Glück, Glück, Glück! du trautes Paar, Dir, dir, dir, gilt unser Singen etc.
Eben so machen sie es, wenn sie andre Gattungen der Thöne auszudrücken suchen. Da sieht man keine unerhörte, neuge- backene Menge nichtsheißender Sylben: sondern zwar aus- gesuchte und der Natur gemäße, aber ungezwungene und sparsam angebrachte Wörter. Ein vollkommenes Exempel giebt mir wiederum Flemming in der angeführten Stelle.
Daß die Elster heller rauschet, Daß mit Buhlerinnen tauschet, Manch verliebtes Wasservolck, Daß die Büsche sänfter brausen, Daß die Lüffte linder sausen, Und uns trübet keine Wolck etc.
Hier sieht man, wie klüglich der Poet im ersten Verße das starcke Rauschen eines Stromes, im vierten das sanfte Brausen der Gebüsche, und im fünften das lindeste Sausen der Lüfte nachgeahmet; aber so, daß es scheint, als ob es von ungefähr gekommen wäre.
Von Bey-Wörtern.
AUs einzelnen Wörtern werden Redensarten, wenn man sie zusammensetzet, und seine Gedancken dadurch aus- drücket. Zu den Nennwörtern rechnet man nun insgemein die Beywörter, die in gebundner und ungebundner Rede von großer Wichtigkeit sind, und also eine besondre Abhandlung erfordern. Jn der That besteht eine große Schönheit der poetischen Schreibart in wohlausgesuchten und wohlange- brachten Beywörtern. Es kan auch ein Dichter viel Witz und Urtheil, aber auch eben so viel Einfalt und Thorheit bli- cken lassen, nachdem er dieselben wohl zu brauchen weiß oder nicht. Ein gutes Beywort erhebt offt eine gantze Zeile, und macht einen sonst gemeinen Gedancken neu und scheinbar. Ein niedriges oder ungeschicktes hingegen, schlägt den besten Vers nieder, und verderbt auch den schönsten Einfall zuwei- len. Es ist also wohl nöthig, in etwas davon zu handeln.
Die
Das VII. Capitel
Gluͤck, Gluͤck, Gluͤck! du trautes Paar, Dir, dir, dir, gilt unſer Singen ꝛc.
Eben ſo machen ſie es, wenn ſie andre Gattungen der Thoͤne auszudruͤcken ſuchen. Da ſieht man keine unerhoͤrte, neuge- backene Menge nichtsheißender Sylben: ſondern zwar aus- geſuchte und der Natur gemaͤße, aber ungezwungene und ſparſam angebrachte Woͤrter. Ein vollkommenes Exempel giebt mir wiederum Flemming in der angefuͤhrten Stelle.
Daß die Elſter heller rauſchet, Daß mit Buhlerinnen tauſchet, Manch verliebtes Waſſervolck, Daß die Buͤſche ſaͤnfter brauſen, Daß die Luͤffte linder ſauſen, Und uns truͤbet keine Wolck ꝛc.
Hier ſieht man, wie kluͤglich der Poet im erſten Verße das ſtarcke Rauſchen eines Stromes, im vierten das ſanfte Brauſen der Gebuͤſche, und im fuͤnften das lindeſte Sauſen der Luͤfte nachgeahmet; aber ſo, daß es ſcheint, als ob es von ungefaͤhr gekommen waͤre.
Von Bey-Woͤrtern.
AUs einzelnen Woͤrtern werden Redensarten, wenn man ſie zuſammenſetzet, und ſeine Gedancken dadurch aus- druͤcket. Zu den Nennwoͤrtern rechnet man nun insgemein die Beywoͤrter, die in gebundner und ungebundner Rede von großer Wichtigkeit ſind, und alſo eine beſondre Abhandlung erfordern. Jn der That beſteht eine große Schoͤnheit der poetiſchen Schreibart in wohlausgeſuchten und wohlange- brachten Beywoͤrtern. Es kan auch ein Dichter viel Witz und Urtheil, aber auch eben ſo viel Einfalt und Thorheit bli- cken laſſen, nachdem er dieſelben wohl zu brauchen weiß oder nicht. Ein gutes Beywort erhebt offt eine gantze Zeile, und macht einen ſonſt gemeinen Gedancken neu und ſcheinbar. Ein niedriges oder ungeſchicktes hingegen, ſchlaͤgt den beſten Vers nieder, und verderbt auch den ſchoͤnſten Einfall zuwei- len. Es iſt alſo wohl noͤthig, in etwas davon zu handeln.
