sie nach Gelegenheit gar auf lateinische Art zu verändern. Z. E. Simon Dach schreibt fast vor hundert Jahren so:
Hier muß sich mit schönen Flüssen, Hippocrene selbst ergiessen, Mein Parnaß ragt hier hervor, Hier kan Socrates gebieten, Und die Kunst des Stagiriten, Hebet hie das Haupt empor. Plato, Tullius, Euclides, Maro, Flaccus, Aristides, Und der Aertzte Fürst Galen, Kriegen hier ein neues Leben, Ja man sieht sich hier erheben, Palestinen, Rom, Athen.
Worinnen man fast von allen obigen Regeln zulängliche Exempel antreffen wird. Und so viel von üblichen oder ge- wöhnlichen Wörtern.
Von neuen Wörtern.
WAs die neuen Wörter anlanget, so fraget sichs, ob man dergleichen machen könne und dörfe? Man versteht hier durch neue Wörter entweder gantz neue Sylben und Thöne, die man sonst in unsrer Sprache nicht gehöret hat, oder nur eine neue Zusammensetzung alter Sylben und Wör- ter, die nur dergestalt noch nicht verbunden worden. Ob beydes im deutschen möglich sey, daran ist wohl kein Zweifel: ja es ist bey uns viel möglicher und leichter als im Jtaliäni- schen und Französischen, weil unsre Sprache mehr Aehnlich- keit mit der alten Griechischen hat, als alle heutige Europäi- sche Sprachen. Diese aber ist überaus geschickt, durch die Zusammensetzung, recht vielsylbige neue Wörter zu machen; wie uns die Kunstnahmen in der Zerglieder-Kunst, und die Dythiramben der alten Poeten sattsam zeigen. Z. E. He- gesander hat dieß Epigramma auf die alten Sophisten ge- macht:
Ophrua-
N 2
Von poetiſchen Worten.
ſie nach Gelegenheit gar auf lateiniſche Art zu veraͤndern. Z. E. Simon Dach ſchreibt faſt vor hundert Jahren ſo:
Hier muß ſich mit ſchoͤnen Fluͤſſen, Hippocrene ſelbſt ergieſſen, Mein Parnaß ragt hier hervor, Hier kan Socrates gebieten, Und die Kunſt des Stagiriten, Hebet hie das Haupt empor. Plato, Tullius, Euclides, Maro, Flaccus, Ariſtides, Und der Aertzte Fuͤrſt Galen, Kriegen hier ein neues Leben, Ja man ſieht ſich hier erheben, Paleſtinen, Rom, Athen.
Worinnen man faſt von allen obigen Regeln zulaͤngliche Exempel antreffen wird. Und ſo viel von uͤblichen oder ge- woͤhnlichen Woͤrtern.
Von neuen Woͤrtern.
WAs die neuen Woͤrter anlanget, ſo fraget ſichs, ob man dergleichen machen koͤnne und doͤrfe? Man verſteht hier durch neue Woͤrter entweder gantz neue Sylben und Thoͤne, die man ſonſt in unſrer Sprache nicht gehoͤret hat, oder nur eine neue Zuſammenſetzung alter Sylben und Woͤr- ter, die nur dergeſtalt noch nicht verbunden worden. Ob beydes im deutſchen moͤglich ſey, daran iſt wohl kein Zweifel: ja es iſt bey uns viel moͤglicher und leichter als im Jtaliaͤni- ſchen und Franzoͤſiſchen, weil unſre Sprache mehr Aehnlich- keit mit der alten Griechiſchen hat, als alle heutige Europaͤi- ſche Sprachen. Dieſe aber iſt uͤberaus geſchickt, durch die Zuſammenſetzung, recht vielſylbige neue Woͤrter zu machen; wie uns die Kunſtnahmen in der Zerglieder-Kunſt, und die Dythiramben der alten Poeten ſattſam zeigen. Z. E. He- geſander hat dieß Epigramma auf die alten Sophiſten ge- macht:
Ὀφρυα-
N 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0223"n="195"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von poetiſchen Worten.</hi></fw><lb/>ſie nach Gelegenheit gar auf lateiniſche Art zu veraͤndern.<lb/>
