Es hezt mich alles! Heut tref ich die Fräu- lein B.. in der Allee. Jch konnte mich nicht enthalten sie anzureden, und ihr, sobald wir etwas entfernt von der Gesellschaft waren, meine Empfind- lichkeit über ihr neuliches Betragen zu zeigen. O Werther, sagte sie mit einem innigen Tone, konn- ten Sie meine Verwirrung so auslegen, da Sie mein Herz konnen. Was ich gelitten habe um ihrentwillen, von dem Augenblikke an, da ich in den Saal trat. Jch sah' alles voraus, hundert- mal saß mir's auf der Zunge, es Jhnen zu sagen, ich wußte, daß die von S.. und T.. mit ihren Männern eher aufbrechen würden, als in Jhrer Gesellschaft zu bleiben, ich wußte, daß der Graf es nicht mit Jhnen verderben darf, und jezo der Lärm -- Wie Fräulein? sagt' ich, und verbarg meinen Schrekken, denn alles, was Adelin mir eh- gestern gesagt hatte, lief mir wie siedend Wasser durch die Adern in diesem Augenblikke. -- Was hat mich's schon gekostet! sagte das süsse Geschöpf,
indem
am 16. Merz.
Es hezt mich alles! Heut tref ich die Fraͤu- lein B.. in der Allee. Jch konnte mich nicht enthalten ſie anzureden, und ihr, ſobald wir etwas entfernt von der Geſellſchaft waren, meine Empfind- lichkeit uͤber ihr neuliches Betragen zu zeigen. O Werther, ſagte ſie mit einem innigen Tone, konn- ten Sie meine Verwirrung ſo auslegen, da Sie mein Herz konnen. Was ich gelitten habe um ihrentwillen, von dem Augenblikke an, da ich in den Saal trat. Jch ſah’ alles voraus, hundert- mal ſaß mir’s auf der Zunge, es Jhnen zu ſagen, ich wußte, daß die von S.. und T.. mit ihren Maͤnnern eher aufbrechen wuͤrden, als in Jhrer Geſellſchaft zu bleiben, ich wußte, daß der Graf es nicht mit Jhnen verderben darf, und jezo der Laͤrm — Wie Fraͤulein? ſagt’ ich, und verbarg meinen Schrekken, denn alles, was Adelin mir eh- geſtern geſagt hatte, lief mir wie ſiedend Waſſer durch die Adern in dieſem Augenblikke. — Was hat mich’s ſchon gekoſtet! ſagte das ſuͤſſe Geſchoͤpf,
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am 16. Merz.
Es hezt mich alles! Heut tref ich die Fraͤu-
lein B.. in der Allee. Jch konnte mich nicht
enthalten ſie anzureden, und ihr, ſobald wir etwas
entfernt von der Geſellſchaft waren, meine Empfind-
lichkeit uͤber ihr neuliches Betragen zu zeigen. O
Werther, ſagte ſie mit einem innigen Tone, konn-
ten Sie meine Verwirrung ſo auslegen, da Sie
mein Herz konnen. Was ich gelitten habe um
ihrentwillen, von dem Augenblikke an, da ich in
den Saal trat. Jch ſah’ alles voraus, hundert-
mal ſaß mir’s auf der Zunge, es Jhnen zu ſagen,
ich wußte, daß die von S.. und T.. mit ihren
Maͤnnern eher aufbrechen wuͤrden, als in Jhrer
Geſellſchaft zu bleiben, ich wußte, daß der Graf es
nicht mit Jhnen verderben darf, und jezo der
Laͤrm — Wie Fraͤulein? ſagt’ ich, und verbarg
meinen Schrekken, denn alles, was Adelin mir eh-
geſtern geſagt hatte, lief mir wie ſiedend Waſſer
durch die Adern in dieſem Augenblikke. — Was
hat mich’s ſchon gekoſtet! ſagte das ſuͤſſe Geſchoͤpf,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/22>, abgerufen am 22.02.2025.
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