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Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790.

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§. 77.

Noch stärker und gleichsam ungeheuer wird
uns die unmittelbare Fruchtbarkeit der Stengel-
blätter in den Farrenkräutern vor Augen gelegt;
welche durch einen innern Trieb, und vielleicht gar
ohne bestimmte Wirkung zweyer Geschlechter,
unzählige, des Wachsthums fähige Samen, oder
vielmehr Keime entwickeln und umherstreuen,
wo also ein Blatt an Fruchtbarkeit mit einer
ausgebreiteten Pflanze, mit einem grossen und
ästereichen Baume wetteifert.

§. 78.

Wenn wir diese Beobachtungen gegenwärtig
behalten; so werden wir in den Samenbehältern,
ohnerachtet ihrer manigfaltigen Bildung, ihrer
besonderen Bestimmung und Verbindung unter
sich, die Blattgestalt nicht verkennen. So wäre
z. B. die Hülse ein einfaches zusammengeschlagenes,
an seinen Rändern verwachsenes Blatt, die
Schoten würden aus mehr übereinander gewach-
senen Blättern bestehen, die zusammengesezten
Gehäuse erklärten sich aus mehreren Blättern

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§. 77.

Noch ſtärker und gleichſam ungeheuer wird
uns die unmittelbare Fruchtbarkeit der Stengel-
blätter in den Farrenkräutern vor Augen gelegt;
welche durch einen innern Trieb, und vielleicht gar
ohne beſtimmte Wirkung zweyer Geſchlechter,
unzählige, des Wachsthums fähige Samen, oder
vielmehr Keime entwickeln und umherſtreuen,
wo alſo ein Blatt an Fruchtbarkeit mit einer
ausgebreiteten Pflanze, mit einem groſsen und
äſtereichen Baume wetteifert.

§. 78.

Wenn wir dieſe Beobachtungen gegenwärtig
behalten; ſo werden wir in den Samenbehältern,
ohnerachtet ihrer manigfaltigen Bildung, ihrer
beſonderen Beſtimmung und Verbindung unter
ſich, die Blattgeſtalt nicht verkennen. So wäre
z. B. die Hülſe ein einfaches zuſammengeſchlagenes,
an ſeinen Rändern verwachſenes Blatt, die
Schoten würden aus mehr übereinander gewach-
ſenen Blättern beſtehen, die zuſammengeſezten
Gehäuſe erklärten ſich aus mehreren Blättern

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[51/0066] §. 77. Noch ſtärker und gleichſam ungeheuer wird uns die unmittelbare Fruchtbarkeit der Stengel- blätter in den Farrenkräutern vor Augen gelegt; welche durch einen innern Trieb, und vielleicht gar ohne beſtimmte Wirkung zweyer Geſchlechter, unzählige, des Wachsthums fähige Samen, oder vielmehr Keime entwickeln und umherſtreuen, wo alſo ein Blatt an Fruchtbarkeit mit einer ausgebreiteten Pflanze, mit einem groſsen und äſtereichen Baume wetteifert. §. 78. Wenn wir dieſe Beobachtungen gegenwärtig behalten; ſo werden wir in den Samenbehältern, ohnerachtet ihrer manigfaltigen Bildung, ihrer beſonderen Beſtimmung und Verbindung unter ſich, die Blattgeſtalt nicht verkennen. So wäre z. B. die Hülſe ein einfaches zuſammengeſchlagenes, an ſeinen Rändern verwachſenes Blatt, die Schoten würden aus mehr übereinander gewach- ſenen Blättern beſtehen, die zuſammengeſezten Gehäuſe erklärten ſich aus mehreren Blättern D 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/66>, abgerufen am 21.11.2024.