Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Albert Bitzius, geboren den 4. Oktober 1797 zu Murten, studirte in Bern und nachher einige Zeit in Göttingen, wurde 1832 Pfarrer zu Lützelflüh im Emmenthal, wo er den 22. October 1854 starb. Im Drange politisch-religiös-socialen Wirkens veröffentlichte er unter dem Namen Jeremias Gotthelf jene allbekannten Schriften, die im reichsten Maße Freunde und Gegner gefunden haben. Gotthelf ist eine mit großer dichterischer Kraft ausgestattete Kernnatur, der es jedoch selten einfällt, rein dichterisch wirken zu wollen. Sein Streben ist auf sittliche und wirthschaftliche Verbesserung seiner Bauern gerichtet, wobei er, der zum Sturze der Berner Aristokratie mitgewirkt, dem Radikalismus gegenüber Kehrt macht, um sich diesem als entschlossener, charaktervoller "Reaktionär" entgegenzuwerfen; und die Fülle von Poesie, die er in seinen Schilderungen des Volkslebens entwickelt, ist meist nur wie eine unwillkürlich nebenher laufende Temperamentseigenschaft, die ihn nicht verhindert, Züge von gewaltiger Schönheit mit eben so unästhetischen, ja ganz unleidlichen Auswüchsen zu mischen. Nur in wenigen seiner kleineren Dorfgeschichten ist der lehrhafte Zug, der stellenweise an den Kanzelton erinnert und seine großen Volksbücher, "Uli der Knecht," "Leiden und Freuden eines Schulmeisters" u. a. m., durchaus beherrscht, bis auf ein gelegentliches Einmischen derber, sprichwörtlicher Lebensweisheit gemildert. So steht Gotthelf in der Mitte zwischen seinem trefflichen Landsmanne Pestalozzi, dessen "Lienhard und Gertrud" noch ganz als moralisches Noth- und Hilfsbüchlein gedacht ist, und den deutschen Meistern der Dorfgeschichte, in deren Sittenschilderungen das Element der Sittlichkeit keine andere Rolle spielt, als in allen dichterischen Verklärungen des Lebens. Leider ist es uns versagt, die Erzählung, der wir den Preis zuerkannt, "Wie Christen eine Frau gewinnt", unsern Lesern vorzuführen, da die Verlagshandlung so eben diese und andere ausgewählte Dorfgeschichten Gotthelf's in einer illustrirten Volksausgabe erscheinen läßt. Indem wir uns aber vorbehalten, in Albert Bitzius, geboren den 4. Oktober 1797 zu Murten, studirte in Bern und nachher einige Zeit in Göttingen, wurde 1832 Pfarrer zu Lützelflüh im Emmenthal, wo er den 22. October 1854 starb. Im Drange politisch-religiös-socialen Wirkens veröffentlichte er unter dem Namen Jeremias Gotthelf jene allbekannten Schriften, die im reichsten Maße Freunde und Gegner gefunden haben. Gotthelf ist eine mit großer dichterischer Kraft ausgestattete Kernnatur, der es jedoch selten einfällt, rein dichterisch wirken zu wollen. Sein Streben ist auf sittliche und wirthschaftliche Verbesserung seiner Bauern gerichtet, wobei er, der zum Sturze der Berner Aristokratie mitgewirkt, dem Radikalismus gegenüber Kehrt macht, um sich diesem als entschlossener, charaktervoller „Reaktionär“ entgegenzuwerfen; und die Fülle von Poesie, die er in seinen Schilderungen des Volkslebens entwickelt, ist meist nur wie eine unwillkürlich nebenher laufende Temperamentseigenschaft, die ihn nicht verhindert, Züge von gewaltiger Schönheit mit eben so unästhetischen, ja ganz unleidlichen Auswüchsen zu mischen. Nur in wenigen seiner kleineren Dorfgeschichten ist der lehrhafte Zug, der stellenweise an den Kanzelton erinnert und seine großen Volksbücher, „Uli der Knecht,“ „Leiden und Freuden eines Schulmeisters“ u. a. m., durchaus beherrscht, bis auf ein gelegentliches Einmischen derber, sprichwörtlicher Lebensweisheit gemildert. So steht Gotthelf in der Mitte zwischen seinem trefflichen Landsmanne Pestalozzi, dessen „Lienhard und Gertrud“ noch ganz als moralisches Noth- und Hilfsbüchlein gedacht ist, und den deutschen Meistern der Dorfgeschichte, in deren Sittenschilderungen das Element der Sittlichkeit keine andere Rolle spielt, als in allen dichterischen Verklärungen des Lebens. Leider ist es uns versagt, die Erzählung, der wir den Preis zuerkannt, „Wie Christen eine Frau gewinnt“, unsern Lesern vorzuführen, da die Verlagshandlung so eben diese und andere ausgewählte Dorfgeschichten Gotthelf's in einer illustrirten Volksausgabe erscheinen läßt. Indem wir uns aber vorbehalten, in <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0007"/> <div type="preface"> <p>Albert Bitzius, geboren den 4. Oktober 