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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Elegien.
Du bist die einzige, so ihn nicht gantz verlassen,
Du wirst auf seinen Schooß die Kindes-Kinder ziehn.
Die wird sein Vater-Arm mit Zärtlichkeit umfassen,
Und kurtz, dein Ehstand labt, ergetzt und tröstet ihn.
Jch selbst erfreue mich bey deinen Hochzeit-Kertzen,
Die dich nicht gantz und gar von unserm Ort getrennt.
Und wünsche dir dabey aus treuem Bruder-Hertzen,
Ein unverändert Glück, das keinen Abfall kennt.
Dein wohlgelungnes Band umschlinge dich mit Freuden,
Dein Ehbett wisse nichts von Kummer oder Weh.
Der Himmel schone dich mit allem Gram und Leiden,
Und gebe, daß dein Glück auf festen Pfeilern steh.
So wünschen zweifelsfrey die Schwestern in der Ferne.
Genug! mein Wunsch ist kurtz, allein sehr wohl gemeynt.
Was säumst du, neues Paar? Es wincken dir die Sterne:
Geh! mache, daß dies Jahr der Liebe Frucht erscheint.
V. Elegie
auf eine Doctor-Hochzeit in Leipzig im Nahmen
eines nahen Verwandten.
DJe Liebe schläfet nie. Die Schaar der alten Dichter
Hat sie nicht ohne Grund den Göttern beygezehlt,
Sie schleußt kein einzigmahl die muntern Augenlichter,
Und Amors Bogenschuß hat nie sein Ziel verfehlt.
Der Himmel weltzt sich stets, wo wir den Sinnen trauen,
Wo nicht, so thut es doch der Erdkreis Tag und Nacht.
Der Mond ist stets bewegt auf seiner Bahn zu schauen,
Und hat den langen Lauf noch nie zum Ende bracht.
So macht es Amor auch, seit dem die Welt gestanden,
Hat sein bemühter Arm den Bogen stets gespannt:
Es war kein Jahr, kein Tag, kein Augenblick vorhanden,
Darinn man seinen Pfeil gantz still und müßig fand.
Der Frühling lacht nicht stets mit angenehmen Blicken,
Der Sommer brennt nicht stets das ausgedorrte Feld,
Der Herbst kan uns nicht stets durch Most und Wein erquicken,
Der Winter drückt nicht stets die halb-erstorbne Welt.
Die Liebe läst nicht nach. Jn allen Jahres-Zeiten
Jst ihrer Zärtlichkeit die Witterung bequem,
Die Lufft sey warm und kalt, die Winde mögen streiten;
Das alles und noch mehr ist ihr gantz angenehm.
Wenn Florens Gras und Laub den Schooß der Erden decket,
Wenn Lerch und Nachtigall mit süsser Kehle singt,
Wenn ein gelinder West die Blumen aufgewecket,
Ein buntes Tulpen-Heer aus seinen Zwiebeln dringt
Denn
Von Elegien.
Du biſt die einzige, ſo ihn nicht gantz verlaſſen,
Du wirſt auf ſeinen Schooß die Kindes-Kinder ziehn.
Die wird ſein Vater-Arm mit Zaͤrtlichkeit umfaſſen,
Und kurtz, dein Ehſtand labt, ergetzt und troͤſtet ihn.
Jch ſelbſt erfreue mich bey deinen Hochzeit-Kertzen,
Die dich nicht gantz und gar von unſerm Ort getrennt.
Und wuͤnſche dir dabey aus treuem Bruder-Hertzen,
Ein unveraͤndert Gluͤck, das keinen Abfall kennt.
Dein wohlgelungnes Band umſchlinge dich mit Freuden,
Dein Ehbett wiſſe nichts von Kummer oder Weh.
Der Himmel ſchone dich mit allem Gram und Leiden,
Und gebe, daß dein Gluͤck auf feſten Pfeilern ſteh.
So wuͤnſchen zweifelsfrey die Schweſtern in der Ferne.
Genug! mein Wunſch iſt kurtz, allein ſehr wohl gemeynt.
Was ſaͤumſt du, neues Paar? Es wincken dir die Sterne:
Geh! mache, daß dies Jahr der Liebe Frucht erſcheint.
V. Elegie
auf eine Doctor-Hochzeit in Leipzig im Nahmen
eines nahen Verwandten.
DJe Liebe ſchlaͤfet nie. Die Schaar der alten Dichter
Hat ſie nicht ohne Grund den Goͤttern beygezehlt,
Sie ſchleußt kein einzigmahl die muntern Augenlichter,
Und Amors Bogenſchuß hat nie ſein Ziel verfehlt.
