wenige, von armen Schiffern bewohnte Hütten standen an Antwerpens Stelle an dem Flusse, der sich damals, noch von keinen Dämmen zurückgedrängt, in ungeheurer Breite ausdehnte. Antigonus aber, der Mächtige, beherrschte diese ganze Wasserfläche, und jedes Schiff, das an seinen Mauern vorbei fuhr, mußte einen ungeheuern Zoll, wie einige versichern, die Hälfte der *) Unserem Programm gemäß geben wir hiermit eine Reihe von Literaturübersichten, die dem deutschen Leser einen Blick in die Bewegung der jetzigen niederdeutschen Schriftsteller eröffnen sollen. Wenn wir mit dem Antigonus von Ryswyck be¬ ginnen, so müssen wir hinzufügen, daß wir diese Dichtung nicht etwa für eine der vorzüglichern der jungen Schule halten. Vielmehr gilt dieses Poem als eins der schwächern und flüchtigern Erzeugnisse; so wie überhaupt die Satyre nicht das eigentliche Feld ist, für welche der breite und gewichtige flamändische Ausdruck sich eignet. Aber die nationale Gesinnung, von welcher dieses Gedicht gefärbt ist, der Grimm gegen die „wälsche“ Sprachbedrückung, die Opposition gegen das franzö¬ sische Prinzip, sind so hervorstechend, daß wir kaum einen bessern Spiegel für die flamändische Volksgesinnung aufstellen können. Wir werden später Gelegenheit ge¬ nug finden, den ästhetischen Werth der flamändischen Poesien zu beurtheilen. Die vorliegende nehme man nur als ein Abbild ihrer nationalen Richtung. Anmerk. d. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/217>, abgerufen am 21.11.2024.