Die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><cit><quote><lgtype="poem"><pbfacs="#f0230"n="202"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das <hirendition="#aq">VII.</hi> Capitel</hi></fw><lb/><l><hirendition="#aq">Gluͤck, Gluͤck, Gluͤck! du trautes Paar,</hi></l><lb/><l><hirendition="#aq">Dir, dir, dir, gilt unſer Singen ꝛc.</hi></l></lg></quote></cit><lb/><p>Eben ſo machen ſie es, wenn ſie andre Gattungen der Thoͤne<lb/>
auszudruͤcken ſuchen. Da ſieht man keine unerhoͤrte, neuge-<lb/>
backene Menge nichtsheißender Sylben: ſondern zwar aus-<lb/>
geſuchte und der Natur gemaͤße, aber ungezwungene und<lb/>ſparſam angebrachte Woͤrter. Ein vollkommenes Exempel<lb/>
giebt mir wiederum Flemming in der angefuͤhrten Stelle.</p><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Daß die Elſter heller rauſchet,</l><lb/><l>Daß mit Buhlerinnen tauſchet,</l><lb/><l>Manch verliebtes Waſſervolck,</l><lb/><l>Daß die Buͤſche ſaͤnfter brauſen,</l><lb/><l>Daß die Luͤffte linder ſauſen,</l><lb/><l>Und uns truͤbet keine Wolck ꝛc.</l></lg></quote></cit><lb/><p>Hier ſieht man, wie kluͤglich der Poet im erſten Verße das<lb/>ſtarcke Rauſchen eines Stromes, im vierten das ſanfte<lb/>
Brauſen der Gebuͤſche, und im fuͤnften das lindeſte Sauſen<lb/>
der Luͤfte nachgeahmet; aber ſo, daß es ſcheint, als ob es von<lb/>
ungefaͤhr gekommen waͤre.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Von Bey-Woͤrtern.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">A</hi>Us einzelnen Woͤrtern werden Redensarten, wenn man<lb/>ſie zuſammenſetzet, und ſeine Gedancken dadurch aus-<lb/>
druͤcket. Zu den Nennwoͤrtern rechnet man nun insgemein<lb/>
die Beywoͤrter, die in gebundner und ungebundner Rede von<lb/>
großer Wichtigkeit ſind, und alſo eine beſondre Abhandlung<lb/>
erfordern. Jn der That beſteht eine große Schoͤnheit der<lb/>
poetiſchen Schreibart in wohlausgeſuchten und wohlange-<lb/>
brachten Beywoͤrtern. Es kan auch ein Dichter viel Witz<lb/>
und Urtheil, aber auch eben ſo viel Einfalt und Thorheit bli-<lb/>
cken laſſen, nachdem er dieſelben wohl zu brauchen weiß oder<lb/>
nicht. Ein gutes Beywort erhebt offt eine gantze Zeile, und<lb/>
macht einen ſonſt gemeinen Gedancken neu und ſcheinbar.<lb/>
Ein niedriges oder ungeſchicktes hingegen, ſchlaͤgt den beſten<lb/>
Vers nieder, und verderbt auch den ſchoͤnſten Einfall zuwei-<lb/>
len. Es iſt alſo wohl noͤthig, in etwas davon zu handeln.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Die</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[202/0230]
Das VII. Capitel
Gluͤck, Gluͤck, Gluͤck! du trautes Paar,
Dir, dir, dir, gilt unſer Singen ꝛc.
Eben ſo machen ſie es, wenn ſie andre Gattungen der Thoͤne
auszudruͤcken ſuchen. Da ſieht man keine unerhoͤrte, neuge-
backene Menge nichtsheißender Sylben: ſondern zwar aus-
geſuchte und der Natur gemaͤße, aber ungezwungene und
ſparſam angebrachte Woͤrter. Ein vollkommenes Exempel
giebt mir wiederum Flemming in der angefuͤhrten Stelle.
Daß die Elſter heller rauſchet,
Daß mit Buhlerinnen tauſchet,
Manch verliebtes Waſſervolck,
Daß die Buͤſche ſaͤnfter brauſen,
Daß die Luͤffte linder ſauſen,
Und uns truͤbet keine Wolck ꝛc.
Hier ſieht man, wie kluͤglich der Poet im erſten Verße das
ſtarcke Rauſchen eines Stromes, im vierten das ſanfte
Brauſen der Gebuͤſche, und im fuͤnften das lindeſte Sauſen
der Luͤfte nachgeahmet; aber ſo, daß es ſcheint, als ob es von
ungefaͤhr gekommen waͤre.
Von Bey-Woͤrtern.
AUs einzelnen Woͤrtern werden Redensarten, wenn man
ſie zuſammenſetzet, und ſeine Gedancken dadurch aus-
druͤcket. Zu den Nennwoͤrtern rechnet man nun insgemein
die Beywoͤrter, die in gebundner und ungebundner Rede von
großer Wichtigkeit ſind, und alſo eine beſondre Abhandlung
erfordern. Jn der That beſteht eine große Schoͤnheit der
poetiſchen Schreibart in wohlausgeſuchten und wohlange-
brachten Beywoͤrtern. Es kan auch ein Dichter viel Witz
und Urtheil, aber auch eben ſo viel Einfalt und Thorheit bli-
cken laſſen, nachdem er dieſelben wohl zu brauchen weiß oder
nicht. Ein gutes Beywort erhebt offt eine gantze Zeile, und
macht einen ſonſt gemeinen Gedancken neu und ſcheinbar.
Ein niedriges oder ungeſchicktes hingegen, ſchlaͤgt den beſten
Vers nieder, und verderbt auch den ſchoͤnſten Einfall zuwei-
len. Es iſt alſo wohl noͤthig, in etwas davon zu handeln.
Die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/230>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.