Der Himmel weltzt ſich ſtets, wo wir den Sinnen trauen,
Wo nicht, ſo thut es doch der Erdkreis Tag und Nacht.
Der Mond iſt ſtets bewegt auf ſeiner Bahn zu ſchauen,
Und hat den langen Lauf noch nie zum Ende bracht.
So macht es Amor auch, ſeit dem die Welt geſtanden,
Hat ſein bemuͤhter Arm den Bogen ſtets geſpannt:
Es war kein Jahr, kein Tag, kein Augenblick vorhanden,
Darinn man ſeinen Pfeil gantz ſtill und muͤßig fand.
Der Fruͤhling lacht nicht ſtets mit angenehmen Blicken,
Der Sommer brennt nicht ſtets das ausgedorrte Feld,
Der Herbſt kan uns nicht ſtets durch Moſt und Wein erquicken,
Der Winter druͤckt nicht ſtets die halb-erſtorbne Welt.
Die Liebe laͤſt nicht nach. Jn allen Jahres-Zeiten
Jſt ihrer Zaͤrtlichkeit die Witterung bequem,
Die Lufft ſey warm und kalt, die Winde moͤgen ſtreiten;
Das alles und noch mehr iſt ihr gantz angenehm.
Wenn Florens Gras und Laub den Schooß der Erden decket,
Wenn Lerch und Nachtigall mit ſuͤſſer Kehle ſingt,
Wenn ein gelinder Weſt die Blumen aufgewecket,
Ein buntes Tulpen-Heer aus ſeinen Zwiebeln dringt
Denn
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[427/0455] Von Elegien. Du biſt die einzige, ſo ihn nicht gantz verlaſſen, Du wirſt auf ſeinen Schooß die Kindes-Kinder ziehn. Die wird ſein Vater-Arm mit Zaͤrtlichkeit umfaſſen, Und kurtz, dein Ehſtand labt, ergetzt und troͤſtet ihn. Jch ſelbſt erfreue mich bey deinen Hochzeit-Kertzen, Die dich nicht gantz und gar von unſerm Ort getrennt. Und wuͤnſche dir dabey aus treuem Bruder-Hertzen, Ein unveraͤndert Gluͤck, das keinen Abfall kennt. Dein wohlgelungnes Band umſchlinge dich mit Freuden, Dein Ehbett wiſſe nichts von Kummer oder Weh. Der Himmel ſchone dich mit allem Gram und Leiden, Und gebe, daß dein Gluͤck auf feſten Pfeilern ſteh. So wuͤnſchen zweifelsfrey die Schweſtern in der Ferne. Genug! mein Wunſch iſt kurtz, allein ſehr wohl gemeynt. Was ſaͤumſt du, neues Paar? Es wincken dir die Sterne: Geh! mache, daß dies Jahr der Liebe Frucht erſcheint. V. Elegie auf eine Doctor-Hochzeit in Leipzig im Nahmen eines nahen Verwandten. DJe Liebe ſchlaͤfet nie. Die Schaar der alten Dichter Hat ſie nicht ohne Grund den Goͤttern beygezehlt, Sie ſchleußt kein einzigmahl die muntern Augenlichter, Und Amors Bogenſchuß hat nie ſein Ziel verfehlt. Der Himmel weltzt ſich ſtets, wo wir den Sinnen trauen, Wo nicht, ſo thut es doch der Erdkreis Tag und Nacht. Der Mond iſt ſtets bewegt auf ſeiner Bahn zu ſchauen, Und hat den langen Lauf noch nie zum Ende bracht. So macht es Amor auch, ſeit dem die Welt geſtanden, Hat ſein bemuͤhter Arm den Bogen ſtets geſpannt: Es war kein Jahr, kein Tag, kein Augenblick vorhanden, Darinn man ſeinen Pfeil gantz ſtill und muͤßig fand. Der Fruͤhling lacht nicht ſtets mit angenehmen Blicken, Der Sommer brennt nicht ſtets das ausgedorrte Feld, Der Herbſt kan uns nicht ſtets durch Moſt und Wein erquicken, Der Winter druͤckt nicht ſtets die halb-erſtorbne Welt. Die Liebe laͤſt nicht nach. Jn allen Jahres-Zeiten Jſt ihrer Zaͤrtlichkeit die Witterung bequem, Die Lufft ſey warm und kalt, die Winde moͤgen ſtreiten; Das alles und noch mehr iſt ihr gantz angenehm. Wenn Florens Gras und Laub den Schooß der Erden decket, Wenn Lerch und Nachtigall mit ſuͤſſer Kehle ſingt, Wenn ein gelinder Weſt die Blumen aufgewecket, Ein buntes Tulpen-Heer aus ſeinen Zwiebeln dringt Denn

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/455>, abgerufen am 21.11.2024.