Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Des II Theils IV Capitel mit unterläuft, brauchen. Lobgedichte aber und Satyrenoder andere ernsthafte Briefe darinn zu schreiben, ist unge- reimt: obgleich zuweilen grosse Leute solches gethan. Jch setze wiederum des Boileau seine Regeln von dieser Materie hie- her, undfüge endlich einige Proben von meiner Arbeit hinzu. D' un ton un peu plus haut, mais pourtant sans audace, I. Elegie im Nahmen eines Clienten an seinen Gönner auf das Absterben seiner Gemahlin. BEkümmerter Patron, Die ungemeinen Schmertzen, So dein bestürmter Geist vor kurtzer Zeit gespürt, Erwecken überall das Beyleid zarter Hertzen, Was Wunder ist es denn, daß sie auch mich gerührt? Jch, dein entfernter Knecht, empfieng voll Angst und Schrecken, Ein unvermuthetes und trübes Trauer-Blatt, Dadurch man mir gesucht den Jammer zu entdecken, Der dein beraubtes Haus so schnell betroffen hat. Jsts möglich, war mein Wort: was ich allhier gelesen? Trifft meines Gönners Haupt denn alle Noth zugleich? Jst er denn gantz allein des Unglücks Ziel gewesen? Und warum fühlt nur er des Todes rauhen Streich? Zwey
Des II Theils IV Capitel mit unterlaͤuft, brauchen. Lobgedichte aber und Satyrenoder andere ernſthafte Briefe darinn zu ſchreiben, iſt unge- reimt: obgleich zuweilen groſſe Leute ſolches gethan. Jch ſetze wiederum des Boileau ſeine Regeln von dieſer Materie hie- her, undfuͤge endlich einige Proben von meiner Arbeit hinzu. D’ un ton un peu plus haut, mais pourtant ſans audace, I. Elegie im Nahmen eines Clienten an ſeinen Goͤnner auf das Abſterben ſeiner Gemahlin. BEkuͤmmerter Patron, Die ungemeinen Schmertzen, So dein beſtuͤrmter Geiſt vor kurtzer Zeit geſpuͤrt, Erwecken uͤberall das Beyleid zarter Hertzen, Was Wunder iſt es denn, daß ſie auch mich geruͤhrt? Jch, dein entfernter Knecht, empfieng voll Angſt und Schrecken, Ein unvermuthetes und truͤbes Trauer-Blatt, Dadurch man mir geſucht den Jammer zu entdecken, Der dein beraubtes Haus ſo ſchnell betroffen hat. Jſts moͤglich, war mein Wort: was ich allhier geleſen? Trifft meines Goͤnners Haupt denn alle Noth zugleich? Jſt er denn gantz allein des Ungluͤcks Ziel geweſen? Und warum fuͤhlt nur er des Todes rauhen Streich? Zwey
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0446" n="418"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">IV</hi> Capitel</hi></fw><lb/> mit unterlaͤuft, brauchen. Lobgedichte aber und Satyren<lb/> oder andere ernſthafte Briefe darinn zu ſchreiben, iſt unge-<lb/> reimt: obgleich zuweilen groſſe Leute ſolches gethan. Jch ſetze<lb/> wiederum des Boileau ſeine Regeln von dieſer Materie hie-<lb/> her, undfuͤge endlich einige Proben von meiner Arbeit hinzu.</p><lb/> <cit> <quote> <hi rendition="#aq">D’ un ton un peu plus haut, mais pourtant ſans audace,<lb/> La plaintive Elégie, en longs habits de deuil,<lb/> Sait les cheveux épars gémir ſous un cercueil.<lb/> Elle peint des Amans la joie & la triſteſſe;<lb/> Flatte, menace, irrite, appaiſe une Maîtreſſe.<lb/> Mais pour bien exprimer ces caprices heureux,<lb/> C’ eſt peu d’ être Poëte, il faut être amoureux.<lb/> Je hais ces vains Auteurs, dont la Muſe forcée<lb/> M’ entretient de ſes feux, toûjours froide & glacée;<lb/> Qui s’ affligent par art, & fous de ſens raſſis,<lb/> S’ érigent, pour rimer, en Amoureux tranſis.<lb/> Leurs tranſports les plus doux ne ſont que phrâſes vaines.<lb/> Ils ne ſavent jamais, que ſe charger de chaînes;<lb/> Que bénir leur martyre, adorer leur priſon,<lb/> Et faire quereller les Sens & la Raiſon.