So fordern sich alle Abstufungen wechselsweise, die einfachere Farbe fordert die zusammengesetztere, und um- gekehrt.
51.
Oefter, als wir denken, kommen uns die hieher ge- hörigen Fälle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerk- same sieht diese Erscheinungen überall, da sie hingegen von dem ununterrichteten Theil der Menschen, wie von unsern Vorfahren, als flüchtige Fehler angesehen wer- den, ja manchmal gar, als wären es Vorbedeutungen von Augenkrankheiten, sorgliches Nachdenken erregen. Einige bedeutende Fälle mögen hier Platz nehmen.
52.
Als ich gegen Abend in ein Wirthshaus eintrat und ein wohlgewachsenes Mädchen mit blendendweißem Gesicht, schwarzen Haaren und einem scharlachrothen Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich sie, die in einiger Entfernung vor mir stand, in der Halbdämme- rung scharf an. Indem sie sich nun darauf hinwegbe- wegte, sah ich auf der mir entgegenstehenden weißen Wand ein schwarzes Gesicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die übrige Bekleidung der völlig deutli- chen Figur erschien von einem schönen Meergrün.
53.
Unter dem optischen Apparat befinden sich Brust- bilder von Farben und Schattirungen, denen entgegengesetzt, welche die Natur zeigt, und man will, wenn man sie eine Zeit lang angeschaut, die
So fordern ſich alle Abſtufungen wechſelsweiſe, die einfachere Farbe fordert die zuſammengeſetztere, und um- gekehrt.
51.
Oefter, als wir denken, kommen uns die hieher ge- hoͤrigen Faͤlle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerk- ſame ſieht dieſe Erſcheinungen uͤberall, da ſie hingegen von dem ununterrichteten Theil der Menſchen, wie von unſern Vorfahren, als fluͤchtige Fehler angeſehen wer- den, ja manchmal gar, als waͤren es Vorbedeutungen von Augenkrankheiten, ſorgliches Nachdenken erregen. Einige bedeutende Faͤlle moͤgen hier Platz nehmen.
52.
Als ich gegen Abend in ein Wirthshaus eintrat und ein wohlgewachſenes Maͤdchen mit blendendweißem Geſicht, ſchwarzen Haaren und einem ſcharlachrothen Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich ſie, die in einiger Entfernung vor mir ſtand, in der Halbdaͤmme- rung ſcharf an. Indem ſie ſich nun darauf hinwegbe- wegte, ſah ich auf der mir entgegenſtehenden weißen Wand ein ſchwarzes Geſicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die uͤbrige Bekleidung der voͤllig deutli- chen Figur erſchien von einem ſchoͤnen Meergruͤn.
53.
Unter dem optiſchen Apparat befinden ſich Bruſt- bilder von Farben und Schattirungen, denen entgegengeſetzt, welche die Natur zeigt, und man will, wenn man ſie eine Zeit lang angeſchaut, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0074"n="20"/>
So fordern ſich alle Abſtufungen wechſelsweiſe, die<lb/>
einfachere Farbe fordert die zuſammengeſetztere, und um-<lb/>
gekehrt.</p></div><lb/><divn="4"><head>51.</head><lb/><p>Oefter, als wir denken, kommen uns die hieher ge-<lb/>
hoͤrigen Faͤlle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerk-<lb/>ſame ſieht dieſe Erſcheinungen uͤberall, da ſie hingegen<lb/>
von dem ununterrichteten Theil der Menſchen, wie von<lb/>
unſern Vorfahren, als fluͤchtige Fehler angeſehen wer-<lb/>
den, ja manchmal gar, als waͤren es Vorbedeutungen<lb/>
von Augenkrankheiten, ſorgliches Nachdenken erregen.<lb/>
Einige bedeutende Faͤlle moͤgen hier Platz nehmen.</p></div><lb/><divn="4"><head>52.</head><lb/><p>Als ich gegen Abend in ein Wirthshaus eintrat<lb/>
und ein wohlgewachſenes Maͤdchen mit blendendweißem<lb/>
Geſicht, ſchwarzen Haaren und einem ſcharlachrothen<lb/>
Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich ſie, die in<lb/>
einiger Entfernung vor mir ſtand, in der Halbdaͤmme-<lb/>
rung ſcharf an. Indem ſie ſich nun darauf hinwegbe-<lb/>
wegte, ſah ich auf der mir entgegenſtehenden weißen<lb/>
Wand ein ſchwarzes Geſicht, mit einem hellen Schein<lb/>
umgeben, und die uͤbrige Bekleidung der voͤllig deutli-<lb/>
chen Figur erſchien von einem ſchoͤnen Meergruͤn.</p></div><lb/><divn="4"><head>53.</head><lb/><p>Unter dem optiſchen Apparat befinden ſich Bruſt-<lb/>
bilder von Farben und Schattirungen, denen<lb/>
entgegengeſetzt, welche die Natur zeigt, und man<lb/>
will, wenn man ſie eine Zeit lang angeſchaut, die<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[20/0074]
So fordern ſich alle Abſtufungen wechſelsweiſe, die
einfachere Farbe fordert die zuſammengeſetztere, und um-
gekehrt.
51.
Oefter, als wir denken, kommen uns die hieher ge-
hoͤrigen Faͤlle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerk-
ſame ſieht dieſe Erſcheinungen uͤberall, da ſie hingegen
von dem ununterrichteten Theil der Menſchen, wie von
unſern Vorfahren, als fluͤchtige Fehler angeſehen wer-
den, ja manchmal gar, als waͤren es Vorbedeutungen
von Augenkrankheiten, ſorgliches Nachdenken erregen.
Einige bedeutende Faͤlle moͤgen hier Platz nehmen.
52.
Als ich gegen Abend in ein Wirthshaus eintrat
und ein wohlgewachſenes Maͤdchen mit blendendweißem
Geſicht, ſchwarzen Haaren und einem ſcharlachrothen
Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich ſie, die in
einiger Entfernung vor mir ſtand, in der Halbdaͤmme-
rung ſcharf an. Indem ſie ſich nun darauf hinwegbe-
wegte, ſah ich auf der mir entgegenſtehenden weißen
Wand ein ſchwarzes Geſicht, mit einem hellen Schein
umgeben, und die uͤbrige Bekleidung der voͤllig deutli-
chen Figur erſchien von einem ſchoͤnen Meergruͤn.
53.
Unter dem optiſchen Apparat befinden ſich Bruſt-
bilder von Farben und Schattirungen, denen
entgegengeſetzt, welche die Natur zeigt, und man
will, wenn man ſie eine Zeit lang angeſchaut, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/74>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.