Z. E. Simon Dach ſchreibt faſt vor hundert Jahren ſo:</p><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Hier muß ſich mit ſchoͤnen Fluͤſſen,</l><lb/><l>Hippocrene ſelbſt ergieſſen,</l><lb/><l>Mein Parnaß ragt hier hervor,</l><lb/><l>Hier kan Socrates gebieten,</l><lb/><l>Und die Kunſt des Stagiriten,</l><lb/><l>Hebet hie das Haupt empor.</l><lb/><l>Plato, Tullius, Euclides,</l><lb/><l>Maro, Flaccus, Ariſtides,</l><lb/><l>Und der Aertzte Fuͤrſt Galen,</l><lb/><l>Kriegen hier ein neues Leben,</l><lb/><l>Ja man ſieht ſich hier erheben,</l><lb/><l>Paleſtinen, Rom, Athen.</l></lg></quote></cit><lb/><p>Worinnen man faſt von allen obigen Regeln zulaͤngliche<lb/>
Exempel antreffen wird. Und ſo viel von uͤblichen oder ge-<lb/>
woͤhnlichen Woͤrtern.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Von neuen Woͤrtern.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>As die neuen Woͤrter anlanget, ſo fraget ſichs, ob man<lb/>
dergleichen machen koͤnne und doͤrfe? Man verſteht<lb/>
hier durch neue Woͤrter entweder gantz neue Sylben und<lb/>
Thoͤne, die man ſonſt in unſrer Sprache nicht gehoͤret hat,<lb/>
oder nur eine neue Zuſammenſetzung alter Sylben und Woͤr-<lb/>
ter, die nur dergeſtalt noch nicht verbunden worden. Ob<lb/>
beydes im deutſchen moͤglich ſey, daran iſt wohl kein Zweifel:<lb/>
ja es iſt bey uns viel moͤglicher und leichter als im Jtaliaͤni-<lb/>ſchen und Franzoͤſiſchen, weil unſre Sprache mehr Aehnlich-<lb/>
keit mit der alten Griechiſchen hat, als alle heutige Europaͤi-<lb/>ſche Sprachen. Dieſe aber iſt uͤberaus geſchickt, durch die<lb/>
Zuſammenſetzung, recht vielſylbige neue Woͤrter zu machen;<lb/>
wie uns die Kunſtnahmen in der Zerglieder-Kunſt, und die<lb/>
Dythiramben der alten Poeten ſattſam zeigen. Z. E. He-<lb/>
geſander hat dieß Epigramma auf die alten Sophiſten ge-<lb/>
macht:</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Ὀφρυα-</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[195/0223]
Von poetiſchen Worten.
ſie nach Gelegenheit gar auf lateiniſche Art zu veraͤndern.
Z. E. Simon Dach ſchreibt faſt vor hundert Jahren ſo:
Hier muß ſich mit ſchoͤnen Fluͤſſen,
Hippocrene ſelbſt ergieſſen,
Mein Parnaß ragt hier hervor,
Hier kan Socrates gebieten,
Und die Kunſt des Stagiriten,
Hebet hie das Haupt empor.
Plato, Tullius, Euclides,
Maro, Flaccus, Ariſtides,
Und der Aertzte Fuͤrſt Galen,
Kriegen hier ein neues Leben,
Ja man ſieht ſich hier erheben,
Paleſtinen, Rom, Athen.
Worinnen man faſt von allen obigen Regeln zulaͤngliche
Exempel antreffen wird. Und ſo viel von uͤblichen oder ge-
woͤhnlichen Woͤrtern.
Von neuen Woͤrtern.
WAs die neuen Woͤrter anlanget, ſo fraget ſichs, ob man
dergleichen machen koͤnne und doͤrfe? Man verſteht
hier durch neue Woͤrter entweder gantz neue Sylben und
Thoͤne, die man ſonſt in unſrer Sprache nicht gehoͤret hat,
oder nur eine neue Zuſammenſetzung alter Sylben und Woͤr-
ter, die nur dergeſtalt noch nicht verbunden worden. Ob
beydes im deutſchen moͤglich ſey, daran iſt wohl kein Zweifel:
ja es iſt bey uns viel moͤglicher und leichter als im Jtaliaͤni-
ſchen und Franzoͤſiſchen, weil unſre Sprache mehr Aehnlich-
keit mit der alten Griechiſchen hat, als alle heutige Europaͤi-
ſche Sprachen. Dieſe aber iſt uͤberaus geſchickt, durch die
Zuſammenſetzung, recht vielſylbige neue Woͤrter zu machen;
wie uns die Kunſtnahmen in der Zerglieder-Kunſt, und die
Dythiramben der alten Poeten ſattſam zeigen. Z. E. He-
geſander hat dieß Epigramma auf die alten Sophiſten ge-
macht:
Ὀφρυα-
N 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/223>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.