Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Scheingestalt alsdann ziemlich natürlich gesehen haben.
Die Sache ist an sich selbst richtig und der Erfahrung
gemäß: denn in obigem Falle hätte mir eine Mohrin
mit weißer Binde, ein weißes Gesicht schwarz umgeben
hervorgebracht; nur will es bey jenen gewöhnlich klein
gemalten Bildern nicht Jedermann glücken, die Thei-
le der Scheinfigur gewahr zu werden.

54.

Ein Phänomen, das schon früher bey den Natur-
forschern Aufmerksamkeit erregt, läßt sich, wie ich über-
zeugt bin, auch aus diesen Erscheinungen ableiten.

Man erzählt, daß gewisse Blumen im Sommer
bey Abendzeit gleichsam blitzen, phosphoresciren oder
ein augenblickliches Licht ausströmen. Einige Beobach-
ter geben diese Erfahrungen genauer an.

Dieses Phänomen selbst zu sehen hatte ich mich oft
bemüht, ja sogar, um es hervorzubringen, künstliche
Versuche angestellt.

Am 19. Jun. 1799, als ich zu später Abendzeit,
bey der in eine klare Nacht übergehenden Dämmerung,
mit einem Freunde im Garten auf- und abging, be-
merkten wir sehr deutlich an den Blumen des orienta-
lischen Mohns, die vor allen andern eine sehr mächtig
rothe Farbe haben, etwas flammenähnliches, das sich
in ihrer Nähe zeigte. Wir stellten uns vor die Stau-
den hin, sahen aufmerksam darauf, konnten aber nichts
weiter bemerken, bis uns endlich, bey abermaligem
Hin- und Wiedergehen, gelang, indem wir seitwärts dar-
auf blickten, die Erscheinung so oft zu wiederholen, als

Scheingeſtalt alsdann ziemlich natuͤrlich geſehen haben.
Die Sache iſt an ſich ſelbſt richtig und der Erfahrung
gemaͤß: denn in obigem Falle haͤtte mir eine Mohrin
mit weißer Binde, ein weißes Geſicht ſchwarz umgeben
hervorgebracht; nur will es bey jenen gewoͤhnlich klein
gemalten Bildern nicht Jedermann gluͤcken, die Thei-
le der Scheinfigur gewahr zu werden.

54.

Ein Phaͤnomen, das ſchon fruͤher bey den Natur-
forſchern Aufmerkſamkeit erregt, laͤßt ſich, wie ich uͤber-
zeugt bin, auch aus dieſen Erſcheinungen ableiten.

Man erzaͤhlt, daß gewiſſe Blumen im Sommer
bey Abendzeit gleichſam blitzen, phosphoreſciren oder
ein augenblickliches Licht ausſtroͤmen. Einige Beobach-
ter geben dieſe Erfahrungen genauer an.

Dieſes Phaͤnomen ſelbſt zu ſehen hatte ich mich oft
bemuͤht, ja ſogar, um es hervorzubringen, kuͤnſtliche
Verſuche angeſtellt.

