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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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keine Angelegenheit hätten, nein, vielmehr häufen
sich die Arbeiten, eben weil man über die kleinen
Verdrüßlichkeiten, von Beförderung der wichtigen
Sachen abgehalten wird. Vorige Woche gabs
bey der Schlittenfahrt Händel, und der ganze Spas
wurde verdorben.

Die Thoren, die nicht sehen, daß es eigent-
lich auf den Plaz gar nicht ankommt, und daß der,
der den ersten hat, so selten die erste Rolle spielt!
Wie mancher König wird durch seinen Minister,
wie mancher Minister durch seinen Sekretär re-
giert. Und wer ist dann der Erste? der, dünkt
mich, der die andern übersieht, und so viel Ge-
walt oder List hat, ihre Kräfte und Leidenschaften
zu Ausführung seiner Plane anzuspannen.




Jch muß Jhnen schreiben, liebe Lotte, hier in der
Stube einer geringen Bauernherberge, in
die ich mich vor einem schweren Wetter geflüchtet
habe. So lange ich in dem traurigen Neste D..
unter dem fremden, meinem Herzen ganz fremden

Volke,



keine Angelegenheit haͤtten, nein, vielmehr haͤufen
ſich die Arbeiten, eben weil man uͤber die kleinen
Verdruͤßlichkeiten, von Befoͤrderung der wichtigen
Sachen abgehalten wird. Vorige Woche gabs
bey der Schlittenfahrt Haͤndel, und der ganze Spas
wurde verdorben.

Die Thoren, die nicht ſehen, daß es eigent-
lich auf den Plaz gar nicht ankommt, und daß der,
der den erſten hat, ſo ſelten die erſte Rolle ſpielt!
Wie mancher Koͤnig wird durch ſeinen Miniſter,
wie mancher Miniſter durch ſeinen Sekretaͤr re-
giert. Und wer iſt dann der Erſte? der, duͤnkt
mich, der die andern uͤberſieht, und ſo viel Ge-
walt oder Liſt hat, ihre Kraͤfte und Leidenſchaften
zu Ausfuͤhrung ſeiner Plane anzuſpannen.




Jch muß Jhnen ſchreiben, liebe Lotte, hier in der
Stube einer geringen Bauernherberge, in
die ich mich vor einem ſchweren Wetter gefluͤchtet
habe. So lange ich in dem traurigen Neſte D..
unter dem fremden, meinem Herzen ganz fremden

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[124/0012] keine Angelegenheit haͤtten, nein, vielmehr haͤufen ſich die Arbeiten, eben weil man uͤber die kleinen Verdruͤßlichkeiten, von Befoͤrderung der wichtigen Sachen abgehalten wird. Vorige Woche gabs bey der Schlittenfahrt Haͤndel, und der ganze Spas wurde verdorben. Die Thoren, die nicht ſehen, daß es eigent- lich auf den Plaz gar nicht ankommt, und daß der, der den erſten hat, ſo ſelten die erſte Rolle ſpielt! Wie mancher Koͤnig wird durch ſeinen Miniſter, wie mancher Miniſter durch ſeinen Sekretaͤr re- giert. Und wer iſt dann der Erſte? der, duͤnkt mich, der die andern uͤberſieht, und ſo viel Ge- walt oder Liſt hat, ihre Kraͤfte und Leidenſchaften zu Ausfuͤhrung ſeiner Plane anzuſpannen. am 20. Jan. Jch muß Jhnen ſchreiben, liebe Lotte, hier in der Stube einer geringen Bauernherberge, in die ich mich vor einem ſchweren Wetter gefluͤchtet habe. So lange ich in dem traurigen Neſte D.. unter dem fremden, meinem Herzen ganz fremden Volke,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/12>, abgerufen am 21.12.2024.