Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben. O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt, Ihr nach und immer nach zu streben. Ich säh' im ewigen Abendstrahl Die stille Welt zu meinen Füßen, Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal, Den Silberbach in goldne Ströme fließen. Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten; Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten Vor den erstaunten Augen auf. Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken; Allein der neue Trieb erwacht, Ich eile fort ihr ew'ges Licht zu trinken, Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht, Den Himmel über mir und unter mir die Wellen. Ein schöner Traum, indessen sie entweicht. Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht Kein körperlicher Flügel sich gesellen. Doch ist es jedem eingeboren, Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt, Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
Dort eilt ſie hin und foͤrdert neues Leben. O! daß kein Fluͤgel mich vom Boden hebt, Ihr nach und immer nach zu ſtreben. Ich ſaͤh’ im ewigen Abendſtrahl Die ſtille Welt zu meinen Fuͤßen, Entzuͤndet alle Hoͤhn, beruhigt jedes Thal, Den Silberbach in goldne Stroͤme fließen. Nicht hemmte dann den goͤttergleichen Lauf Der wilde Berg mit allen ſeinen Schluchten; Schon thut das Meer ſich mit erwaͤrmten Buchten Vor den erſtaunten Augen auf. Doch ſcheint die Goͤttin endlich wegzuſinken; Allein der neue Trieb erwacht, Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken, Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht, Den Himmel uͤber mir und unter mir die Wellen. Ein ſchoͤner Traum, indeſſen ſie entweicht. Ach! zu des Geiſtes Fluͤgeln wird ſo leicht Kein koͤrperlicher Fluͤgel ſich geſellen. Doch iſt es jedem eingeboren, Daß ſein Gefuͤhl hinauf und vorwaͤrts dringt, Wenn uͤber uns, im blauen Raum verloren, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#FAU"> <p><pb facs="#f0078" n="72"/> Dort eilt ſie hin und foͤrdert neues Leben.<lb/> O! daß kein Fluͤgel mich vom Boden hebt,<lb/> Ihr nach und immer nach zu ſtreben.<lb/> Ich ſaͤh’ im ewigen Abendſtrahl<lb/> Die ſtille Welt zu meinen Fuͤßen,<lb/> Entzuͤndet alle Hoͤhn, beruhigt jedes Thal,<lb/> Den Silberbach in goldne Stroͤme fließen.<lb/> Nicht hemmte dann den goͤttergleichen Lauf<lb/> Der wilde Berg mit allen ſeinen Schluchten;<lb/> Schon thut das Meer ſich mit erwaͤrmten Buchten<lb/> Vor den erſtaunten Augen auf.<lb/> Doch ſcheint die Goͤttin endlich wegzuſinken;<lb/> Allein der neue Trieb erwacht,<lb/> Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,<lb/> Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,<lb/> Den Himmel uͤber mir und unter mir die Wellen.<lb/> Ein ſchoͤner Traum, indeſſen ſie entweicht.<lb/> Ach! zu des Geiſtes Fluͤgeln wird ſo leicht<lb/> Kein koͤrperlicher Fluͤgel ſich geſellen.<lb/> Doch iſt es jedem eingeboren,<lb/> Daß ſein Gefuͤhl hinauf und vorwaͤrts dringt,<lb/> Wenn uͤber uns, im blauen Raum verloren,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0078]
Dort eilt ſie hin und foͤrdert neues Leben.
O! daß kein Fluͤgel mich vom Boden hebt,
Ihr nach und immer nach zu ſtreben.
Ich ſaͤh’ im ewigen Abendſtrahl
Die ſtille Welt zu meinen Fuͤßen,
Entzuͤndet alle Hoͤhn, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Stroͤme fließen.
Nicht hemmte dann den goͤttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen ſeinen Schluchten;
Schon thut das Meer ſich mit erwaͤrmten Buchten
Vor den erſtaunten Augen auf.
Doch ſcheint die Goͤttin endlich wegzuſinken;
Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
Den Himmel uͤber mir und unter mir die Wellen.
Ein ſchoͤner Traum, indeſſen ſie entweicht.
Ach! zu des Geiſtes Fluͤgeln wird ſo leicht
Kein koͤrperlicher Fluͤgel ſich geſellen.
Doch iſt es jedem eingeboren,
Daß ſein Gefuͤhl hinauf und vorwaͤrts dringt,
Wenn uͤber uns, im blauen Raum verloren,
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