Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Iphigenie auf Tauris Thoas. Es komme schnell die Priesterinn herbey! Dann geht, durchsucht das Ufer scharf und schnell Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttinn. Verschonet seine heil'gen Tiefen, legt Bedacht'gen Hinterhalt und greift sie an; Wo ihr sie findet, faßt sie wie ihr pflegt. Zweyter Auftritt. Thoas allein, Entsetzlich wechselt mir der Grimm im Busen; Erst gegen sie, die ich so heilig hielt; Dann gegen mich, der ich sie zum Verrath Durch Nachsicht und durch Güte bildete. Zur Sklaverey gewöhnt der Mensch sich gut Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn Der Freyheit ganz beraubt. Ja, wäre sie In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen, Und hätte sie der heil'ge Grimm verschont: Iphigenie auf Tauris Thoas. Es komme ſchnell die Prieſterinn herbey! Dann geht, durchſucht das Ufer ſcharf und ſchnell Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttinn. Verſchonet ſeine heil’gen Tiefen, legt Bedacht’gen Hinterhalt und greift ſie an; Wo ihr ſie findet, faßt ſie wie ihr pflegt. Zweyter Auftritt. Thoas allein, Entſetzlich wechſelt mir der Grimm im Buſen; Erſt gegen ſie, die ich ſo heilig hielt; Dann gegen mich, der ich ſie zum Verrath Durch Nachſicht und durch Güte bildete. Zur Sklaverey gewöhnt der Menſch ſich gut Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn Der Freyheit ganz beraubt. Ja, wäre ſie In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen, Und hätte ſie der heil’ge Grimm verſchont: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0119" n="110"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Iphigenie auf Tauris</hi> </fw><lb/> <sp who="#THO"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Thoas.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Es komme ſchnell die Prieſterinn herbey!<lb/> Dann geht, durchſucht das Ufer ſcharf und ſchnell<lb/> Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttinn.<lb/> Verſchonet ſeine heil’gen Tiefen, legt<lb/> Bedacht’gen Hinterhalt und greift ſie an;<lb/> Wo ihr ſie findet, faßt ſie wie ihr pflegt.</p> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Zweyter Auftritt.</hi> </head><lb/> <sp who="#THO"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Thoas</hi> </hi> </speaker> <stage>allein,</stage><lb/> <p>Entſetzlich wechſelt mir der Grimm im Buſen;<lb/> Erſt gegen ſie, die ich ſo heilig hielt;<lb/> Dann gegen mich, der ich ſie zum Verrath<lb/> Durch Nachſicht und durch Güte bildete.<lb/> Zur Sklaverey gewöhnt der Menſch ſich gut<lb/> Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn<lb/> Der Freyheit ganz beraubt. Ja, wäre ſie<lb/> In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen,<lb/> Und hätte ſie der heil’ge Grimm verſchont:<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0119]
Iphigenie auf Tauris
Thoas.
Es komme ſchnell die Prieſterinn herbey!
Dann geht, durchſucht das Ufer ſcharf und ſchnell
Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttinn.
Verſchonet ſeine heil’gen Tiefen, legt
Bedacht’gen Hinterhalt und greift ſie an;
Wo ihr ſie findet, faßt ſie wie ihr pflegt.
Zweyter Auftritt.
Thoas allein,
Entſetzlich wechſelt mir der Grimm im Buſen;
Erſt gegen ſie, die ich ſo heilig hielt;
Dann gegen mich, der ich ſie zum Verrath
Durch Nachſicht und durch Güte bildete.
Zur Sklaverey gewöhnt der Menſch ſich gut
Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn
Der Freyheit ganz beraubt. Ja, wäre ſie
In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen,
Und hätte ſie der heil’ge Grimm verſchont:
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