1797 zu Murten, studirte in Bern und nachher einige Zeit in Göttingen, wurde 1832 Pfarrer zu Lützelflüh im Emmenthal, wo er den 22. October 1854 starb. Im Drange politisch-religiös-socialen Wirkens veröffentlichte er unter dem Namen Jeremias Gotthelf jene allbekannten Schriften, die im reichsten Maße Freunde und Gegner gefunden haben. Gotthelf ist eine mit großer dichterischer Kraft ausgestattete Kernnatur, der es jedoch selten einfällt, rein dichterisch wirken zu wollen. Sein Streben ist auf sittliche und wirthschaftliche Verbesserung seiner Bauern gerichtet, wobei er, der zum Sturze der Berner Aristokratie mitgewirkt, dem Radikalismus gegenüber Kehrt macht, um sich diesem als entschlossener, charaktervoller „Reaktionär“ entgegenzuwerfen; und die Fülle von Poesie, die er in seinen Schilderungen des Volkslebens entwickelt, ist meist nur wie eine unwillkürlich nebenher laufende Temperamentseigenschaft, die ihn nicht verhindert, Züge von gewaltiger Schönheit mit eben so unästhetischen, ja ganz unleidlichen Auswüchsen zu mischen. Nur in wenigen seiner kleineren Dorfgeschichten ist der lehrhafte Zug, der stellenweise an den Kanzelton erinnert und seine großen Volksbücher, „Uli der Knecht,“ „Leiden und Freuden eines Schulmeisters“ u. a. m., durchaus beherrscht, bis auf ein gelegentliches Einmischen derber, sprichwörtlicher Lebensweisheit gemildert. So steht Gotthelf in der Mitte zwischen seinem trefflichen Landsmanne Pestalozzi, dessen „Lienhard und Gertrud“ noch ganz als moralisches Noth- und Hilfsbüchlein gedacht ist, und den deutschen Meistern der Dorfgeschichte, in deren Sittenschilderungen das Element der Sittlichkeit keine andere Rolle spielt, als in allen dichterischen Verklärungen des Lebens.</p><lb/> <p>Leider ist es uns versagt, die Erzählung, der wir den Preis zuerkannt, „Wie Christen eine Frau gewinnt“, unsern Lesern vorzuführen, da die Verlagshandlung so eben diese und andere ausgewählte Dorfgeschichten Gotthelf's in einer illustrirten Volksausgabe erscheinen läßt. Indem wir uns aber vorbehalten, in<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0007]
Albert Bitzius, geboren den 4. Oktober 1797 zu Murten, studirte in Bern und nachher einige Zeit in Göttingen, wurde 1832 Pfarrer zu Lützelflüh im Emmenthal, wo er den 22. October 1854 starb. Im Drange politisch-religiös-socialen Wirkens veröffentlichte er unter dem Namen Jeremias Gotthelf jene allbekannten Schriften, die im reichsten Maße Freunde und Gegner gefunden haben. Gotthelf ist eine mit großer dichterischer Kraft ausgestattete Kernnatur, der es jedoch selten einfällt, rein dichterisch wirken zu wollen. Sein Streben ist auf sittliche und wirthschaftliche Verbesserung seiner Bauern gerichtet, wobei er, der zum Sturze der Berner Aristokratie mitgewirkt, dem Radikalismus gegenüber Kehrt macht, um sich diesem als entschlossener, charaktervoller „Reaktionär“ entgegenzuwerfen; und die Fülle von Poesie, die er in seinen Schilderungen des Volkslebens entwickelt, ist meist nur wie eine unwillkürlich nebenher laufende Temperamentseigenschaft, die ihn nicht verhindert, Züge von gewaltiger Schönheit mit eben so unästhetischen, ja ganz unleidlichen Auswüchsen zu mischen. Nur in wenigen seiner kleineren Dorfgeschichten ist der lehrhafte Zug, der stellenweise an den Kanzelton erinnert und seine großen Volksbücher, „Uli der Knecht,“ „Leiden und Freuden eines Schulmeisters“ u. a. m., durchaus beherrscht, bis auf ein gelegentliches Einmischen derber, sprichwörtlicher Lebensweisheit gemildert. So steht Gotthelf in der Mitte zwischen seinem trefflichen Landsmanne Pestalozzi, dessen „Lienhard und Gertrud“ noch ganz als moralisches Noth- und Hilfsbüchlein gedacht ist, und den deutschen Meistern der Dorfgeschichte, in deren Sittenschilderungen das Element der Sittlichkeit keine andere Rolle spielt, als in allen dichterischen Verklärungen des Lebens.
Leider ist es uns versagt, die Erzählung, der wir den Preis zuerkannt, „Wie Christen eine Frau gewinnt“, unsern Lesern vorzuführen, da die Verlagshandlung so eben diese und andere ausgewählte Dorfgeschichten Gotthelf's in einer illustrirten Volksausgabe erscheinen läßt. Indem wir uns aber vorbehalten, in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/7 |
Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/7>, abgerufen am 22.02.2025. |