Am 19. Jun. 1799, als ich zu ſpaͤter Abendzeit,
bey der in eine klare Nacht uͤbergehenden Daͤmmerung,
mit einem Freunde im Garten auf- und abging, be-
merkten wir ſehr deutlich an den Blumen des orienta-
liſchen Mohns, die vor allen andern eine ſehr maͤchtig
rothe Farbe haben, etwas flammenaͤhnliches, das ſich
in ihrer Naͤhe zeigte. Wir ſtellten uns vor die Stau-
den hin, ſahen aufmerkſam darauf, konnten aber nichts
weiter bemerken, bis uns endlich, bey abermaligem
Hin- und Wiedergehen, gelang, indem wir ſeitwaͤrts dar-
auf blickten, die Erſcheinung ſo oft zu wiederholen, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0075" n="21"/>
Scheinge&#x017F;talt alsdann ziemlich natu&#x0364;rlich ge&#x017F;ehen haben.<lb/>
Die Sache i&#x017F;t an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t richtig und der Erfahrung<lb/>
gema&#x0364;ß: denn in obigem Falle ha&#x0364;tte mir eine Mohrin<lb/>
mit weißer Binde, ein weißes Ge&#x017F;icht &#x017F;chwarz umgeben<lb/>
hervorgebracht; nur will es bey jenen gewo&#x0364;hnlich klein<lb/>
gemalten Bildern nicht Jedermann glu&#x0364;cken, die Thei-<lb/>
le der Scheinfigur gewahr zu werden.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>54.</head><lb/>
              <p>Ein Pha&#x0364;nomen, das &#x017F;chon fru&#x0364;her bey den Natur-<lb/>
for&#x017F;chern Aufmerk&#x017F;amkeit erregt, la&#x0364;ßt &#x017F;ich, wie ich u&#x0364;ber-<lb/>
zeugt bin, auch aus die&#x017F;en Er&#x017F;cheinungen ableiten.</p><lb/>
              <p>Man erza&#x0364;hlt, daß gewi&#x017F;&#x017F;e Blumen im Sommer<lb/>
bey Abendzeit gleich&#x017F;am blitzen, phosphore&#x017F;ciren oder<lb/>
ein augenblickliches Licht aus&#x017F;tro&#x0364;men. Einige Beobach-<lb/>
ter geben die&#x017F;e Erfahrungen genauer an.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;es Pha&#x0364;nomen &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;ehen hatte ich mich oft<lb/>
bemu&#x0364;ht, ja &#x017F;ogar, um es hervorzubringen, ku&#x0364;n&#x017F;tliche<lb/>
Ver&#x017F;uche ange&#x017F;tellt.</p><lb/>
              <p>Am 19. Jun. 1799, als ich zu &#x017F;pa&#x0364;ter Abendzeit,<lb/>
bey der in eine klare Nacht u&#x0364;bergehenden Da&#x0364;mmerung,<lb/>
mit einem Freunde im Garten auf- und abging, be-<lb/>
merkten wir &#x017F;ehr deutlich an den Blumen des orienta-<lb/>
li&#x017F;chen Mohns, die vor allen andern eine &#x017F;ehr ma&#x0364;chtig<lb/>
rothe Farbe haben, etwas flammena&#x0364;hnliches, das &#x017F;ich<lb/>
in ihrer Na&#x0364;he zeigte. Wir &#x017F;tellten uns vor die Stau-<lb/>
den hin, &#x017F;ahen aufmerk&#x017F;am darauf, konnten aber nichts<lb/>
weiter bemerken, bis uns endlich, bey abermaligem<lb/>
Hin- und Wiedergehen, gelang, indem wir &#x017F;eitwa&#x0364;rts dar-<lb/>
auf blickten, die Er&#x017F;cheinung &#x017F;o oft zu wiederholen, als<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0075] Scheingeſtalt alsdann ziemlich natuͤrlich geſehen haben. Die Sache iſt an ſich ſelbſt richtig und der Erfahrung gemaͤß: denn in obigem Falle haͤtte mir eine Mohrin mit weißer Binde, ein weißes Geſicht ſchwarz umgeben hervorgebracht; nur will es bey jenen gewoͤhnlich klein gemalten Bildern nicht Jedermann gluͤcken, die Thei- le der Scheinfigur gewahr zu werden. 54. Ein Phaͤnomen, das ſchon fruͤher bey den Natur- forſchern Aufmerkſamkeit erregt, laͤßt ſich, wie ich uͤber- zeugt bin, auch aus dieſen Erſcheinungen ableiten. Man erzaͤhlt, daß gewiſſe Blumen im Sommer bey Abendzeit gleichſam blitzen, phosphoreſciren oder ein augenblickliches Licht ausſtroͤmen. Einige Beobach- ter geben dieſe Erfahrungen genauer an. Dieſes Phaͤnomen ſelbſt zu ſehen hatte ich mich oft bemuͤht, ja ſogar, um es hervorzubringen, kuͤnſtliche Verſuche angeſtellt. Am 19. Jun. 1799, als ich zu ſpaͤter Abendzeit, bey der in eine klare Nacht uͤbergehenden Daͤmmerung, mit einem Freunde im Garten auf- und abging, be- merkten wir ſehr deutlich an den Blumen des orienta- liſchen Mohns, die vor allen andern eine ſehr maͤchtig rothe Farbe haben, etwas flammenaͤhnliches, das ſich in ihrer Naͤhe zeigte. Wir ſtellten uns vor die Stau- den hin, ſahen aufmerkſam darauf, konnten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich, bey abermaligem Hin- und Wiedergehen, gelang, indem wir ſeitwaͤrts dar- auf blickten, die Erſcheinung ſo oft zu wiederholen, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/75
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/75>, abgerufen am 21.11.2024.