<lb/> Ce n’ étoit pas jadis ſur ce ton ridicule,<lb/> Qu’ Amour dictoit les Vers que ſoûpiroit Tibulle;<lb/> Ou que du tendre Ovide animant les doux ſons,<lb/> Il donnoit de ſon Art les charmantes leçons,<lb/> Il faut que le cœur ſeul parle dans l’ Elégie.</hi> </quote> </cit><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#aq">I.</hi> <hi rendition="#b">Elegie<lb/> im Nahmen eines Clienten an ſeinen Goͤnner auf das<lb/> Abſterben ſeiner Gemahlin.</hi> </head><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">B</hi>Ekuͤmmerter Patron,</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Die ungemeinen Schmertzen,</hi> </l><lb/> <l>So dein beſtuͤrmter Geiſt vor kurtzer Zeit geſpuͤrt,</l><lb/> <l>Erwecken uͤberall das Beyleid zarter Hertzen,</l><lb/> <l>Was Wunder iſt es denn, daß ſie auch mich geruͤhrt?</l><lb/> <l>Jch, dein entfernter Knecht, empfieng voll Angſt und Schrecken,</l><lb/> <l>Ein unvermuthetes und truͤbes Trauer-Blatt,</l><lb/> <l>Dadurch man mir geſucht den Jammer zu entdecken,</l><lb/> <l>Der dein beraubtes Haus ſo ſchnell betroffen hat.</l><lb/> <l>Jſts moͤglich, war mein Wort: was ich allhier geleſen?</l><lb/> <l>Trifft meines Goͤnners Haupt denn alle Noth zugleich?</l><lb/> <l>Jſt er denn gantz allein des Ungluͤcks Ziel geweſen?</l><lb/> <l>Und warum fuͤhlt nur er des Todes rauhen Streich?</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Zwey</fw><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [418/0446]
Des II Theils IV Capitel
mit unterlaͤuft, brauchen. Lobgedichte aber und Satyren
oder andere ernſthafte Briefe darinn zu ſchreiben, iſt unge-
reimt: obgleich zuweilen groſſe Leute ſolches gethan. Jch ſetze
wiederum des Boileau ſeine Regeln von dieſer Materie hie-
her, undfuͤge endlich einige Proben von meiner Arbeit hinzu.
D’ un ton un peu plus haut, mais pourtant ſans audace,
La plaintive Elégie, en longs habits de deuil,
Sait les cheveux épars gémir ſous un cercueil.
Elle peint des Amans la joie & la triſteſſe;
Flatte, menace, irrite, appaiſe une Maîtreſſe.
Mais pour bien exprimer ces caprices heureux,
C’ eſt peu d’ être Poëte, il faut être amoureux.
Je hais ces vains Auteurs, dont la Muſe forcée
M’ entretient de ſes feux, toûjours froide & glacée;
Qui s’ affligent par art, & fous de ſens raſſis,
S’ érigent, pour rimer, en Amoureux tranſis.
Leurs tranſports les plus doux ne ſont que phrâſes vaines.
Ils ne ſavent jamais, que ſe charger de chaînes;
Que bénir leur martyre, adorer leur priſon,
Et faire quereller les Sens & la Raiſon.
Ce n’ étoit pas jadis ſur ce ton ridicule,
Qu’ Amour dictoit les Vers que ſoûpiroit Tibulle;
Ou que du tendre Ovide animant les doux ſons,
Il donnoit de ſon Art les charmantes leçons,
Il faut que le cœur ſeul parle dans l’ Elégie.
I. Elegie
im Nahmen eines Clienten an ſeinen Goͤnner auf das
Abſterben ſeiner Gemahlin.
BEkuͤmmerter Patron,
Die ungemeinen Schmertzen,
So dein beſtuͤrmter Geiſt vor kurtzer Zeit geſpuͤrt,
Erwecken uͤberall das Beyleid zarter Hertzen,
Was Wunder iſt es denn, daß ſie auch mich geruͤhrt?
Jch, dein entfernter Knecht, empfieng voll Angſt und Schrecken,
Ein unvermuthetes und truͤbes Trauer-Blatt,
Dadurch man mir geſucht den Jammer zu entdecken,
Der dein beraubtes Haus ſo ſchnell betroffen hat.
Jſts moͤglich, war mein Wort: was ich allhier geleſen?
Trifft meines Goͤnners Haupt denn alle Noth zugleich?
Jſt er denn gantz allein des Ungluͤcks Ziel geweſen?
Und warum fuͤhlt nur er des Todes rauhen Streich?
Zwey
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |